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Kunststoff: Superwürmer fressen Styropor

Die Larven des Großen Schwarzkäfers können auf Kunststoff überleben. Eventuell eröffnet das neue Möglichkeiten zur Verarbeitung der Müllflut auf unserem Planeten.
Superwürmer fressen sich durch Styropor
Die Larven des Großen Schwarzkäfers fressen sich durch Styropor. Die Aufnahme entstand im Labor von Christian Rinke an der University of Queensland.

Was im Labor von Christian Rinke auffällt, ist das erschreckend laute Knirschen von wurmartigen Larven, die sich durch Styropor fressen und in Blöcke aus Kunststoffschaum eingraben. Bevor er einen durchgekauten Block wegwirft, hält der Mikrobiologe ihn an sein Ohr, um nach Nachzüglern zu horchen. »Wenn der Wurm da drin noch frisst«, sagt er, »kann man ihn tatsächlich hören.«

Rinke und seine Kollegen haben die Larven von Zophobas morio, dem Großen Schwarzkäfer, wegen ihrer Größe »Superwürmer« genannt. Sie fütterten die Tiere mit Plastik, um herauszufinden, ob die Mikroben und Enzyme in deren Darm Aufschluss darüber geben können, wie die Schwindel erregende Menge an Plastikmüll auf dem Planeten abgebaut werden kann. Das Ergebnis: Diese Superwürmer schaffen es, nur mit Polystyrol zu überleben. Der umgangssprachlich auch Styropor genannte Stoff wird in einer Vielzahl von Produkten verwendet. Diese Fähigkeit der Würmer lässt darauf schließen, dass er im Verdauungstrakt der Tiere sehr effizient abgebaut wird. »Sie sind im Grunde genommen Fressmaschinen«, sagt Rinke, der an der University of Queensland in Australien arbeitet und Mitautor der Studie ist, die in »Microbial Genomics« veröffentlicht wurde.

»Sie sind im Grunde genommen Fressmaschinen«Christian Rinke, Mikrobiologe

Um zu untersuchen, wie das Darmmikrobiom der Superwürmer auf reine Plastiknahrung reagiert, teilten die Forschenden 135 der Tiere in drei Gruppen auf: Eine Gruppe wurde nur mit Weizenkleie gefüttert, eine andere ausschließlich mit weichem Polystyrol, und die dritte erhielt nichts. Alle Würmer wurden auf Kannibalismus überwacht und die Mitglieder der ausgehungerten Gruppe voneinander isoliert. Die mit Kleie gefütterten Larven waren deutlich gesünder als ihre mit Plastik genährten oder die ausgehungerten Artgenossen und konnten ihr Gewicht in den drei Wochen mehr als verdoppeln.

Danach wurden einige der Würmer aus jeder Gruppe separiert, um zu Käfern heranzuwachsen. Neun von zehn mit Kleie gefütterten Tiere wuchsen erfolgreich zu Käfern heran und behielten das vielfältigste Darmmikrobiom aller drei Gruppen bei. Die mit Kunststoff ernährten Larven nahmen weniger stark zu – aber immer noch mehr als die ausgehungerten Würmer –, und zwei Drittel von ihnen entwickelten sich zu Käfern. Offensichtlich ist Polystyrol eine schlechte Nahrung für die Larven, sagt Rinke. Doch es scheint, als könnten sie zumindest etwas Energie aus dem Material gewinnen.

Die Darmbakterien zerlegen das Plastik in kleinere Moleküle

Dies ist wahrscheinlich auf eine symbiotische Beziehung zwischen dem Superwurm und seinen Darmbakterien zurückzuführen. Der Wurm zerkleinert das Plastik, die Bakterien können es abbauen und in kleinere Moleküle zerlegen, die leichter verdaulich sind – oder möglicherweise eines Tages zur Herstellung von neuem Plastik wiederverwertet werden können, so Rinke. Die genaue Kenntnis der bakteriellen Enzyme ist die goldene Eintrittskarte, um den Prozess in Zukunft in großem Maßstab zu reproduzieren.

Um diese Enzyme zu identifizieren, sequenzierten die Wissenschaftler das Genom der Organismen im Darm der Würmer. »Mit Hilfe der Metagenomik können wir tatsächlich alle Gene im Mikrobiom [des Verdauungstrakts] charakterisieren«, sagt Rinke. Frühere Studien mit anderen Insekten waren nicht so umfassend und konzentrierten sich nur auf ein oder zwei mögliche Darmbakterien oder Enzyme, erklärt der Biologe.

Uwe Bornscheuer, Leiter des Lehrstuhls für Biotechnologie und Enzymkatalyse an der Universität Greifswald, hat auf solche Daten gewartet, seit vor etwas mehr als einem Jahrzehnt zum ersten Mal deutlich wurde, dass einige Insektenlarven schwer abbaubare Kunststoffe fressen können. Die jetzt veröffentlichte Arbeit ist »die erste solide Studie, in der das Metagenom untersucht wurde«, sagt Bornscheuer, der zwar nicht an der Arbeit beteiligt war, aber diesen Forschungsbereich verfolgt hat.

Rinke und seine Kollegen identifizierten eine Reihe von Enzymen, von denen sie annahmen, dass sie in einer bestimmten Reihenfolge das Polystyrol im Darm der Superwürmer abbauen. Bornscheuer wies das Team darauf hin, dass die Enzyme bei der angenommenen Reihenfolge nicht in der Lage wären, die starken Bindungen zwischen den Kohlenstoffatomen im Kunststoff zu brechen. Auf der Grundlage seiner Rückmeldung überarbeiten die Forscherinnen und Forscher nun die von ihnen vorgeschlagenen enzymatischen Abläufe.

Das Team um Rinke empfiehlt nicht, Superwürmer auf Mülldeponien oder in verschmutzten Landschaften frei zu lassen, damit sie sich durch Berge von Plastik fressen. Vielmehr könnte ihr einzigartiges Darmmikrobiom ein Schlüssel zur Entwicklung eines chemischen Prozesses zum biologischen Abbau des Materials sein. Die Forscher haben noch viel Arbeit vor sich. Sie wollen mit Hilfe ihrer metagenomischen Daten überprüfen, was jedes einzelne identifizierte Bakterienenzym mit Plastik macht und wie alle Enzyme zusammenarbeiten. Ihr Ziel: hoffentlich den effizientesten Weg zu finden, unseren Plastikmüll abzubauen.

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