Landwirtschaft: Pestizidverbot - und nun?!
Fatalismus erntet, wer derzeit den ein oder anderen Landwirt fragt, welche Folgen das Verbot der drei Neonikotinoide Imidacloprid, Clothianidin und Thiamethoxam für ihre Zunft hat. »Uns wirft das Verbot zurück in die Pflanzenschutzsteinzeit«, sagt Martin Pfeuffer, Zuckerrübenbauer aus dem fränkischen Ochsenfurt und Assistent der Geschäftsführung beim Verband Süddeutscher Zuckerrübenanbauer. Mit dem Verbot der drei wirksamsten Insektizide zum Schutz von Rübensamen müssen sich die Rübenbauern ab 2019 etwas anderes einfallen lassen, um den Keimling und die aufwachsenden Pflänzchen vor Moosknopfkäfern, Viren übertragenden Blattläusen und Rübenfliegen zu schützen.
Die gut 27 000 deutschen Rübenbauern fühlen sich ungerecht behandelt. »Wir sind auch interessiert am Schutz von Bienen und anderen Insekten«, betont Pfeuffer. Es gebe keinen direkten Berührungspunkt zwischen Insektizid und Biene, da die Rüben vor der Blüte geerntet würden. Die Saatgutbeizung, bei der der Pflanzensame maschinell mit einer Pestizidschicht umhüllt wird, wirke sehr spezifisch genau da, wo die Pflanze am meisten Schutz brauche, und sei darum der umweltfreundlichste Schutz vor Schadinsekten.
Tobias Bokeloh vom Saatgutproduzenten Strube aus Söllingen hat ausgerechnet, dass die deutschen Rübenbauern statt der rund 20 Tonnen Insektizidwirkstoff mit der Beiztechnik in Zukunft möglicherweise bis zu 120 Tonnen herkömmlicher Insektizide wie Pyrethroide und Carbamate oberirdisch verspritzen müssen, um die Kulturen effektiv zu schützen. Pfeuffer sieht dadurch die Gefahr von pestizidresistenten Schädlingen steigen. »Wenn wir weniger Wirkstoffe zur Verfügung haben, die voraussichtlich mehrfach jährlich unspezifischer eingesetzt werden müssen, als es bei der Beiztechnik der Fall war, werden Resistenzen gefördert«, befürchtet er.
Heftige Nebenwirkungen der Pestizide
Wie bei einer starken Medizin wird die hohe Wirksamkeit der Pestizide mit einer langen Liste an Risiken und unerwünschten Nebenwirkungen erkauft. Im Falle der verbotenen Neonikotinoide wurde diese Liste in den vergangenen Jahren immer länger. »Man musste da einiges dazulernen«, sagt Horst-Henning Steinmann, Agrarwissenschaftler an der Universität Göttingen. Erst als sich die Hinweise häuften, dass bestimmte Beizgifte über Wasserausscheidungen der Pflanzen (Guttationswasser) im Ökosystem verbreitet werden oder über Jahre im Boden oder Folgekulturen nachweisbar bleiben, seien die Nachteile des Systems deutlich geworden.
Pestizide und ihre Abbauprodukte reichern sich im Boden und in Gewässern an. Die wasserlöslichen Neonikotinoide etwa schädigen Bachflohkrebse oder im Wasser lebende Insektenlarven wie Steinfliegen, Eintagsfliegen oder Köcherfliegen – ihrerseits die Basis der aquatischen Ökosysteme. Caspar Hallmann und sein Forscherteam von der Universität Nimwegen, belegten in einer 2014 im Fachmagazin »Nature« veröffentlichten Studie eine Korrelation zwischen den Konzentrationen des Neonikotinoids Imidacloprid im Oberflächenwasser und einem deutlichen Rückgang Insekten fressender Vogelarten in den Niederlanden.
Gerade die langfristigen Auswirkungen von Pestiziden auf die komplexen Nahrungsketten in Böden und Gewässern seien bislang zu wenig beachtet worden, bemängelt das Umweltbundesamt. So würden bei den Zulassungsverfahren nur einzelne Pestizide betrachtet, obwohl die meisten Kulturpflanzen jedes Jahr mehrfach mit verschiedenen Wirkstoffen behandelt würden. Man müsse sich dringend verstärkt mit der Gesamtintensität des chemischen Pflanzenschutzes und nicht nur mit den Schwellenwerten einzelner Pestizide auseinandersetzen.
Lebensgrundlagen sind in Gefahr
Auch die Forscherinnen und Forscher der nationalen Wissenschaftsakademie Leopoldina fordern im Diskussionspapier »Der stumme Frühling« ein grundsätzliches Umdenken und konkrete Veränderungen wie ein verbessertes Kontrollsystem bei der Pestizidausbringung und realitätsnähere Zulassungsverfahren. Es sei ein Punkt erreicht, an dem wichtige Ökosystemfunktionen und Lebensgrundlagen ernsthaft in Gefahr seien, schreiben die Wissenschaftler.
Für den Agrarexperten Steinmann liegt die Zukunft vorrangig in alternativen, umweltschonenden Methoden. Dazu zählen schädlingsresistente Sorten, eine längere Fruchtfolge, mechanische Feldbearbeitung, der Einsatz von moderner Technik wie Robotern und Drohnen, die Förderung und das gezielte Einsetzen von Nützlingen und so genannte Biopestizide, die Schadorganismen ohne synthetische Gifte bekämpfen.
Der Ökolandbau und einzelne pestizidfreie Anbauinitiativen machen vor, dass es auch ohne geht. So haben sich im Kraichgau und in der Kurpfalz 45 konventionelle Getreidebauern und 40 regionale Bäcker zur Kraichgau-Korn-Initiative zusammengeschlossen und produzieren auf über 1000 Hektar garantiert ungespritztes Brotgetreide. Und der Naturschutzbund Baden-Württemberg rechnet in seinem Pestizidbericht vor, wie die im Ländle eingesetzte Pestizidmenge bis 2025 halbiert werden könnte.
»Der Pflug ist für den Biobauern Herbizid, Fungizid und Insektizid in einem«
Jonathan Kern
Viele alternative Methoden sind schon lange bekannt, wurden aber vernachlässigt, weil der Griff zu den relativ wirksamen und billigen synthetischen Pflanzenschutzmitteln einfacher war. Jonathan Kern, Agrarwissenschaftler und Anbauberater beim Bioland-Verband, sagt: »Der Pflug ist für den Biobauern Herbizid, Fungizid und Insektizid in einem.« Wer nicht zu tief pflüge, könne die Nachteile wie eine höhere Erosion minimieren und dabei trotzdem viele Schädlinge wie etwa den Maiszünsler schwächen.
Der Maiszünsler ist ein kleiner, unscheinbarer Nachtfalter, dessen Raupen sich in Maisstängel und -kolben fressen und so großen Schaden anrichten können. Der Pflug kann einen Teil der in Maisstoppeln und anderen Ernterückständen überwinternden Zünslerraupen unschädlich machen. Eine andere pestizidfreie Methode, den Maiszünsler zu bekämpfen, kommt aus der Schweiz. Dort züchtet man parasitische Schlupfwespen, deren Larven sich in den Faltereiern entwickeln und so den Schädling im Zaum halten. Inzwischen setzen auch in Baden-Württemberg viele Maisbauern auf die nützlichen Wespen. Stark im Kommen ist dabei eine Methode, bei der die winzigen Wespeneier maschinell in biologisch abbaubare Kugeln aus Maisstärke geklebt und mit einer Drohne gezielt auf die Felder gebracht werden.
Roboter und Drohnen statt Gift
Drohnen, Kameras, Sensoren, Roboter und künstliche Intelligenz: Hightech auf dem Acker kann helfen, den Pestizideinsatz zu verringern. Das Schweizer Start-up-Unternehmen »ecorobotics« und der in Stuttgart-Leonberg ansässige Bosch-Ableger »Deepfield-Robotics« arbeiten an autonomen Landmaschinen, die auf dem Rübenacker gezielt nur kleine Mengen Herbizide spritzen beziehungsweise das Unkrautjäten übernehmen sollen. Auch im Wein- und Obstbau werden solche Roboter erprobt.
Die Sorgen der Rübenbauern vor schädlichen Insekten lindern diese Techniken indes noch nicht. Immerhin, bei den durch Blattläuse übertragenen Pflanzenviren sieht Martin Pfeuffer Chancen in der Pflanzenzüchtung. Die Entwicklung virusresistenter Sorten dauere allerdings erfahrungsgemäß fünf bis zehn Jahre, sei also kurzfristig auch keine Lösung. Neue gentechnische Verfahren wie die Genschere CRISPR/Cas könnten solche Züchtungen beschleunigen. »Wir sollten das nicht unkritisch, aber doch offen diskutieren, ohne den Ballast der alten Gentechnikdiskussion«, meint Agrarexperte Steinmann.
»Mehr Grips und Engagement für nicht chemische Methoden sind gefragt. Wir müssen dahin kommen, dass Landwirte nicht mehr über chemische Pflanzenschutzmittel fachsimpeln, sondern Interesse an nicht chemischen Alternativen entwickeln«
Horst-Henning Steinmann
Wahrscheinlich gibt es wenige Landwirte, die bestreiten würden, dass es beim Pestizideinsatz ein hohes Einsparpotenzial gibt. Es fehlen aber die Anreize beziehungsweise der Druck, das auch auszuschöpfen. Auf die chemische Industrie, die mit dem Verkauf von Pestiziden Milliarden verdient, kann man dabei naturgemäß nur eingeschränkt zählen. Neben Maßnahmen wie gesetzlichen Vorgaben, Forschung und staatlicher landwirtschaftlicher Beratung seien aber auch die Bauern in die Pflicht zu nehmen, sagt Horst-Henning Steinmann: »Mehr Grips und Engagement für nicht chemische Methoden sind gefragt. Wir müssen dahin kommen, dass Landwirte nicht mehr über chemische Pflanzenschutzmittel fachsimpeln, sondern Interesse an nicht chemischen Alternativen entwickeln.«
Weniger Pestizide bedeutet mehr Arbeit bei weniger Ertrag
Die meisten dieser alternativen Methoden erfordern von den Bauern mehr Arbeitseinsatz bei gleichzeitig höheren Ernteverlusten, was wiederum die Produktionskosten und damit auch den Preis im Ladenregal steigert. Die Frage, die wir uns als Verbraucher stellen müssen, ist, ob es das nicht wert ist. Ein anderer verbrauchergesteuerter Aspekt ist das Verlangen nach 100 Prozent makellosen Früchten. Wer greift schon zu den Äpfeln mit den (harmlosen) Rostpilzflecken, wenn daneben unbefleckte Exemplare liegen? Kaum jemand macht sich aber Gedanken darüber, dass die Großhändler diesen Druck an die Landwirte weitergeben, die dann entsprechend stark etwa Fungizide einsetzen müssen, um fleckenfreie Äpfel zu ernten.
Pestizide in Deutschland
Die Stoffgruppe der Neonikotinoide (kurz: Neoniks) greifen direkt das Nervensystem der Insekten an, indem sie dort Transportkanäle in Nervenzellen blockieren. Die drei im April 2018 EU-weit im Freiland verbotenen Stoffe Thiamethoxam, Imidacloprid und Clothianidin gelten als besonders wirksam und machten 2012 fast 85 Prozent der verkauften Neoniks weltweit aus. Als erstes Neonikotinoid wurde 1991 Imidacloprid synthetisiert. Heute gibt es sieben Hauptwirkstoffe, die ein Viertel des weltweiten Pestizidmarktes ausmachen. Ein Großteil davon wird in Lateinamerika, Nordamerika und Asien verkauft, 11 Prozent in Europa. Die drei Wirkstoffe waren in der EU bereits seit 2013 bei der Saatgutbehandlung von Mais, Raps und Getreide verboten, nun trifft es vor allem den Zuckerrübenanbau.
Rund 280 verschiedene Wirkstoffe in Pflanzenschutzmitteln hat das Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit für die Anwendung in Deutschland zugelassen. Die Mittel sollen Kulturpflanzen vor Schädlingen wie Pilzen, Insekten oder Milben schützen oder vor der Konkurrenz durch andere Pflanzen, so genannte Unkräuter. Von diesen Wirkstoffen kommen bei uns jedes Jahr über 30 000 Tonnen zum Einsatz. In den meisten Kulturen ist es mit einer Anwendung nicht getan. Häufig wird mehrfach gespritzt, im Weinbau oder in Obstkulturen wie Apfelplantagen können das über 20 Spritzungen im Jahr sein. Um die Wirkstoffe gezielter an den gewünschten Einsatzort zu bringen, wurde für den Ackerbau das Beizen von Saatgut entwickelt. Dabei wird das Samenkorn etwa von Mais, Raps oder Rüben maschinell mit einer Pestizidschicht umgeben, die nach der Aussaat den Keimling und die aufwachsende Pflanze vor Schädlingen wie Pilzen oder Insekten schützt.
Die Geschichte der synthetischen Pestizide ist ein Wettlauf von Entwicklung, Zulassung, Überprüfung und Verboten. Vertraute man nach dem Zweiten Weltkrieg noch bedenkenlos auf die Vorteile der Pflanzenschutzmittel, kamen spätestens in den 1960er Jahren mit Bekanntwerden der fatalen Wirkung von DDT (und anderen Chlorkohlenwasserstoffen) auf die Vogelwelt erste Zweifel auf. Seither wurden ständig neue Wirkstoffe auf den Markt gebracht, überprüft und wieder verboten.
Die Neonikotinoide gibt es seit Anfang der 1990er Jahre. Aber weder gentechnische Entwicklungen wie die Kombination von Glyphosat und glyphosatresistenten Pflanzensorten noch bessere Wirksamkeit etwa der Neonikotinoide konnten die insgesamt eingesetzten Pestizidmengen bislang reduzieren. In Deutschland ist die im Anbau verwendete Pestizidmenge seit Anfang der 1990er Jahre in etwa auf dem gleichem Niveau geblieben, während sie weltweit deutlich gestiegen ist. Zwar kommt auch der Bioanbau nicht ganz ohne Pestizide aus, allerdings werden dort nur in der Natur vorkommende Wirkstoffe eingesetzt, wie zum Beispiel Kupfer-, Schwefel- oder Eisenverbindungen, oder natürliche Gegenspieler von Schädlingen wie bestimmte Bakterien oder Nützlinge.
Dem Gesetzgeber steht ein ganzes Arsenal von Maßnahmen zur Verfügung, um pestizidreduzierende Methoden zu unterstützen. Was am wirkungsvollsten ist, müsse aber im Einzelfall geprüft werden, meint Robert Finger, Agrarökonom an der ETH in Zürich. Finger und sein Team spielen die Auswirkungen verschiedener Maßnahmen mit Computermodellen durch. Eine Modellierung ergab, dass der Maisanbau im Westen Deutschlands sehr gut ohne Glyphosat auskommen könnte. Man müsse das aber regional betrachten, sagt Finger, der höhere Preise für Glyphosat besser fände als ein Totalverbot – denn so würde man sich keine Handlungsoptionen verbauen.
Dies ließe sich etwa durch eine Steuer auf Pflanzenschutzmittel erreichen, wie Finger und Kollegen untersucht haben. Eine Pestizidabgabe fordern auch Wissenschaftler am Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung (UFZ) in Leipzig. Ähnliche Modelle gibt es bereits in Norwegen, Dänemark, Schweden und Frankreich. Und nicht zuletzt böte auch eine Umverteilung der Agrarsubventionen von der Fläche hin zu besonders umweltschonenden Landwirten eine viel versprechende Maßnahme auf dem Weg zu einer pestizidfreien Landwirtschaft.
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