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Parateilchen: Unmögliche Teilchen könnten nun doch existieren

Unsere Welt besteht aus Materie- und Kraftteilchen, das heißt Fermionen und Bosonen. Es könnte aber auch noch eine dritte Art von Elementarteilchen geben: so genannte Parateilchen.
Illustration eines Teilchens
Könnte es eine dritte Teilchenklasse geben? Die Mathematik sagt ja.

Quarks, Gluonen, Elektronen, Higgs-Teilchen und Co: Das Standardmodell der Teilchenphysik umfasst 17 verschiedene Teilchen und ihre Antiteilchen. Berücksichtigt man noch zusammengesetzte Objekte wie Protonen oder Neutronen, verliert man schnell den Überblick. Konzentriert man sich aber auf die Teilchenklassen, wird es deutlich einfacher. Denn alles in unserer Welt scheint sich in nur zwei verschiedene Kategorien aufzuteilen: Entweder etwas ist ein Materieteilchen, und somit ein »Fermion«, oder es ist ein Boson genanntes Kraftteilchen. Zur ersten Klasse gehören beispielsweise Elektronen und Quarks, die Bausteine der Materie; zur zweiten zählen Photonen oder Gluonen, welche die elektromagnetische beziehungsweise die starke Kernkraft vermitteln.

Dazwischen kann es nichts geben, so lautete das bisherige Credo. Doch nun haben die zwei Physiker Zhiyuan Wang vom Max-Planck-Institut für Quantenoptik in Garching und Kaden Hazzard von der Rice University in Houston gezeigt, dass es noch eine dritte Möglichkeit gibt. Elementarteilchen könnten weder Fermionen noch Bosonen sein, sondern »Parateilchen«, die grundlegend andere Eigenschaften besitzen. In ihrer bei der Fachzeitschrift »Nature« erschienenen Arbeit beschreiben die Forscher, wie sich Parateilchen in einem Quantencomputer erzeugen ließen.

Die Unterschiede zwischen den Teilchenklassen sind der Grund, warum die Welt, wie wir sie kennen, überhaupt entstehen konnte. Während sich identische Bosonen gerne zusammenrotten und gemeinsam den niedrigsten Energiezustand annehmen können, wäre ein solches Verhalten bei Fermionen fatal. Denn die Elektronen innerhalb eines Atoms würden dann alle in derselben Schale verweilen – ein Atom mit verschiedenen Energieniveaus, wie wir es kennen, gäbe es nicht. Aber glücklicherweise sind Fermionen grundlegend anders als Bosonen. Identische Fermionen gehen sich aus dem Weg: Sie dürfen am selben Ort nicht denselben Energiezustand einnehmen, das wird als Pauli-Prinzip bezeichnet.

Dieses Verhalten ist quantenmechanisch gewissermaßen in die Teilchen eingraviert. Angenommen, man betrachtet zwei identische Bosonen, die durch eine gemeinsame Wellenfunktion beschrieben werden. Vertauscht man die beiden Teilchen, sieht die Wellenfunktion danach genauso aus wie zuvor. Führt man das Gedankenexperiment mit Fermionen durch, hat die Wellenfunktion nach dem Tauschvorgang ein Minuszeichen. Da immer nur das Quadrat der Wellenfunktion messbar ist, lässt sich dieses Minuszeichen nicht direkt in einem Experiment messen – aber es führt unter anderem zum Pauli-Prinzip, das sich durchaus beobachten lässt.

Über Fermionen und Bosonen hinaus

In der Vergangenheit hatten Physiker bereits erkannt, dass es auch andere Teilchenklassen geben könnte. In einer oder zwei Raumdimensionen könnten beispielsweise so genannte Anyonen auftreten. Deren Wellenfunktion erhält durch die Vertauschung zweier identischer Teilchen eine komplexe Phase e. Das würde Anyonen eine Art Gedächtnis verleihen: Vertauscht man Teilchen mehrmals miteinander, lässt sich das hinterher an ihrer Wellenfunktion ablesen. Da Anyonen aber nicht in drei Dimensionen existieren können, gibt es in unserer Welt keine solchen Elementarteilchen. Anyonen treten höchstens als »Quasiteilchen« in Festkörpern auf, wenn sich dort Anregungen aus Elektronen wie diese seltsamen Teilchen verhalten.

Teilchenfamilien | Während Bosonen dazu neigen, sich zu sammeln, meiden Fermionen sich. Anyonen hingegen besitzen eine Art Gedächtnis, wodurch sich nachvollziehen lässt, wie sie sich durch Raum und Zeit bewegen.

In den 1950er Jahren sagte der britische Physiker Herbert Green eine weitere Teilchenklasse voraus, die in drei Dimensionen existieren könnte, so genannte Parateilchen. Dafür drückte er die Wellenfunktion durch einen Vektor aus. So kann sie sich bei der Vertauschung zweier Teilchen nicht bloß durch ein Vorzeichen ändern, sondern auch durch eine Multiplikation mit einer Matrix variieren. Die Auswirkungen könnten dann ähnlich sein wie bei Anyonen. An der Wellenfunktion von Parateilchen ließe sich ablesen, wie Teilchen miteinander vertauscht wurden. Doch es gibt einen entscheidenden Unterschied zu Anyonen: Vertauscht man Anyonen miteinander und tauscht sie wieder zurück, hinterlässt das Spuren in der Wellenfunktion – nicht so bei Parateilchen.

In den kommenden Jahren nahmen Fachleute Parateilchen genauer unter die Lupe und versuchten, sie in eine Quantentheorie zu integrieren. Wie sie allerdings feststellten, schienen sich in dem komplizierten mathematischen Gewand am Ende doch nur Bosonen und Fermionen zu verstecken. »Diese Arbeiten schlossen die Existenz von Parateilchen in der Natur nicht aus, führten aber zu der Schlussfolgerung, dass sich jede Theorie von Parateilchen unter bestimmten Annahmen nicht von Theorien über gewöhnliche Fermionen und Bosonen unterscheiden lässt«, schreiben Wang und Hazzard in ihrer Veröffentlichung. »Das machte die Betrachtung von Parateilchentheorien überflüssig, da sie genau die gleichen physikalischen Vorhersagen liefern wie Theorien über gewöhnliche Teilchen.«

»Es war der aufregendste Moment in meinem Leben«Zhiyuan Wang, Physiker

Wang und Hazzard sahen sich diese Annahmen, welche die Physikerinnen und Physiker in der Vergangenheit getroffen hatten, genauer an. Wenn man die strikten Einschränkungen lockert, so stellten sie fest, lässt sich durchaus eine Parateilchentheorie entwickeln, die sich von der gängigen Teilchenphysik unterscheidet. »Es war der aufregendste Moment in meinem Leben«, sagte Wang zu »Nature«, der während seiner Doktorarbeit zufälligerweise auf diese seltsame Teilchenklasse stieß.

»Das ist eine sehr gewagte Sache. Jeder nimmt einfach hin, dass Parastatistiken nicht physikalisch sind, und umgeht das Thema«, äußerte Jiannis Pachos von der University of Leeds gegenüber »New Scientist«. »Aber die Forscher sind darauf zurückgekommen und haben bewiesen, dass es Parateilchen geben kann. Das ist fantastisch.«

Nur weil Parateilchen aus mathematischer Sicht nicht ausgeschlossen sind, heißt das nicht automatisch, dass sie existieren. Ob es Elementarteilchen gibt, die den exotischen Vertauschungsregeln folgen, ist fraglich. Doch in speziell präparierten Quantensystemen könnte man Parateilchen simulieren und ihre Eigenschaften untersuchen, schreiben Wang und Hazzard. Eine Möglichkeit dafür böten Quantencomputer, auch wenn sich die Umsetzung wahrscheinlich recht kompliziert gestaltet.

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  • Quellen
Wang, Z., Hazzard, K. R. A.: Particle exchange statistics beyond fermions and bosons. Nature 637, 2025

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