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Philippe II., Herzog von Orléans: Der Trinker, der mit der Ära des Sonnenkönigs aufräumte

Der Nachfolger war minderjährig, also regierte Philippe über Frankreich. Als notorischer Partygänger erschien er kaum geeignet, doch seine Zeit ließ das gebeutelte Land aufatmen.
Ludwig XIV. und seine Familie als Götter. Gemälde von Jean Nocret aus dem Jahr 1670.
Die Familie Ludwigs XIV. als Göttergemeinschaft im Olymp: Der König thront rechts, sein Bruder, der Herzog von Orléans und Vater von Philippe II., sitzt links. Beide sind umgeben von ihren jeweiligen Kindern und Frauen. Das Gemälde von Jean Nocret stammt aus dem Jahr 1670.

Als der Sonnenkönig starb, tanzte sein Volk. Dabei hatte Ludwig XIV. Frankreich zur wirtschaftlich, politisch und kulturell bestimmenden Macht Europas erhoben. Diese Blütezeit kam allerdings auf Kosten des Volkes. Die Eroberung neuer Gebiete, die Förderung von Künstlern, der Umbau des Schlosses in Versailles und die Verlegung des Hofs – all das zahlte der Monarch mit Steuergeldern. Man nannte ihn zwar Dieudonné (Gottesgeschenk), Sonnenkönig und den Großen, und dennoch wurde Ludwigs Tod »nur von seinen Kammerdienern betrauert und sonst wenigen«, wie Louis de Rouvroy (1675–1755), der Herzog von Saint-Simon, in seinen Memoiren bemerkte, einer der bedeutendsten und ergiebigsten Quellen über den Alltag bei Hof und in der Hauptstadt. »Das ruinierte, bedrückte und verzweifelte Volk dankte Gott in einem skandalösen Taumel für die Erlösung, auf die es in seinen heißesten Wünschen nicht mehr zu hoffen gewagt hatte.«

Mit dem Tod des Königs am 1. September 1715 tauchten auf den Hauswänden der französischen Hauptstadt Schmähschriften und satirische Verse gegen den Verstorbenen auf. Als die Nachricht die Provinzen erreichte, wurden dort Dankgottesdienste abgehalten. Anlässlich des Begräbnisses feierte das Volk spontane Freudenfeste entlang der Route des Trauerzugs vom Schloss Versailles zur Kathedrale von Saint-Denis in Paris, dem Ort der Beisetzung. Es wurde musiziert, getanzt, gelacht, gesungen und viel getrunken. Manch übermütige Feiernde schleuderten dem Sarg auch Flüche, Flaschen oder Steine hinterher.

Die Menschen waren froh, dass Gott sein Geschenk wieder an sich genommen hatte. Denn das Schloss, die Kunst, der Prunk und die Prasserei des Königs hatten Unsummen verschlungen. Zudem war Ludwig mit der Zeit immer eitler, unduldsamer und frömmelnder geworden, seine Politik reaktionär. 1685 widerrief er beispielsweise das kein Jahrhundert zuvor erlassene Edikt von Nantes (1598), das den Protestanten in Frankreich Religionsfreiheit zugestanden hatte, und trieb die Hugenotten aus dem Land. Das gesellschaftliche Klima in den letzten Jahren des Sonnenkönigs war erdrückend. Intoleranz, Zensur und Willkür bestimmten den Alltag.

Philippes Verschleiß an Champagner und Frauen war legendär

Am härtesten aber litt Frankreich unter den ständigen, enorm kostspieligen Kriegen, die Ludwig während seiner langen Herrschaft geführt hatte. Er hatte 72 Jahre lang regiert, davon 54 als absoluter Alleinherrscher, und während 33 von ihnen zog er in den Krieg. Bei seinem Tod hinterließ er Staatsschulden von etwa 3,5 Milliarden Livre – zu einer Zeit, in der es für Staaten nicht üblich war, sich zu verschulden, eine ungeheure Summe. Ernteausfälle und Hungersnöte hatten die Bevölkerung zusätzlich geplagt. Frankreich stand am Abgrund. Es konnte nur besser kommen.

Es kam Philippe II., Herzog von Orléans, ein Neffe des verstorbenen Königs. Da der Thronerbe Ludwig XV. (1710–1774), ein Urenkel des Sonnenkönigs, erst fünf Jahre alt war, übernahm der Herzog für diesen die Regentschaft. Auf den ersten Blick war Philippe ein denkbar ungeeigneter Kandidat für den Posten. Seit seiner Jugend galt der zu diesem Zeitpunkt 41-Jährige als exzessiver Trinker und genusssüchtiger Wüstling. Seine Feste im Palais Royal, der Residenz des Hauses Orléans, waren legendär, sein Verschleiß an Champagner und Frauen ebenso. Ludwig XIV. hatte ihn den »fanfaron de vice« genannt, den Prahlhans des Lasters. Er selbst bezeichnete sich und die Genossen seiner Ausschweifungen als »roué«, wert, gerädert zu werden für ihr lasterhaftes Leben. Zwar hatte er sich im Feld als tapfer und fähig erwiesen, war aufgeklärt, geistreich und umfassend gebildet, für die Staatsspitze schien er aber allzu leichtfertig.

Zur Welt kam Philippe am 2. August 1674 in dem auf halbem Weg zwischen Paris und Versailles gelegenen Schloss Saint-Cloud. Sein Vater war Philippe von Frankreich (1640–1701), der jüngere Bruder Ludwigs XIV., bei Hof schlicht »Monsieur« genannt. Seine Mutter, »Madame«, war dessen zweite Frau Elisabeth Charlotte, Prinzessin von der Pfalz (1652–1722). Jene Liselotte von der Pfalz aus Heidelberg also, die am intriganten Hof von Versailles nicht recht glücklich wurde und sich ihren Frust in abertausenden Briefen an Vertraute in der alten Heimat von der Seele schrieb, von denen noch rund 5000 erhalten sind. Sie sind die zweite üppig sprudelnde Quelle aus der Epoche.

Herkunft aus einem zerrütteten Elternhaus

Die Ehe der Eltern war schwierig. Das lag unter anderem daran, dass der Vater zwar seinen ehelichen Pflichten nachkam, sonst aber lieber mit Männern verkehrte, was Liselotte nicht verborgen blieb. »Der hat nichts in der welt im kopf als seine jungen kerls, umb da ganze nächte mit zu fressen, zu saufen, und gibt ihnen unerhörte summen gelds, nichts kost ihm noch ist zu teuer vor die bursch«, schrieb sie im März 1696 ihrer Tante und Vertrauten Sophie von Hannover und zeigte sich besorgt über den schlechten Einfluss, den ihr Mann auf das gemeinsame Kind haben könnte. »Mein sohns inclinationen sein gut und könnte was rechts werden, wenn ihn Monsieur nicht verdürbe.«

Philippe II. | Acht Jahre lang herrschte der Herzog von Orléans an Stelle des minderjährigen Thronfolgers Ludwig XV. Das Bild malte Jean-Baptiste Santerre um das Jahr 1715.

Und tatsächlich neigte der Herzog von Chartres, wie Philippe bis zum Tod seines Vaters tituliert wurde, von Jugend an zum Exzess. Seine unbestimmte Stellung bei Hof begünstigte sicherlich die Lust des Jungen an Ausschweifungen. Er war zwar in den engsten Kreis der königlichen Familie hineingeboren, aber wie sein Vater, der ein Leben im Schatten des Bruders führen musste, würde auch er sich aller Voraussicht nach stets mit einem Platz in der zweiten Reihe begnügen müssen. Wie es eben so ist bei royalen Sprösslingen mit geringen Chancen auf die Thronfolge: Sie werden nur im Notfall gebraucht, im höfischen Alltag hat man im Grunde keine Verwendung für sie. Ludwig XIV. ließ seinen Neffen das auch durchaus spüren, schreibt Saint-Simon. »Er liebte ihn nie, fürchtete ihn stets.«

Eine standesgemäße Erziehung erhielt Philippe selbstverständlich trotzdem. Ab dem neunten Lebensjahr unterrichtete ihn der Priester Guillaume Dubois (1656–1723) in einem breiten Spektrum von Fächern. Besonders Geschichte, Geografie und die Naturwissenschaften lagen dem überdies musisch begabten Jungen. Er komponierte sogar Opern, die bis heute zur Aufführung gelangen. Dubois blieb dem Herzog ein Vertrauter fürs Leben und diente ihm während der Regentschaft als Außen- sowie als Premierminister.

Feste und Frauen zum Trost über die aufgezwungene Ehe

Mit 18 Jahren heiratete Philippe auf Geheiß des Königs dessen Tochter Françoise Marie de Bourbon (1677–1749), Mademoiselle de Blois. Sie war eines von Ludwigs legitimierten Kindern, also jenen Nachkommen, die er mit seiner Mätresse Madame de Montespan gezeugt hatte. Der junge Herzog fügte sich widerwillig, doch Liselotte war außer sich vor Gram über die Hochzeit mit dem »Bastard«, zumal sie der Braut, »ein unangenehm und boshaft ding«, nichts abgewinnen konnte. Der Bräutigam tröstete sich mit anderen Frauen und noch mehr Festen. »Der Abscheu vor einer aufgezwungenen und derart ungleichen Ehe brachte ihn dazu, sich mit anderen Vergnügungen schadlos zu halten«, meinte Saint-Simon trocken.

Auch abseits der ständig wechselnden Liebschaften und der rauschenden Feste verhielt sich Philippe auffällig. Er war wahrscheinlich Atheist, zumindest Agnostiker, hatte zugleich aber einen Hang zu Esoterik und soll sogar an Teufelsbeschwörungen teilgenommen haben. Doch vielleicht war das nur ein Gerücht. Davon gab es schließlich viele – auch weit bösartigere. Ein besonders perfides kam auf, als Ludwig XIV. 1711 und 1712 den Tod gleich dreier Thronfolger hintereinander zu beklagen hatte. Damals verstarben in kurzer Reihenfolge sein Sohn Ludwig, der »Grand Dauphin«, ein gleichnamiger Enkel, der Herzog von Burgund, sowie ein Urenkel, ebenfalls Ludwig genannt und Herzog der Bretagne. Der erste war den Pocken erlegen, die beiden anderen den Masern. Dennoch wurde bei Hof geredet. Es hieß, Philippe habe sie vergiften lassen, um selbst dem Thron näher zu rücken.

Das Gerücht entbehrte jeder Grundlage, und auch der König glaubte es nicht, doch es war in der Welt. »Diese Verleumdung fand die schnellste Verbreitung am Hof, in der Stadt Paris und im ganzen Land, alsbald in ganz Europa«, notierte Saint-Simon. »Die Seele aller gegen den Herzog von Orleans gerichteten Ränke war der Herzog von Maine.« Dieser, Louis Auguste I. de Bourbon (1670–1736), war ein Bruder von Philippes Gemahlin, also ebenfalls ein nachträglich legitimierter »Bastard« sowie Philippes Intimfeind.

Der neue Regent riss die Macht an sich

Für seinen Tod hatte Ludwig XIV. testamentarisch einen Regentschaftsrat für die Zeit der Minderjährigkeit des neuen Königs verfügt. Diesem sollte der Herzog von Orléans als Präsident vorstehen, der Herzog von Maine aber sollte für die Erziehung Ludwigs XV. zuständig sein. Philippe ließ das Testament schon am Tag nach dem Ableben des Sonnenkönigs zu seinen Gunsten ändern. Dafür beauftragte er das Parlament von Paris, einen jener »parlaments« genannten Gerichtshöfe in Frankreich, deren Rechte und Befugnisse der Sonnenkönig über Jahrzehnte immer weiter beschnitten hatte. Der Herzog von Orléans übernahm die alleinige Regentschaft.

Mit ihm veränderte sich das politische Klima. Das ließ bereits sein Werben um die Unterstützung des lange ungehörten Parlaments erkennen. Kaum ins Amt gekommen, verlegte Philippe zudem den Hof von Versailles nach Paris, wo er im Palais Royal residierte. Er lockerte umgehend die Zensur und veranlasste die Neuauflage von Werken der Aufklärung, die sein Onkel hatte unterdrücken lassen. Vor allem aber hatte er sich mit der Sanierung des desolaten Staatshaushalts zu beschäftigen. Philippe beauftragte damit den schottischen Abenteurer John Law (1671–1729), der eine finanzpolitische Revolution vorantrieb, die Frankreich zunächst einen fantastischen Aufschwung bescherte, jedoch in einer der größten Krisen des frühen Kapitalismus endete.

Liselotte von der Pfalz | Die Prinzessin war die zweite Ehefrau von Philippes Vater. Am französischen Hof war sie extrem unglücklich und schrieb sich den Frust in zahlreichen Briefen von der Seele. Das Gemälde von Hyacinthe Rigaud entstand zwischen 1710 und 1720.

Doch selbst nach dem großen Krach nahm das Land eine positive Entwicklung. Der Philosoph und Schriftsteller Voltaire (1694–1778) beklagte später zwar die »Scharlatanerien« Laws, die aus der »friedlichsten und glücklichsten Regentschaft die stürmischste« gemacht und viel Privatvermögen zerstört hätten. Letztlich sei die Nation aber »geschäftstüchtiger und reicher« aus der Krise gekommen.

Kaum Kriege, dafür viele Feste

Auf Kriege verzichtete Philippe fast vollständig. Einzig gegen Spanien zog er ins Feld. Dort regierte mit Philipp V. (1683–1746) ein Enkel Ludwigs, der zwar vertraglich auf den französischen Thron verzichtet hatte, der jedoch Ambitionen verspürte, die Regentschaft an Philippes Stelle zu übernehmen. Dubois gelang es durch geschickte Geheimdiplomatie, ein Bündnis mit Frankreichs einstigen Feinden Großbritannien, den Niederlanden und Österreich zu schmieden. Diese Quadrupelallianz setzte sich in dem nach ihr benannten Krieg, der von 1717 bis 1720 dauerte, durch. Dubois war es auch, der eine prospanische Verschwörung gegen den Regenten aufdeckte, der sich der Herzog und die Herzogin von Maine angeschlossen hatten. Nach kurzer Haft wurden beide verbannt.

Laut seinen Zeitgenossen war Philippe ein durchaus pflichtbewusster Regent, der dem minderjährigen König zudem in ehrlicher Zuneigung verbunden war. Er arbeitete hart und feierte ebenso. Seine Tage widmete er bis zum späten Nachmittag konzentriert den Regierungsgeschäften. Sobald aber der Abend nahte, wurde das Personal weggeschickt und die Pforten des Palais Royal schlossen sich für die Nacht. Dann begannen die »petits soupers«, die alles andere als bescheiden waren. Zu ihnen kam der Herzog mit seinen Freunden, den »roués«, und wechselnden Damen zusammen, um bis in die frühen Morgenstunden in Genüssen zu schwelgen.

Nacht für Nacht wurde maßlos getrunken und gegessen, und Nacht für Nacht mündeten die Soupers in Orgien – hieß es. Auch von »fêtes d’Adam« wurde gemunkelt, die ausschließlich nackt gefeiert wurden. Nachgewiesen sind die Eskapaden nicht, schließlich wusste außer den Teilnehmenden niemand Bescheid, was wirklich vor sich ging. Doch man hatte zumindest eine Ahnung. »Nun zwingt er sich nicht mehr in seinen gallanterien, leuft ganze nächte herumb, welches er zu des königs zeiten nicht tun konnte«, berichtete Liselotte im November 1721 in einem Brief an ihre Halbschwester, die Raugräfin Luise.

Wie der Vater, so die Tochter

Dass gelegentlich die Lieblingstochter des Herzogs, Marie Louise Élisabeth d’Orléans (1695–1719), an den Soupers teilnahm und der Vater gerne ihre mehr als ausgelassenen Feste besuchte, gab Anlass zu weiteren Gerüchten. Die früh verwitwete Prinzessin von Frankreich und Herzogin von Berry war für ihre zahlreichen Liebhaber berühmt und für die Schamlosigkeit, mit der sie diese wechselte. Bald schon wurde ein inzestuöses Verhältnis von Vater und Tochter vermutet. Der junge Schriftsteller François-Marie Arouet musste 1717 für elf Monate in die Bastille, weil er wiederholt Verse vorgetragen hatte, in denen er auf diese vermeintliche Beziehung anspielte.

Als er nur zwei Jahre darauf, nunmehr unter dem Künstlernamen Voltaire, seine erste Tragödie »Oedipe« auf die Bühne brachte, die Geschichte des blutschänderischen Königs Ödipus, wohnten Vater und Tochter demonstrativ gelassen der Premiere bei. Der Regent gewährte dem Dichter überdies eine Rente von 1200 Livre, die Herzogin besuchte noch über ein Dutzend Vorstellungen.

Philippes Regentschaft prägte sich derart in die französische Geschichte ein, dass sie wenige Jahre nach seinem Tod als die Régence schlechthin galt

Die verschlossenen Tore des Palais Royal regten die Fantasie jener an, die nicht eingelassen wurden, zugleich waren sie der Ausdruck eines grundlegenden Kulturwandels während der so genannten Régence, der Regierungszeit Philippes. Das Leben Ludwigs XIV. war pompös und repräsentativ gewesen, hatte vor aller Öffentlichkeit stattgefunden. Vom Morgenritual des »Lever du Roi« bis zum Zubettgehen agierte der Sonnenkönig gleichsam vor den Augen der Welt, immer in majestätischer Haltung. Mit den »petits soupers« des Herzogs von Orléans erhielt der Begriff der Privatsphäre eine bis dahin nicht gekannte Bedeutung im gesellschaftlichen Leben Frankreichs, die im Lauf des 18. Jahrhunderts für Adel und Bürgertum noch so wertvoll werden sollte.

Festliche Bälle für alle

Es gab auch weniger private Feste. Vor allem große Maskenbälle kamen während der Régence in Mode – und blieben es für den Rest des Jahrhunderts. Der Regent und seine Freunde waren längst nicht die einzigen in Feierlaune. »Wie nach dem Sturz der Puritanerherrschaft in England wollte man nun auch in Frankreich sich für die langen Entbehrungen und Bevormundungen des alten Régimes schadlos halten, indem man den Genuss zum Alleinherrscher des Lebens erhob und alle Tugend für Heuchelei, alle gute Sitte für Prüderie erklärte«, meinte der Historiker Egon Friedell (1887–1938) in seiner »Kulturgeschichte der Neuzeit«. Um der Nachfrage der Pariserinnen und Pariser entgegenzukommen, öffnete der Herzog sogar sein Palais Royal für die Öffentlichkeit. Dreimal wöchentlich fanden in dessen Opernsaal Bälle statt, auf denen das Volk gegen wenige Sous Eintrittsgeld seinem Regenten nacheifern und sich bis in die Morgenstunden amüsieren konnte, wie der Historiker und Politologe Jean-Christian Petitfils in seinem Buch über Philippe berichtet.

Mit der Volljährigkeit Ludwigs XV. am 16. Februar 1723 endete die Regentschaft. Philippe diente dem König noch einige Monate als Premierminister. Doch das exzessive Leben hatte seinen Preis. »Mein sohn ist incapable, mehr als zwey oder 3 tag, diet zu halten«, hatte Liselotte ihrer Halbschwester geschrieben. »Diese verteufelte compagnie, wo er bey alle nacht zu nacht ißt und sein an tafel bis 3 oder 4 uhr mogens, das muß gewiss ungesund sein.« Das war es. Am 2. Dezember 1723 erlag Philippe einem wiederholten Schlaganfall, mit gerade einmal 49 Jahren.

Nur acht Jahre hatte Philippes Regentschaft gedauert, und doch prägte sie sich derart nachdrücklich in die französische Geschichte ein, dass sie schon wenige Jahre nach seinem Tod als die Régence schlechthin galt. Dabei hatte es in Frankreich bis dahin schon insgesamt 18 derartige stellvertretende Regierungen gegeben. Schließlich hatte auch Ludwig XIV. zunächst die Regentschaften seiner Mutter und des Kardinals Mazarin abgewartet. Erst im Alter von 22 Jahren übernahm er die Regierungsgeschäfte selbst. Dennoch denkt jede Französin und jeder Franzose selbst nach drei Jahrhunderten bei den Worten Régent und Régence zuerst an Philippe II. und seine Epoche – mittlerweile ausgesprochen positiv besetzt.

Das war nicht immer so. Das ganze 18. Jahrhundert hindurch, insbesondere aber den Revolutionären ab 1789 galt Philippe als Verderber der Sitten und Inbegriff aristokratischer Dekadenz. Ein Aspekt, der im Jahrhundert darauf das Interesse von Autoren wie Honoré de Balzac (1799–1850) auf den Regenten lenkte. Heute beinhalten Régent und Régence »einen unbestimmten Beiklang von feiner Lebensart«, schreiben der Literaturwissenschaftler Denis Reynaud und die Historikerin Chantal Thomas in einer Essaysammlung. Beide Begriffe würden »eine gewisse Nostalgie für das Ancien Régime ausdrücken«, ohne diese Zeit zu glorifizieren.

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