Depression: Ein Placebo unterstützt die Psychotherapie
Ein vermeintliches Naturheilmittel hilft beim Entspannen und lindert Depressionen. Das ist das Ergebnis eines Experiments, das Psychologinnen von der Universität Graz im Rahmen einer kurzen Gruppentherapie durchgeführt haben. »Das Placebo veränderte Verhalten und subjektives Erleben«, berichten Nina Jurinec und Anne Schienle im »Journal of Affective Disorders«.
Die Psychologinnen hatten 126 Erwachsene mit Depressionen, überwiegend Frauen, zu einer wöchentlich stattfindenden Gruppentherapie eingeladen. Über vier Sitzungen wurden unter anderem Informationen über die Krankheit sowie Entspannungstechniken vermittelt. Als Hausaufgabe standen täglich eine Viertelstunde Entspannungsübungen auf dem Plan, wahlweise eine Atemtechnik, eine Imaginationstechnik oder progressive Muskelrelaxation.
Der Clou: Zehn Minuten vor den Übungen sollte ein Teil der Versuchspersonen drei Tropfen aus einem kleinen Fläschchen einnehmen, beschriftet mit »Rosenwurz«. Das Naturheilmittel verhelfe zu mehr innerer Stärke und wecke die natürlichen Heilkräfte des Körpers, hieß es. Das Placebo, eigentlich gewöhnliches Sonnenblumenöl, brachte den erhofften Effekt. Die vermeintlich mit Rosenwurz gestärkten Teilnehmer berichteten über tiefere Entspannung, und sie führten ihre Übungen deutlich öfter durch als die Gruppe ohne Placebo – an rund 18 anstatt 11 von 21 möglichen Tagen.
Noch dazu minderten die Placebo-Tropfen auch depressive Symptome, wie die Angaben im Beck-Depressions-Inventar zeigten, einem gängigen Depressionsfragebogen. Eingangs erreichten beide Gruppen ebenso wie eine Wartekontrollgruppe durchschnittliche Werte zwischen 22 und 24, ein Hinweis auf eine mittelgradige Depression. Nach dem Kurs kamen die Teilnehmer ohne Placebo immer noch auf einen Score von knapp 17, was einer leichten Depression entspricht. Bei jenen, die zusätzlich das Placebo bekommen hatten, fiel er auf 13,4 und damit knapp unter die Grenze einer leichten Depression.
»Ein Placebo kann Patienten mit Depressionen motivieren, eine Entspannungstechnik häufiger und wirksamer zu üben«
Nina Jurinec und Anne Schienle, Universität Graz
»Das Placebo kann Patienten mit Depressionen motivieren, eine Entspannungstechnik häufiger und wirksamer zu üben«, schließen die Psychologinnen daraus. Mit der Einnahme des Mittels sei die Erwartung gestiegen, dass die Entspannungsübungen tatsächlich wirken. Viele Menschen mit Depressionen haben wenig Antrieb und können sich nicht gut konzentrieren; es fällt ihnen häufig schwer, regelmäßig zu Hause Übungen durchzuführen.
Da es sich vorwiegend um Frauen mit der Diagnose einer leichten oder mittelgradigen Depression handelte, lässt sich das Ergebnis nicht einfach auf andere Betroffene übertragen. Die Forscherinnen sehen außerdem noch offene Fragen: Was wäre zum Beispiel, wenn die Versuchspersonen wüssten, dass es sich um ein Scheinmedikament handelt? Es könnte dennoch helfen, wie eine ältere Studie nahelegt.
Der Placeboeffekt ist keine Einbildung und beschränkt sich auch nicht auf subjektives Erleben. Scheinmedikamente wirken nachweislich auf den Körper: Die Erwartung, gesund zu werden, setzt körpereigene Opioide frei. Bei Antidepressiva beziffert man den Anteil des Placeboeffekts an der Gesamtwirkung auf bis zu 50 Prozent.
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