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Toxische Beziehung: »Die Rollen sind festgelegt«

Menschen mit einer Persönlichkeitsstörung geraten in Beziehungen oft in Konflikte. Eine gesunde Partnerschaft ist dennoch möglich, sagt der Mediziner und Psychotherapeut Eckhard Roediger im Interview: »Man muss einen inneren Therapeuten aufbauen.«
Streitendes Paar

Menschen mit einer Persönlichkeitsstörung reagieren in vielen Situationen mit unpassenden Verhaltensweisen. Deshalb bekommen sie in Beziehungen häufig Probleme, weiß der Leiter des Instituts für Schematherapie in Frankfurt am Main, Eckhard Roediger. Im Gespräch erklärt der Psychotherapeut, wie man mit einem betroffenen Partner umgehen sollte.

»Spektrum.de«: Warum machen Persönlichkeitsstörungen in Beziehungen Probleme?

Eckhard Roediger: Frühe Lebenserfahrungen prägen uns. Sie bilden eine Vorlage, ein Schema, mit dem man die aktuelle Situation wahrnimmt, bewertet und dann entsprechend handelt. Manche Menschen mit schwieriger Kindheit entwickeln Überlebensstrategien, die Teil der Persönlichkeit werden. Ein Beispiel: Nehmen wir an, Sie sind in der Kindheit häufig alleingelassen worden und haben gelernt, mit der Situation klarzukommen, indem Sie sich zurückziehen und alles selbst machen. Dann werden Sie auch in einer Beziehung erwarten, von anderen verlassen zu werden, oder lassen sich gar nicht erst auf eine tiefe Bindung ein. Das wird von anderen oft als abweisend erlebt: »Man kann mit dir ja gar nicht reden, du bist so verschlossen.« Eine andere Reaktion auf dieselbe Erfahrung: Sie fangen an zu klammern, weil Sie erwarten, dass der andere Sie verlassen wird. Bei den allerersten Anzeichen von Desinteresse oder Unzuverlässigkeit verhalten Sie sich eifersüchtig, vorwurfsvoll und kontrollierend. Dann sagt der Partner: »Du bist doch verrückt, ich habe gar nichts gemacht. Du bist immer gleich auf 180.« Auf das gleiche Schema, die emotionale Vernachlässigung, können Sie so oder so reagieren: mit Rückzug oder kämpferisch.

Eckhard Roediger | Der promovierte Mediziner ist Facharzt für Neurologie, Psychiatrie und psychotherapeutische Medizin. Er absolvierte eine tiefenpsychologisch fundierte sowie eine verhaltenstherapeutische Ausbildung und gründete 2008 das Institut für Schematherapie in Frankfurt am Main.

Welche Persönlichkeitsstörungen gehen eher mit kämpferischen Verhaltensweisen einher?

Ein Beispiel sind Narzissten: Viele von ihnen haben als Kind Demütigungen, Beschämungen und Zurücksetzungen erlebt. Stellen Sie sich vor, ein Junge bekommt von seinen Eltern dauernd zu hören: »Du machst das nicht gut genug, streng dich mehr an, sonst wird aus dir nie etwas.« Dann lernt er: »Ich bin nur etwas wert, wenn ich etwas leiste. Der Zweitbeste ist der erste Verlierer.« Statt sich zurückzuziehen, versucht er, die Kontrolle auszuüben und immer bewundert zu werden. Das ist ein möglicher kompensatorischer Umgang mit Verletzungen in der Kindheit. Manche Menschen reagieren auf die gleiche Verletzung dagegen vermeidend. Sie denken: »Vielleicht haben die anderen ja Recht und ich bin wirklich nicht so toll.« Das sind Menschen mit einer abhängigen oder ängstlich-vermeidenden Persönlichkeitsstörung.

Persönlichkeitsstörungen

Menschen mit einer Persönlichkeitsstörung handeln nach tief verwurzelten Verhaltensmustern. Im Kontakt zu anderen Menschen sind sie unflexibel und reagieren nicht den Erwartungen des Umfelds oder der Gesellschaft entsprechend. Meist leiden die Betroffenen selbst unter der Störung und haben starke Probleme im sozialen Miteinander.

Wie verhalten sich diese Menschen in Beziehungen?

Unsichere Menschen, die schon in der Kindheit gelernt haben, anderen Platz zu machen, sind die idealen Partner für Narzissten. Sie geben eher nach, bewundern die Narzissten ausreichend und gleichen damit deren dominante Tendenz aus. Das klassische Beispiel ist der narzisstische Arzt, der eine hilfsbereite Krankenschwester heiratet. Solange beide Partner voneinander profitieren und die dominante Person genug Rücksicht nimmt, kann die Beziehung funktionieren. Wenn die sich unterordnende Person aber eine Therapie macht und ermutigt wird, selbstbewusster zu sein, wird das System instabil. Es kann sein, dass der dominante Partner dann sagt: »So haben wir nicht gewettet. Ich möchte hier der Boss sein, du sollst dich fügen.« Oder umgekehrt: Die dominante Person ist irgendwann genervt davon, dass sie immer den Ton angeben muss, und fühlt sich nicht unterstützt. So ein Beziehungssystem ist störungsanfällig, weil es wenig Raum für Entwicklungen lässt. Die Rollen sind festgelegt. In der Paartherapie arbeiten wir daran, dass die Beziehung flexibler wird und die Rollen wechseln können.

»Menschen mit einer Persönlichkeitsstörung haben die Tendenz, heute zu erwarten, dass die Welt so ist wie früher«

Wie sieht eine Partnerschaft mit einer an der Borderline-Persönlichkeitsstörung erkrankten Person aus?

Die Borderline-Störung steht für ein instabiles Selbst. Viele Borderliner sind sehr belastet und handeln eher aggressiv. Sie schwanken in Beziehungen oft: Sie können sehr anklammernd und nachgiebig sein – bis sie sich ausgenutzt fühlen. Dann werden sie wütend und aggressiv und teilen aus. Danach tut es ihnen leid, und sie tun alles dafür, nicht verlassen zu werden. Es gibt aber auch Borderliner, die sehr zurückgezogen sind und Konflikte vermeiden.

Wie kann man als nicht betroffene Person mit einem erkrankten Partner umgehen?

Menschen mit einer Persönlichkeitsstörung haben die Tendenz, auch heute noch zu erwarten, dass die Welt so ist wie früher. Das nennt man in der Psychodynamik eine Projektion. Wenn ich meiner Frau lange genug unterstelle, dass sie mich betrügt, ist sie irgendwann so genervt, dass sie es vielleicht wirklich tut. Dann spricht man von einer projektiven Identifikation. Die Gefahr ist also, dass die Betroffenen den Partnern die Maske aus der eigenen Kindheit so lange aufdrücken, bis diese sich fügen. Wichtig ist, dass Sie als Partner nicht darauf einsteigen, sondern sagen: »Nein, ich will dir nichts Böses, ich will dich nicht betrügen, ich will dich nicht verlassen. Ich will mit dir auf Augenhöhe reden.« Betroffene müssen lernen, wie man miteinander spricht, ohne dass das Gespräch zum Kampf wird. Dafür gibt es zum Beispiel Kurse zu gewaltfreier Kommunikation oder eben Paartherapie.

Was, wenn die Beziehung sehr stark belastet ist?

Wenn ein Partner so starr nach einem bestimmten Interaktionsmuster handelt, dass der andere sich anpassen muss, geht es ohne eine Intervention von außen oft nicht mehr. Dann ist eine Beratung sinnvoll. Dabei kann man gucken, ob man noch auf die Reset-Taste drücken kann. Sinnvoll ist, nicht zu lange zu warten. Meist dauert es aber fünf Jahre, bis betroffene Paare Hilfe suchen. Dann haben sich die Muster ziemlich festgefahren.

»Die meisten Beziehungen sind mittelgut«

Wie gut gelingt es nach so langer Zeit noch, die Reset-Taste zu drücken?

In aller Regel sehr gut. Eine Paartherapie ist nicht nur dann erfolgreich, wenn beide danach happy sind. Die Paare denken oft: »Entweder haben wir eine gute Beziehung oder wir müssen uns trennen.« Das ist natürlich Quatsch. Die meisten Beziehungen sind mittelgut. Bei mir in der Praxis trennen sich wenige Paare auf Dauer. Stattdessen lernen sie, ihre Bedürfnisse nach Nähe und Distanz besser abzustimmen. Man muss nicht alles zusammen machen, man muss auch nicht immer einer Meinung sein. Aber man sollte sich nicht bekämpfen.

Und wenn das nicht gelingt?

Es gibt natürlich auch Paare, die nicht zusammenpassen. Dann geht es in der Therapie darum, auf die Wunden aus der Kindheit und die unterschiedlichen Bewältigungsstile hinzuweisen und klarzumachen, dass es besser ist, sich jemanden zu suchen, dessen Deckel eher auf den eigenen Topf passt. Manchmal will einer es noch einmal versuchen, während der andere sagt: »Sorry, ich bin durch.« In der Therapie arbeite ich mit der zurückgelassenen Person gegebenenfalls noch einzeln weiter. Ich zeige auf, dass die starke Verzweiflung und der Trennungsschmerz auch wieder aus der Kindheit herrühren.

Und Menschen mit Persönlichkeitsstörungen haben damit mehr zu kämpfen?

Ganz genau. Ihre erwachsene Seite kann die Gefühle nicht so gut dämpfen. Dann werden sie angreifend, anklagend, stalken den Partner – oder sie ertränken ihre Gefühle in Alkohol, resignieren, werden depressiv, manche auch suizidal.

Können Betroffene trotzdem gesunde Beziehungen führen?

Die Muster, die man über Jahrzehnte aufgebaut hat, bleiben. Sie müssen aber auch nicht weg. Das Problem sind nicht die Emotionen selbst, sondern dass sie die Führung übernehmen. Jemand, der seine Emotionen wahrnimmt, richtig einordnet und erwachsen reagiert, kann auch mit einer narzisstischen Tendenz klarkommen. Der würde dann zur Partnerin sagen: »Ich weiß, ich quatsche immer viel, sorry. Jetzt erzähl du doch mal.« Man muss einen inneren Therapeuten aufbauen, der den ersten Impuls zurückpfeift und Raum für ein funktionaleres Verhalten schafft.

Wie genau hilft eine Therapie dabei?

Ein Ziel der Paartherapie ist, dass faire Gespräche auf Augenhöhe stattfinden. Das Problem ist nur: Wenn die Betroffenen vorher nicht verstehen, wo bei ihnen der Schuh klemmt, rutschen sie immer wieder in ihre alten Muster hinein. Deswegen brauchen manche Menschen ein paar Einzelstunden, bevor sie die Paargespräche wirklich nutzen können. Dabei versuchen wir herauszufinden, was für Verletzungen aus der Kindheit dahinterstecken, zum Beispiel mit Hilfe der Imagination. Wir lassen die Menschen anhand einer aktuellen Situation in inneren Bildern zurück in die Kindheit gehen. Im Verlauf kommt der Partner dazu, nimmt mit diesem verletzten Kind Kontakt auf und tröstet es. Dadurch wird der Partner plötzlich ganz anders erlebt. Das schafft emotionalen Zusammenhalt.

Schematherapie

Viele psychische Erkrankungen beruhen auf fehlangepassten Erlebens- und Verhaltensmustern – so genannten Schemata. Diese wurzeln in der Regel in schmerzlichen Erfahrungen in der Kindheit. Manche Kinder reagieren darauf, indem sie sich unterordnen und zurückziehen, andere werden aggressiv oder rebellieren gegen ihre Eltern. Wenn sich diese Verhaltensweisen bewähren, verfestigen sie sich, bis sie schließlich zu einer Art Generalschlüssel zur Lösung aller möglichen Probleme werden und dadurch alternative Erfahrungen behindern. Betroffene sehen die Welt als Erwachsene deshalb zuweilen wie durch Kinderaugen und reagieren entsprechend auf ihre Umwelt.

Um diese Muster zu durchbrechen, verbindet die Schematherapie tiefenpsychologische und kognitiv-verhaltenstherapeutische Methoden. Häufig arbeiten Schematherapeuten mit erlebnisaktivierenden Techniken wie den Imaginationsübungen. Dabei rufen sich die Patienten mit geschlossenen Augen Kindheitserfahrungen ins Gedächtnis, die dieselben Gefühle auslösen, die sie noch heute in schwierigen Situationen erleben, und lernen, sie zu »überschreiben«. Die Patienten erleben die Art von Unterstützung, die sie sich in der Kindheit gewünscht haben. Dieses Prinzip der »Nachbeelterung« gehört zu den zentralen Bausteinen der Schematherapie.

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