Riesenvogel: Pelagornis - der A380 unter den Vögeln
"Der obere Flügelknochen ist länger als mein gesamter Arm." Mit diesen Worten deutet Dan Ksepka vom Bruce Museum in Greenwich bereits die gewaltigen Dimensionen von Pelagornis sandersi an: Der fossile Seevogel aus der Zeit des Oligozäns vor rund 25 Millionen Jahren gehört zu den gigantischsten, flugfähigen Vögeln, die die Wissenschaft bislang gefunden hat. Mit einer Flügelspannweite von etwa 6,4 Metern lässt er heutige Riesen der Lüfte wie den Königsalbatros oder den Andenkondor wie Kleinvögel aussehen – beide bringen es auf maximal die halbe Flügellänge. Nur der bisherige Rekordhalter aus Argentinien, der Riesengeier Argentavis magnificens könnte Pelagornis sandersiauf die Plätze verweisen, denn er brachte es wahrscheinlich auf sieben Meter Spannweite.
Entdeckt wurden die versteinerten Überreste des Seevogels bereits 1983, als der neue Flughafenterminal von Charleston in South Carolina gebaut wurde. Doch erst jetzt widmeten sich Paläontologen dem "bemerkenswert gut erhaltenen" Fossil, das aus einem kompletten Schädel sowie mehreren Flügel- und Fußknochen besteht: Die Skelette von Vögeln überstehen den Versteinerungsprozess oft nur bruchstückhaft, weil sie innen hohl sind, was aber die Flugfähigkeit begünstigt. Wie der Gattungsname Pelagornis bereits verrät, gehört die Art zu den so genannten Pelagornithidae oder Pseudozahnvögeln, einer ausgestorbenen Familie an Seevögeln, die sehr groß werden konnten und als besonderes Merkmal über einen bezahnten Schnabel verfügten: Diese Zähne erleichterten ihnen wahrscheinlich den Fischfang auf hoher See.
Trotz ihrer enormen Dimensionen und des damit verbundenen Gewichts konnten diese Riesen fliegen, was Ksepka und Co aus dem Skelettbau ableiten. Pelagornis sandersi besaß extrem dünne, hohle Knochen, um weniger zu wiegen, und sehr kurze Beine, aber gewaltige Schwingen: Er konnte sich also an Land kaum bewegen, war aber optimal an den Gleitflug über große Strecken über dem Meer angepasst – ähnlich wie die heutigen Albatrosse. Dennoch überschritt die Art mit ihrem – errechneten – Gewicht und der Größe einige Kennzahlen, ab der Biologen das Fliegen eigentlich ausschließen würden. Vor allem der Start gilt als Knackpunkt, da die Giganten erst einmal in die Lüfte kommen mussten, bevor sie überhaupt die Thermik zu ihren Gunsten ausnutzen konnten.
Die Paläontologen spielten daher ihre verfügbaren Daten in ein Computermodell ein, um die tatsächliche Flugfähigkeit von Pelagornis sandersi zu testen. Tatsächlich war die Art wohl zu groß, um aus dem Stand einfach per Flügelschlagen abzuheben, wie das etwa Adlern gelingt. Stattdessen musste sie mit Anlauf starten, etwa indem sie gegen den Wind bergab rannte oder sich von hohen Felsen in die Luft stürzte, wie dies auch für Argentavis magnificens berechnet wurde und wie es Albatrosse heute bewerkstelligen. Sobald sie aber flogen, konnten sie sehr lange Zeit extrem effizient mit ihren ausgedehnten dünnen Schwingen gleiten – teilweise über Dutzende Kilometer hinweg, ohne dass sie mit den Flügeln schlagen mussten. Auf diese Weise überqueren heute noch die Albatrosse ganze Ozeane, ohne dass sie dazu allzu viel Energie aufwenden müssten.
Die Knochen von Pelagornis sandersi waren allerdings so fragil, dass die Tiere Nahrung nur von der Wasseroberfläche aufsammeln konnten: Für Tauchgänge waren sie ebenso wenig geschaffen wie für den Start von der Wasseroberfläche aus. "Pseudozahnvögel erscheinen wie mystische Wesen aus Fantasiegeschichten – heutzutage existiert nichts mehr, was ihnen gleicht", so Ksepka. Die Riesenvögel existierten über mehrere zehn Millionen Jahre hinweg nach dem Aussterben der Dinosaurier, doch verschwanden sie aus noch unbekannten Gründen im Pliozän vor drei Millionen Jahren. Die Skelettrekonstruktion vom verwandten Pelagornis chilensis hängt in der Ausstellung des Senckenberg Naturmuseums in Frankfurt.
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