Kernphysik: Physiker enthüllen das Innere des Atomkerns
Seit Jahrtausenden versucht die Menschheit, die Grundbausteine unserer Welt zu finden. Bereits aus der Antike stammt das atomistische Weltbild, wonach sich das Universum aus winzigen, unteilbaren Einheiten zusammensetzt. Die Entdeckung von Atomen zu Beginn des 19. Jahrhunderts bestätigte diese Auffassung. Doch inzwischen ist klar: Atome sind keineswegs unteilbar. Sie bestehen aus kleineren Bausteinen, den Elektronen, die einen positiv geladenen Kern aus Neutronen und Protonen umkreisen. Anfang der 1960er Jahre kristallisierte sich zudem heraus, dass auch Neutronen und Protonen aus kleineren Grundbausteinen, den Quarks und Gluonen, aufgebaut sind.
Damit scheint das Verständnis von Atomkernen – zumindest vorläufig – vollständig. Doch es gibt ein Problem: Die Quantenfeldtheorie, die das Zusammenspiel von Quarks und Gluonen beschreibt, ist so kompliziert, dass sich damit kaum etwas ausrechnen lässt. Deswegen greifen Fachleute auf vereinfachte Modelle zurück, um beispielsweise die Anregungsenergien oder die Form eines Atomkerns zu bestimmen. Dabei werden insbesondere zwei unterschiedliche Ansätze genutzt, je nachdem, bei welchen Energien man die Kerne untersucht. »Bisher gab es zwei parallele Beschreibungen von Atomkernen, eine auf der Grundlage von Protonen und Neutronen, die wir bei niedrigen Energien sehen können, und eine andere, für hohe Energien, auf der Grundlage von Quarks und Gluonen. In unserer Arbeit ist es uns gelungen, diese beiden bisher getrennten Welten zusammenzubringen«, sagt der Physiker Aleksander Kusina von der polnischen Akademie der Wissenschaften in Krakau. Das Team um Kusina hat die Arbeit nun in der Fachzeitschrift »Physical Review Letters« veröffentlicht.
Quarks und Gluonen folgen den Regeln der so genannten starken Kernkraft, einer der vier Grundkräfte unserer Welt. Sie hat eine sehr kurze Reichweite, ist dafür aber extrem stark – etwa 100-mal stärker als die elektromagnetische Kraft. Die starke Kernkraft sorgt dafür, dass Quarks durch Gluonen aneinandergebunden werden und so Protonen und Neutronen bilden, die den Atomkern aufbauen. Die »Quantenchromodynamik« beschreibt die Phänomene auf dieser Ebene. Allerdings ist man zur Lösung der dazugehörigen Gleichungen auf intensive Unterstützung durch Computer angewiesen und kann in der Regel nur für Einzelfälle konkrete Ergebnisse berechnen.
Zwei ungleiche Theorien
Deswegen greifen Fachleute auf Vereinfachungen zurück, um Atomkerne mathematisch zu untersuchen. Manchmal genügt es, Protonen und Neutronen als einzelne Teilchen zu betrachten (»Nukleonen-Modell«), während in anderen Fällen ein detailliertes Bild nötig ist. Dazu dient meist das so genannte Parton-Modell. In diesem bestehen Protonen und Neutronen aus mehreren »Partonen«, die sowohl für Quarks als auch für Gluonen stehen können. Das Parton-Modell ähnelt daher der vollständigen Theorie, der Quantenchromodynamik, ignoriert aber das komplexe Zusammenspiel der Quarks und Gluonen untereinander. Mit diesen zwei unterschiedlichen Modellen beschreiben Fachleute seit Jahrzehnten die Form der Atomkerne und wie die Teilchen in ihnen angeordnet sind.
Die Vorhersagen lassen sich in Laboren untersuchen. Elektronen, die in Teilchenbeschleunigern auf Atomkerne schießen, können deren Struktur offenbaren. Haben die Elektronen eine geringe Energie, musste man bisher die experimentellen Ergebnisse durch das Nukleonen-Modell beschreiben. Bei hohen Energien werden die Elektronen allerdings auch durch Quarks und Gluonen innerhalb der Nukleonen beeinflusst, so dass hier das Parton-Modell greift. Insbesondere lässt sich damit die Verteilung der Quarks und Gluonen bestimmen, durch die sich messbare Phänomene wie die Erzeugung von Teilchen vorhersagen lassen.
Die Forschenden um Kusina haben das Parton-Modell nun erweitert, damit es mit dem niederenergetischen Nukleonen-Modell vereinbar ist. Damit konnten sie erstmals anhand der Quark-Gluonen-Verteilungen vorhersagen, welche Protonen und Neutronen in Kernen paarweise am stärksten aneinandergebunden sind – etwas, das bisher nur das Nukleonen-Modell erklären konnte. »Wir haben Verbesserungen vorgenommen, um das Phänomen der Paarung von bestimmten Nukleonen zu simulieren. Wir haben nämlich erkannt, dass dieser Effekt auch auf der Ebene der Partonen relevant sein könnte«, sagt Kusina. Besonders interessant sei hierbei, dass sich dadurch die theoretische Beschreibung des Modells vereinfacht habe und die Fachleute künftig Parton-Verteilungen für einzelne Atomkerne genauer untersuchen können, fügte der Physiker hinzu.
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