Persönlichkeit: Wie kann ich mich ändern?
Ein bisschen ordentlicher werden, anderen offener gegenübertreten oder die eigene Schüchternheit überwinden: Die meisten Menschen würden gerne etwas an sich ändern. Doch was in der Theorie leicht klingt, ist in der Praxis oft schwierig. Schließlich bringt jeder ein individuelles Set an Wesensmerkmalen mit, das ihn ausmacht. Können wir überhaupt so einfach aus unserer Haut?
Etwa bis zur Jahrtausendwende hätten Psychologinnen und Psychologen das bezweifelt. Sie hielten die Persönlichkeit bei Erwachsenen bis dahin für mehr oder weniger unveränderlich. Egal, was man tut, im Grunde bleibt man doch, wer man ist, lautete damals das Credo. Mittlerweile haben viele Experten ihre Meinung allerdings geändert: Neue Forschungsergebnisse deuten darauf hin, dass Wesenszüge keineswegs in Stein gemeißelt sind.
Wissenschaftler konnten zeigen, dass das, was wir erleben, beeinflusst, wie wir langfristig denken, fühlen und handeln. Bestimmte Strategien und Reaktionsmuster gehen mit der Zeit in Fleisch und Blut über und können unsere Eigenschaften verändern. So lässt das Arbeitsleben Menschen zum Beispiel im Schnitt über die Jahre hinweg pflichtbewusster werden, denn gewissenhaftes Verhalten wird hier immer wieder von Neuem begünstigt und belohnt. Sozialer Druck – regelmäßig ausgeübt – kann so nach und nach tiefe Rillen im Persönlichkeitsprofil hinterlassen.
»Auch jenseits der 30 gibt es noch Spielraum«Cornelia Wrzus, Psychologin
Lebenserfahrungen, Wegbegleiter und gesellschaftliche Normen formen den Charakter weit über die Kindheit hinaus. »Auch jenseits der 30 gibt es noch Spielraum«, sagt Cornelia Wrzus. Sie ist Professorin für Psychologische Alternsforschung an der Universität Heidelberg und ergründet dort, wie sich die Persönlichkeit über die Zeit entwickelt. Dass wir uns auch als Erwachsene noch verändern, heißt jedoch nicht, dass eine introvertierte Person plötzlich zum Mittelpunkt jeder Party wird. »Wir bewegen uns da in einem Rahmen, den unsere genetischen Voraussetzungen vorgeben. Wenn man beispielsweise schon rein körperlich schneller auf Stress reagiert, wird man eine gewisse Sensibilität nie ganz ablegen.«
Wie Gene die Persönlichkeit beeinflussen
Zum Teil stecken charakterliche Unterschiede tatsächlich in unserer DNA. Die Gene bestimmen mit, wie zurückhaltend, draufgängerisch, labil oder stressresistent jemand wird. Der Einfluss des Erbguts auf die Persönlichkeit ist allerdings geringer als bei anderen Merkmalen wie Körpergröße oder Intelligenz. An dem Versuch, einzelne Charaktereigenschaften auf bestimmte Genvarianten zurückzuführen, sind Forscherinnen und Forscher in der Vergangenheit immer wieder gescheitert.
Das könnte auch damit zusammenhängen, dass epigenetische Veränderungen womöglich bedeutender für die Persönlichkeitsentwicklung sind als einzelne Gene an sich. Solche Veränderungen entscheiden darüber, wann ein bestimmter Abschnitt des Erbguts abgelesen werden kann, erklärt Gerhard Roth, Professor für Verhaltensphysiologie an der Universität Bremen. Teils entstehen sie spontan, teils durch besondere Umweltbedingungen. Schon im Bauch der Mutter werden so Weichen für das Temperament eines Kindes gestellt. »Die frühen Erfahrungen, die wir in den ersten drei Lebensjahren machen, sind besonders prägend«, sagt Roth. »Bei seiner Einschulung ist ein Mensch bereits in seinen charakterlichen Grundzügen festgelegt.« Dann steht die Persönlichkeit zu etwa 60 Prozent, schätzt er. Im Lauf des Erwachsenwerdens pendelt sich der Charakter schließlich immer weiter ein.
Einschneidende Erfahrungen formen den Charakter
Umfragen zeigen, dass fast alle Menschen den Wunsch hegen, den ein oder anderen Aspekt an sich zu verändern. Manche Charaktermerkmale sind dabei beliebter als andere. So wollen die meisten etwa emotional stabiler, gewissenhafter, offener und geselliger werden. Doch der Wunsch allein reicht nicht aus. Man muss auch etwas dafür tun.
Eine Möglichkeit, seine Persönlichkeit zu verändern, liegt darin, sich bestimmten Herausforderungen zu stellen. Wer sich zum Beispiel traut, eine Zeit lang in einem fremden Land zu leben, macht dort einschneidende Erfahrungen, lernt viele unterschiedliche Menschen kennen und kann so seinen Horizont erweitern. Das zeigte 2017 ein Team um Esther Niehoff von der Leuphana Universität in Lüneburg, das die Persönlichkeitsentwicklung von mehr als 200 Studierenden ein Semester lang verfolgte. Die 93 jungen Männer und Frauen, die in der Zeit ein Auslandssemester absolviert hatten, waren laut Persönlichkeitsfragebogen am Ende verträglicher, offener für neue Erfahrungen und außerdem extravertierter und weniger neurotisch als vor ihrer Zeit in der Fremde. Allerdings waren die Teilnehmer, die sich für ein Semester im Ausland entschieden, vorher im Schnitt schon verträglicher und offener als ihre Kommilitonen gewesen. Nach dem Auslandsabenteuer hatte sich ihr Vorsprung jedoch noch einmal vergrößert.
»Um tief sitzende Muster zu verändern, sind drei Dinge nötig: Leidensdruck, Motivation und viel Geduld«Gerhard Roth, Verhaltensphysiologe
Funktioniert der Sprung ins kalte Wasser auch, wenn wir damit wider unsere Natur handeln? Nicht automatisch, glauben Experten. Wer sich als schüchternes Gewohnheitstier einfach allein in die Fremde aufmacht, läuft Gefahr, auch dort sein gewohntes Verhaltensrepertoire abzuspulen. In unsicheren Situationen greifen wir nämlich instinktiv auf tausendfach erprobte Reaktionen zurück. »Das spart Energie«, erklärt Gerhard Roth. »Das Gehirn versucht, so viel wie möglich zu automatisieren. Ist ein Verhalten erst einmal zur Gewohnheit geworden, wird man es nur schwer wieder los. Um tief sitzende Muster zu verändern, sind daher drei Dinge nötig: Leidensdruck, Motivation und viel Geduld.«
Vom Ziel zum Plan
Zudem braucht es einen Schlachtplan, wenn man sich aktiv verändern möchte. Psychologen sprechen von »Implementierungsintentionen«. »Ein Ziel ist noch lange kein Plan«, erklärt Peter Gollwitzer, Sozialpsychologe an der Universität Konstanz und der New York University. »Entscheidend ist, dass man nicht nur das gewünschte Ergebnis festlegt, sondern auch einen Plan macht, wie sich dieses Ergebnis erreichen lässt, also überlegt, wie sich das Ziel konkret umsetzen lässt.« Das kann zum Beispiel mit Hilfe von Wenn-dann-Plänen erfolgen. Wer extravertierter werden möchte, nimmt sich dabei nicht einfach vor, mehr auf andere Menschen zuzugehen, sondern formuliert einen konkreten Vorsatz für bestimmte Situationen, etwa: »Wenn ich morgen an der Bushaltestelle stehe, dann stelle ich einem Fremden eine Frage.«
Die Facetten der Persönlichkeit
Die Persönlichkeit ist die Gesamtheit aller überdauernden, nicht krankhaften Wesenseigenschaften, die Menschen voneinander unterscheidet. Sie bestimmt mit, wie wir denken, fühlen und handeln. Aus einer Vielzahl von Charaktereigenschaften haben Psychologinnen und Psychologen in der Vergangenheit fünf grundlegende Persönlichkeitsdimensionen herausdestilliert, die bis heute verwendet werden, um das Wesen von Menschen wissenschaftlich zu beschreiben: Extraversion, Offenheit gegenüber (neuen) Erfahrungen, Verträglichkeit, Gewissenhaftigkeit und Neurotizismus. Extravertierte Menschen sind herzlich, gesellig, durchsetzungsfähig, aktiv, abenteuerlustig und fröhlich; gewissenhafte ordnungsliebend, pflichtbewusst, leistungsbereit, diszipliniert und besonnen. Als neurotisch gilt, wer eher ängstlich ist, depressiv, impulsiv sowie in sozialen Situationen befangen und emotional verletzlich. Die Offenheit für Erfahrungen kann sich in Aufgeschlossenheit gegenüber Ideen, Ästhetik, Emotionen und Handlungen sowie einer blühenden Fantasie äußern. Aus den verschiedenen Ausprägungen dieser »Big Five« lässt sich ein Gesamtbild einer Persönlichkeit zeichnen. Durch Kombinationen kann man so mehr als 3000 Charaktervarianten unterscheiden.
Die Persönlichkeitspsychologen Nathan Hudson und Chris Fraley, damals beide an der University of Illinois in Urbana-Champaign, testeten 2015, ob diese Strategie auch hilft, den Charakter zu verändern. Sie leiteten dafür Versuchspersonen, die sich in einem oder mehreren Persönlichkeitsmerkmalen verändern wollten, an, realistische, konkrete und überprüfbare Ziele sowie entsprechende Wenn-dann-Pläne zu formulieren. Vier Monate lang sollten sie diese umsetzen und üben, üben, üben. Wer ein solches Training erhielt, konnte sich stärker in seinem gewünschten Charaktermerkmal verändern als diejenigen, die nichts über Implementierungsintentionen gelernt hatten. Allerdings wurden hier nur Korrelationen erhoben, so dass man nicht sicher sagen kann, ob das Training die Ursache für die Veränderung war. Zudem hatten sich die Teilnehmer am Ende des Programms nicht dramatisch, sondern eher moderat verändert. Die Autoren können sich vorstellen, dass sich der Effekt durch einen längeren Übungszeitraum noch steigern ließe.
2018 überprüfte Hudson mit seinen Kollegen zusätzlich einen anderen Ansatz. Diesmal sollten Probandinnen und Probanden, die etwas an sich ändern wollten, über 15 Wochen hinweg verschiedene auf sie zugeschnittene Herausforderungen meistern. Wünschten sie sich etwa, gewissenhafter zu werden, sollten sie sich so verhalten, wie es eine sehr gewissenhafte Person tun würde. Wer lieber extravertierter wäre, sollte sich hingegen ein Beispiel an besonders geselligen Zeitgenossen nehmen. Die Challenges lauteten zum Beispiel: »Lächle jemandem zu, den du nicht kennst«, »Überlege, wofür du dankbar sein könntest« oder »Ordne die Apps auf deinem Smartphone«. Wer mehr davon absolvierte und so seine Gedanken, Gefühle und Verhaltensweisen regelmäßig auf den gewünschten Kurs brachte, dem gelang es auch eher, sich am Ende in diese Richtung zu entwickeln.
Jede Charaktereigenschaft hat ihren Sinn
Um zu klären, ob solche Programme andauernde Charakterveränderungen hervorrufen können, braucht es jedoch noch mehr Forschung. Cornelia Wrzus regt dazu an, die persönliche Entwicklung regelmäßig zu reflektieren, um Persönlichkeitsveränderungen auch langfristig zu festigen: »Man sollte das neu erlernte Verhalten in das eigene Selbstbild integrieren. Und sich etwa sagen: Ich bin heute gelassen geblieben, weil ich ein ausgeglichener Mensch bin, nicht, weil die Umstände gerade günstig waren.«
2021 untersuchten Wrzus und ihre Kollegen, wie Alltagserfahrungen über Jahre hinweg langsam Veränderungen im Persönlichkeitsmerkmal Neurotizismus einleiten. Dazu begleiteten sie sechs Jahre lang fast 600 Personen im Alter von 14 bis 86, erhoben deren Persönlichkeitsmerkmale und ließen sie zudem über stressige Situationen im Alltag Protokoll führen. Diese schlugen sich in der Summe vor allem bei jungen Menschen in Charakterveränderungen nieder. »Die Ergebnisse legen nahe, dass Menschen mehr Wiederholungen von Verhaltensweisen brauchen, bis diese in überdauernde Persönlichkeitseigenschaften übergehen, je älter sie werden«, so das Fazit der Psychologin.
Auch wenn es gerade dem Zeitgeist entspricht, ist es nicht per se besser, extravertiert zu sein oder sich stets pflichtbewusst und angepasst zu geben
Älterwerden bringt im Hinblick auf die Persönlichkeit aber auch Vorteile mit sich. »Beruhigend zu wissen ist, dass die meisten Menschen im Lauf des Lebens verträglicher, gewissenhafter und ausgeglichener werden, ohne dass sie sich das aktiv vornehmen. Nach jetzigem Wissensstand passiert das im Zusammenhang mit den Rollen und der Verantwortung, die wir als Erwachsene übernehmen«, erklärt Wrzus. Deshalb müsse man eigentlich gar nicht zu verbissen versuchen, sich zu ändern. Auch wenn es gerade dem Zeitgeist entspricht, ist es nicht per se besser, extravertiert zu sein oder sich stets pflichtbewusst und angepasst zu geben. »Jedes Charaktermerkmal, das sich im Lauf der Evolution entwickelt hat, hat seinen Sinn. Darum kann man sich ruhig ein Stück weit so akzeptieren, wie man ist.«
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