PFAS: Ewigkeitschemikalien wabern sogar in vermeintlich reinster Luft
Rund 150 Kilometer nördlich von Manaus im brasilianischen Regenwaldgebiet steht der ATTO-Turm: ein 325 Meter hohes Stahlkonstrukt des Max-Planck-Instituts für Chemie in Mainz. Die Luft dort ist weitgehend frei von menschengemachten Schadstoffen und meist sehr rein, sieht man von den zunehmenden Rauchpartikeln ab, die während der Brandsaison in Amazonien von den Rodungsgebieten herbeigeweht werden. Und doch lassen sich dort inzwischen auch nennenswerte Mengen an per- und polyfluorierten Alkylverbindungen (PFAS), auch Ewigkeitschemikalien genannt, in der Atmosphäre nachweisen. Das berichtet eine Arbeitsgruppe um Ivan Kourtchev von der Coventry University, die erstmals für die Region die PFAS in ihren Messungen detektierte.
Insgesamt kennt man heute rund 5000 Stoffe, die zu den PFAS zählen. Wegen ihrer einzigartigen chemischen und physikalischen Eigenschaften wie Temperatur- und Chemikalienbeständigkeit setzt man die gleichermaßen Öl und Wasser abweisenden Stoffe in zahlreichen Konsumgütern und industriellen Anwendungen ein. Da sie unter natürlichen Bedingungen jedoch nur schlecht bis gar nicht abgebaut werden, reichern sie sich in der Umwelt an. Sie tauchten bereits in Proben von den Polen bis zum Äquator auf. Es ist daher wenig überraschend, dass sie sich auch in entlegenen Regionen Amazoniens wiederfinden.
Dennoch war Kourtchev nach eigenen Aussagen »schockiert« vom Nachweis. Das galt auch für die Konzentrationen, die er mit seinem Team messen konnte – selbst wenn bis zu zwei Pikogramm pro Kubikmeter Luft erst einmal nach wenig klingt. Die Fachleute hatten Proben in verschiedenen Höhen genommen, vom Kronendach 42 Meter über Grund bis zur Spitze des Turms, wo die Werte am höchsten ausfielen.
Diese Zunahme mit steigender Höhe belege, dass die Kontamination keine lokalen Ursachen habe, sondern per atmosphärischem Ferntransport verursacht werde, schreiben die Wissenschaftler. Die vorherrschende Windrichtung ist meistens aus Nordosten oder Osten; die nächstgrößeren Städte Belém und Santarém sind 900 beziehungsweise 500 Kilometer entfernt. Die PFAS legen also große Distanzen in der Atmosphäre zurück. Schaum, der zum Feuerlöschen auch bei Waldbränden eingesetzt wird, konnten Kourtchev und Co als Ursache bereits ausschließen. Sie vermuten die Quelle daher eher in Industrieanlagen oder großen Müllhalden der Amazonasmetropolen.
PFAS reichern sich im Körper an und wurden auch schon in Muttermilch nachgewiesen. Einigen Fachleuten zufolge können sie wahrscheinlich das Risiko für Asthma, Schilddrüsenerkrankungen, Colitis ulcerosa sowie für Hoden- und Nierenkrebs erhöhen sowie die Fortpflanzung beeinträchtigen, weil sie den Hormonhaushalt beeinflussen.
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