News: Physik-Höhepunkte des Jahres 2001
Bereits im Februar des Jahres überraschten Jun Akimitsu und seine Kollegen von der Aoyama-Gakuin University in Tokio die Fachwelt damit, dass die vergleichsweise einfache Verbindung Magnesiumdiborid schon bei 38 Kelvin supraleitend wird. Zwar gibt es keramische Supraleiter, die wesentlich höhere Übergangstemperaturen besitzen, für metallische Supraleiter markiert die Entdeckung jedoch einen neuen Rekord. Offensichtlich hatten Forscher diese Elementkombination schlichtweg übersehen, als sie in den fünfziger Jahren systematisch unter den Übergangsmetallen nach Supraleitern fahndeten.
Nachdem die Entdeckung bekannt wurde, befassten sich zahlreiche Forschergruppen weltweit mit Magnesiumdiborid, um den Mechanismus hinter der Supraleitung genauer zu verstehen und mögliche Anwendungen auszuloten.
Temperaturrekord bei metallischen Supraleitern
Elektronen und Atome schwingen im Takt
Neuer Supraleiter in Form von Nanodrähten
Licht bleibt stehen
Ebenfalls zu Jahresbeginn und nicht minder spektakulär war die Entdeckung von Lene Vestergaard Hau von der Harvard University und ihren Kollegen: Den Physikern gelang es, einen Lichtstrahl abzubremsen, einige Millisekunden festzuhalten und danach wieder frei zu lassen. Zur Erinnerung: Licht breitet sich im Vakuum mit rund 300 000 Kilometern pro Sekunde aus – nichts ist schneller. Zwar ist seine Ausbreitungsgeschwindigkeit in Materie etwas geringer, doch um es vollständig zu stoppen, bedarf es schon eines tieferen Griffs in die Trickkiste.
Die Forscher vollbrachten das Kunststück, indem sie den Lichtstrahl in eine Wolke ultrakalter Atome lenkten und diese blitzschnell von transparent auf lichtundurchlässig schalteten. So verkürzte sich der eigentlich Kilometer-lange Puls auf wenige Zehntel Millimeter innerhalb der Wolke. Bereits zwei Jahre zuvor gelang es den Wissenschaftlern mit einer ähnlichen Technik, Licht auf 17 Meter pro Sekunde abzubremsen.
Vollbremsung eines Lichtstrahls
Neue Einblicke dank ultrakurzer Laserpulse
Früher war es undenkbar, die superschnellen Prozesse einer chemischen Reaktion zu verfolgen. Doch seit mit neuartiger Lasertechnik ultrakurze Lichtblitze von wenigen Femtosekunden Dauer zur Verfügung stehen, lassen sich auch schnell bewegte Atome und Moleküle "ablichten" – ganz ähnlich einer guten Spiegelreflexkamera, die dank kurzer Verschlusszeiten selbst Formel-1-Rennwagen still stehen lässt.
Doch selbst Femtosekunden (10-15 Sekunden) sind noch für manchen physikalischen Prozess zu lang. Nun jedoch gelang es Michael Hentschel von der Technischen Universität Wien und seinen Kollegen, Lichtblitze von einigen hundert Attosekunden
(10-18 Sekunden) Dauer zu erzeugen. Damit ließen sich zum ersten Mal äußerst schnelle elektronische Prozesse in einer Wolke aus Kryptongas beobachten.
Weiterhin zeigten Physiker in diesem Jahr auch, dass die Oszillationen des sichtbaren Lichts in einem Femtosekunden-Puls als Pendel einer optischen Uhr zu nutzen wären, die siebenmal genauer als jede Atomuhr liefe.
Chemische Reaktion in Zeitlupe?
Kurze Blitze machen die Welle
Blitzschnell abgeschirmt
Kürzer, schneller, besser
Pünktlichkeit ist eine Zier
Von den Ursprüngen des Universums
Im April des Jahres gaben die Ergebnisse von drei unabhängigen kosmologischen Experimenten Rückendeckung für ein Modell, dass die Kinderstube unseres Universums beschreibt. Demnach erlebte das Universum in einem Alter von 300 000 Jahren eine Periode schneller Expansion. Während das heiße Plasma abkühlte und die ersten Elemente entstanden, wurde ein intensiver Fluss an Photonen freigesetzt. Mit der Zeit und forschreitender Expansion wurden die Wellenlängen dieser Photonen bis in den Mikrowellenbereich gestreckt.
Diese Mikrowellenstrahlung lässt sich heute noch nachweisen. Ihre Fluktuationen zeugen vermutlich von der Verteilung der Materie im frühen Universum. Die Experimente Boomerang, Dasi und Maxima maßen den kosmischen Mikrowellenhintergrund mit bisher unerreichter Genauigkeit und bestätigten damit das so genannte inflationäre Modell. Von einer NASA-Sonde der Microwave Anisotropy Probe, die im Juni gestartet wurde, erwarten sich die Forscher noch präzisere Messungen eines noch größeren Himmelsbereichs.
Teilchenrätsel lüften sich
Astronomen erklärten in diesem Jahr, auch für ein weiteres Problem eine Lösung gefunden zu haben: Denn lange Jahr wunderten sie sich, wo denn die in der Sonne entstehenden Neutrinos bleiben, da auf der Erde nur ein Bruchteil der theoretisch zu erwartenden Zahl ankommt. Offenbar wandeln sich die unscheinbaren Teilchen jedoch auf ihrem Weg von der Sonne um, sie wechseln den Flavor, und werden dadurch unsichtbar für die Detektoren auf der Erde.
Und auch ein weiteres Mysterium scheint sich zu lichten: warum die Natur hauptsächlich aus Materie und nicht aus Antimaterie besteht. Physiker fanden nämlich erste Hinweise für die so genannte CP-Verletzung bei B-Mesonen. Die Verletzung der P-Symmetrie bedeutet, dass sich ein System bezüglich einer Raumspiegelung nicht symmetrisch verhält – die Natur ist sozusagen schwach linkshändig. Eine Verletzung der C-Symmetrie heißt, dass sich Teilchen und Antiteilchen nicht spiegelbildlich zueinander verhalten. Wissenschaftler vermuten, dass mit der CP-Verletzung das Ungleichgewicht zwischen Materie und Antimaterie in unserem heutigen Universum zu erklären sei.
Veränderliche Naturkonstante
Nun scheint es sicher: Die Feinstrukturkonstante, welche die Stärke der Wechselwirkung zwischen geladenen Teilchen und elektromagnetischen Felder bestimmt, hat sich im Laufe der Jahrmillionen verändert. John Webb von der University of New South Wales in Australien und seine Kollegen untersuchten die Spektren von Quasaren – den hellen aktiven Kernen von Galaxien. Die Differenz zwischen zwei Absorptionslinien in diesen Spektren gab dabei Aufschluss über die Größe der Konstante. Da ein Blick in die Tiefe des Alls auch immer ein Blick in die Vergangenheit ist, konnten die Forscher so die Veränderungen an verschiedenen Elementen feststellen. Offenbar liegt die Wahrscheinlichkeit dafür, dass sich die Konstante seit dem Urknall nicht geändert hat, nur noch bei 0,001 Prozent.
Hinweise auf veränderliche Naturkonstante verdichten sich
Nobelpreis für Quantenkondensate
Schon in den zwanziger Jahren hatte man sie vorausgesagt, doch erst in den Neunzigern gelang es Eric Cornell, Wolfgang Ketterle und Carl Wieman zum ersten Mal, ein Bose-Einstein-Kondensat zu erzeugen. Dazu mussten sie eine Atomwolke durch ausgeklügelte Kühlverfahren auf Bruchteile eines Kelvins abkülen. Für diese Leistung wurden die drei Physiker in diesem Jahr mit dem Nobelpreis für Physik ausgezeichnet. Seit der Entdeckung dieser Form der Materie, bei der sich alle Atome im Grundzustand befinden und gewissermaßen ein Superatom bilden, ist die Forschung schnell vorangeschritten. So konnten Forscher in diesem Jahr zum ersten Mal je ein Kondensat aus Helium und Kalium herstellen. Physiker glauben, dass die Kondensate das Herzstück einer neuartigen Technik bilden könnten, die von Atom-Schaltkreisen bis zum Quantencomputer reicht.
Physik-Nobelpreis: Manifestation eines Superatoms
Wirbelnde Quantenkringel
Spurlos verschwunden
Quanten-Mischmasch
Dynamisches Tunneln eines Bose-Einstein-Kondensats
Bose-Einstein-Kondensation auf rein optischem Wege
Bose-Einstein-Kondensat ähnelt Schweizer Käse
Organische Supraleiter und Magnete
Leitfähige Polymere gab es schon länger, doch seit diesem Jahr können Wissenschaftler auch supraleitende Kunststoffe, herstellen und auch der Magnetismus bleibt den Materialien nicht vorenthalten. Dabei stellte das supraleitende Polymer für die Wissenschaftler der Bell Laboratories nur die letzte einer ganzen Reihe von neuartigen organischen Verbindungen dar. Unterhalb einer Temperatur von 2,53 Kelvin verliert es seinen elektrischen Widerstand. Aber auch die Übergangstemperatur von Fullerenen konnte mit Unterstützung von Fremdatomen auf 117 Kelvin erhöht werden. Schließlich entdeckten französische Wissenschaftler, dass auch die Erbsubstanz DNA Strom widerstandslos zu transportieren vermag – vorausgesetzt, es ist kalt genug, nämlich unterhalb eines Kelvins. Warum sich die DNA jedoch derart verhält, ist bis heute ungeklärt.
Physiker der University of Nebraska schufen hingegen ein Polymer, das sowohl ferromagnetische als auch antiferromagnetische Züge aufwies: Sie hatten die einzelnen Segmente so zusammengefügt, dass sich starke und schwache magnetische Momente einander abwechseln. Zwar ist das Material rund zwanzigmal weniger magnetisch als Eisen, doch immerhin rund hundertmal so magnetisch wie der erste Kohlenstoffmagnet, den Wissenschaftler ebenfalls in diesem Jahr herstellen konnten. Denn Tatiana Makarova vom Ioffe Physico-Technical Institute in St. Petersburg fand zusammen mit ihren Kollegen, dass ein Polymer aus Fullerenen magnetisch ist.
Supraleitung bei Fullerenen jetzt schon bei 117 Kelvin
Supraleitende Nanoröhrchen
Plastikmagnet
Magnetischer Kohlenstoff
Nanoröhrchen als elektronische Bauelemente
Langsam aber sicher verliert das Nanoröhrchen seinen Status einer physikalischen Kuriosität und gewinnt an technischer Bedeutung. Die Winzlinge aus einer aufgerollten Graphitebene besitzen nämlich erstaunliche elektronische Eigenschaften, wahlweise als normaler Leiter, als Halbleiter oder gar als Supraleiter. So konnten Vincent Derycke und seine Kollegen am T.J. Watson Research Center in Yorktown Heights daraus elektronische Schaltelemente herstellen und sogar ein grundlegendes logisches Gatter aufbauen.
Logisches Röhrchen
Zweispuriger Elektronenverkehr
Nanoröhrchen in den Startlöchern
Physiker schauen über den Tellerrand
Neben ihren angestammten Gebieten wenden Physiker ihre Methoden auch immer mehr in Randgebieten der Physik an. Das zeigt sich auch in diesem Jahr in zahlreichen Veröffentlichungen, die man normalerweise nicht der Physik zuschreiben würde. Von der Technik über die Biologie und Medizin bis hin in den Wirtschaftswissenschaften versuchen sich Physiker an der zunächst fremden Materie. Dabei untersuchten sie unter anderem den Flug von Hummeln, sie verglichen das Lernverhalten von Schülern mit magnetischen Modellen und entdeckten Gemeinsamkeiten zwischen Finanzmärkten und Verbrennungsprozessen.
Haltungsnoten für Hummeln
Viel Wirbel um kleine Flügel
Spiel mit dem Feuer
Magnetische Schüler
Die Schattenseiten
Wie in jedem Jahr, so mussten Physiker auch im Jahr 2001 so manchen herben Rückschlag erleben. So stellte sich zum Beispiel heraus, dass das Element 118 wieder von den Periodensystemen verschwinden muss. Im Jahr 1999 feierten Wissenschaftler seine Entdeckung, doch Forscher am Lawrence Berkeley National Laboratory konnten dieses Ergebnis nicht reproduzieren. Die vermeintlichen Entdecker zogen daraufhin ihre Arbeit zurück.
Ein wechselhaftes Jahr durchlebte auch die europäische Großforschungsanlage CERN. Offenbar wurden hier die Kosten für die Magneten des Large Hadron Collider zu gering angesetzt, jedenfalls fiel die endgültige Rechnung rund 20 Prozent höher aus als erwartet und fraß mit insgesamt 3,7 Milliarden Schweizer Franken ein tiefes Loch in das Budget.
Schließlich führte eine Unfall am japanischen Super-Kamiokande dazu, dass die meisten der rund 11 000 Photodetektoren explodierten. Mit einem Preis von 3000 US-Dollar pro Exemplar beläuft sich der Gesamtschaden dabei auf rund 30 Millionen Dollar. Im Jahr 1998 fanden Wissenschaftler am Super-Kamiokande deutliche Hinweise darauf, dass das Neutrino eine Ruhemasse besitzt.
Unfall zerstört unzählige Detektoren einer japanischen Großforschungsanlage
Doch kein Element 118
Fehlerhafte Kosteneinschätzung beim CERN
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