Polymerchemie: Ein Kunststoff, der Strom leitet wie Metall

Leicht, biegsam und preisgünstig wie Kunststoff, aber belastbar und Strom leitend wie Metall – bislang gibt es nur wenige Materialien, die all diese Eigenschaften in sich vereinen. Solche Stoffe wie zum Beispiel Polyanilin leiten die Elektronen allerdings hauptsächlich entlang ihrer Polymerketten. Die Leitfähigkeit zwischen den Polymersträngen oder -schichten bleibt meist begrenzt. Das liegt vor allem daran, dass die Moleküle nicht gut miteinander verbunden und die elektronischen Wechselwirkungen schwach sind. Ein internationales Forschungsteam, zu dem auch Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der Technischen Universität Dresden und des Max-Planck-Instituts für Mikrostrukturphysik in Halle gehören, hat nun ein neuartiges leitendes Polymer entwickelt, das auch senkrecht zu den Molekülsträngen und über die Schichten hinweg eine außergewöhnliche elektrische Leitfähigkeit zeigt.
Wie die Materialforscher im Fachmagazin »Nature« schreiben, haben sie einen mehrschichtigen zweidimensionalen Polyanilin-Kristall (2DPANI) synthetisiert und charakterisiert, der eine um etwa drei Größenordnungen höhere Leitfähigkeit außerhalb der Ebene aufweist als herkömmliche leitende Polymere. »Wir nennen das einen metallischen out-of-plane Ladungstransport oder auch 3-D-Leitung«, erklärt Thomas Heine, Professor für Theoretische Chemie an der TU Dresden laut einer Pressemitteilung seiner Hochschule. »Das ist ein grundlegender Durchbruch in der Polymerforschung.«
Dass Polymere überhaupt dazu in der Lage sind, Strom zu leiten, haben Alan J. Heeger, Alan G. MacDiarmid und Hideki Shirakawa in den 1970er Jahren entdeckt und dafür im Jahr 2000 den Chemie-Nobelpreis erhalten. Sie hatten festgestellt, dass man ein ursprünglich isolierendes Material wie Polyazetylen leitfähig machen kann, wenn man bestimmte chemische Stoffe (etwa Jod oder andere Halogene) hinzugibt. Dieses Phänomen war eine Sensation, weil zuvor niemand erwartet hatte, dass Kunststoffe metallähnliche oder halbleitende Eigenschaften besitzen könnten.
Da setzen nun die Dresdner Forscher noch einen drauf. »Unsere Ergebnisse liefern wichtige experimentelle Einblicke in die Realisierung des metallischen Zustands leitender Polymere in erweiterten Dimensionen«, schreiben sie in ihrer Forschungsarbeit. »Das gelingt uns durch Verbesserung der intermolekularen Ordnung und der elektronischen Kopplung zwischen Polymerketten und -schichten.« Die Studien zum Gleichstromtransport in 2DPANI zeigten eine anisotrope Leitfähigkeit von 16 Siemens pro Zentimeter in der Ebene und 7 Siemens pro Zentimeter außerhalb der Ebene. Siemens (S) ist die Maßeinheit des elektrischen Leitwertes und gleichzeitig der Kehrwert des Ohm (Ω), der Maßeinheit des elektrischen Widerstands. Darüber hinaus hätten Messungen bei niedrigen Temperaturen gezeigt, dass die Leitfähigkeit außerhalb der Ebene mit abnehmender Temperatur zunimmt – ein charakteristisches Verhalten von Metallen. Zum Vergleich: Eisen, Stahl und Gold leiten Strom immer noch fast 10 000-fach besser.
Der neue leitfähige Kunststoff lässt sich laut Angaben der Forscher für zahlreiche Anwendungen in der Elektronik, der elektromagnetischen Abschirmung oder der Sensorik nutzen. Zudem könne das »metallische« Polymer als preiswert herstellbare Elektrode dienen, zum Beispiel bei der Produktion von Wasserstoff.
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