Planetenforschung: Ios Vulkanen in den Schlund geblickt
In den letzten zwölf Monaten flog die NASA-Raumsonde Juno bei ihren Umläufen um den Riesenplaneten Jupiter mehrfach in unterschiedlich großen Abständen an Io vorbei, dem innersten der vier großen Monde (siehe SuW 5/2024, S. 26). Bei ihren Annäherungen nahm die Sonde mit ihrer Kamera JunoCAM zahlreiche Bilder im Visuellen auf. Aber auch der Jovian Infrared Auroral Mapper (JIRAM) kam zum Einsatz, dessen Hauptaufgabe die Untersuchung tieferer Schichten der Jupiteratmosphäre 50 bis 70 Kilometer unterhalb der sichtbaren Wolkenoberfläche ist. Dafür wird mit JIRAM im Bereich des nahen und mittleren Infraroten beobachtet.
Ein internationales Team um Alessandro Mura vom Istituto Nazionale di Astrofisica in Rom wertete Messdaten von JIRAM von den Vorbeiflügen im Mai und Oktober 2023 aus, als Juno in Abständen von 35 000 beziehungsweise 13 000 Kilometern an Io vorbeizog. Die Analyse der Daten der beiden wesentlich engeren Vorbeiflüge im Dezember 2023 und Februar 2024 hat dagegen gerade erst begonnen und konnte in der Publikation in Nature Communications Earth & Environment noch nicht berücksichtigt werden. Die weniger detaillierten Bilder von JIRAM von den vorherigen Vorbeiflügen bieten jedoch ebenfalls Interessantes.
Riesige Vulkan-Kessel
Es zeigt sich, dass die meiste vulkanische Aktivität auf Io in vulkanischen Einsturzkratern, den Calderen, stattfindet. Calderen (Einzahl Caldera) sind nach dem spanischen Wort für »Kessel« benannt und bilden sich, wenn die Kruste oberhalb einer nur teilweise gefüllten Magmakammer im Untergrund einbricht. Solche Strukturen sind auch bei irdischen Vulkanen sehr häufig.
Auf Io sind die Calderen im Vergleich zur Erde riesig und erstrecken sich oft über mehr als 100 Kilometer Durchmesser, was auf der Erde bloß in Ausnahmefällen erreicht wird (siehe »Vulkanschlünde auf Io«). In vielen dieser Calderen finden sich heiße Lavaseen, die in ihrer Mitte von einer dünnen, starren Kruste aus erkalteter Lava bedeckt sind. An den Rändern zu den Wänden der Calderen hin zeigen die Aufnahmen von JIRAM schmale, heiße Zonen, die ringförmig die erkaltete Lava umgeben (siehe »Die Vulkancalderen Loki und Dazhbog Patera«). Diese ist allerdings deutlich wärmer als die nicht aktive Oberfläche von Io, deren Temperatur im Mittel ungefähr –140 Grad Celsius beträgt. In den heißen Ringen wurden mit JIRAM Temperaturen um 600 Grad Celsius registriert. Für die Untersuchungen wertete die Gruppe um Mura die Daten im L- und im M-Band aus. Das L-Band deckt den Spektralbereich von 3,3 bis 3,6 millionstel Metern (Mikrometern) ab, das M-Band von 4,5 bis 5 Mikrometern.
Bei den ermittelten Temperaturen muss aber berücksichtigt werden, dass das Instrument wegen der vergleichsweise großen Abstände zu Io lediglich unscharfe Bilder des Geschehens aufzeichnete. Tatsächlich dürften die heißen Ringe in den Calderen deutlich schmaler sein, als sich anhand der Bilder bestimmen lässt. Somit kommt es zu einer Mittelung der heißen Gebiete mit der kühleren Umgebung. Messungen der Raumsonde Galileo aus den Jahren 1995 bis 2003 und erdgebundener Großteleskope deuten darauf hin, dass manche Io-Laven zwischen 1300 und 1400 Grad Celsius heiß sind. Sie sind damit deutlich wärmer als die heißeste irdische Lava – ein Hinweis darauf, dass ein signifikanter Anteil des Gesteinsmantels von Io aufgeschmolzen ist. Auf der Erde werden solche Laven als Komatiite bezeichnet; sie sind in der jüngeren geologischen Vergangenheit unseres Planeten nicht mehr aufgetreten, weil sich dafür das Erdinnere zu sehr abgekühlt hat.
An den Rändern der Io-Lavaseen tritt flüssige Lava zu Tage; offenbar findet hier eine Form von Recycling statt, wobei Lava wieder nach unten absinkt. Die Wände der Calderen sind mehrere hundert Meter hoch, so dass die Lava meistens innerhalb der Krater verbleibt. Allerdings wurden auf Io mit der Raumsonde Galileo auch Feuerfontänen aus heißer Lava und Ströme geschmolzenen Gesteins beobachtet, die sich von den Ausbruchstellen ausbreiteten.
Zwei Modelle der Vulkanaktivität
Das Team um Mura fand Hinweise darauf, dass die Lavaspiegel in den Kratern starken Höhenschwankungen unterliegen und die Kruste in der Mitte wie ein Kolben auf- und absteigt, je nach Zu- oder Abstrom der flüssigen Lava darunter. Durch Reibung an den Kraterwällen wird die Lavakruste daran gehindert, aus der Mitte der Lavaseen auszubrechen.
Der Aufstieg von Lava in den zentralen Bereichen der Calderen über den eigentlichen Förderschloten in der Io-Kruste ist ebenfalls vorstellbar. Die Lava kühlt langsam ab und sinkt an den Rändern der Krater wieder ab. Sie reißt dabei Gestein der Kruste mit sich, so dass die heiße Lava sichtbar wird (siehe »Schema der Lavaseen auf Io«).
Welche der beiden Vorstellungen die richtige ist, könnte sich anhand neuer Daten der Raumsonden JUICE (siehe SuW 7/2023, S. 32, und SuW 9/2024, S. 31) und Europa Clipper ermitteln lassen, die ab dem Jahr 2031 Jupiter und seine Monde erforschen werden. Zwar sind die beiden Sonden vor allem auf die eishaltigen Monde Europa, Ganymed und Kallisto fokussiert; sie werden mit ihren Instrumenten jedoch ebenso Io in den Fokus nehmen. Zudem gibt es Planungen für eine dezidierte Raumsonde zu Io, den Io Volcano Observer, der aber noch nicht beschlossen ist.
Wenn Sie inhaltliche Anmerkungen zu diesem Artikel haben, können Sie die Redaktion per E-Mail informieren. Wir lesen Ihre Zuschrift, bitten jedoch um Verständnis, dass wir nicht jede beantworten können.