Erbgutanalyse: DNA schreibt Geschichten der Opfer von Pompeji neu
Als der Vesuv im Jahr 79 n. Chr. heiße vulkanische Asche über Pompeji ergoss, wurden die Körper der Opfer auf besonders eindrückliche Weise konserviert: Das Gesteinsmaterial umschloss sie und härtete aus. Nach Verwesung der Weichteile blieben Hohlräume in der Körperform der Toten zurück. Mit Gips ausgegossen, machen sie die letzten Lebensmomente wieder sichtbar.
Rund hundert solcher Abgüsse existieren, bei 14 von 86 Abgüssen, die aktuell restauriert werden, hat ein Wissenschaftlerteam nun das im Gips noch erhaltene Knochenmaterial untersucht, insbesondere das darin enthaltene Erbgut. Dabei zeigte sich, dass die Beziehung der Toten zueinander anhand der Gipsausgüsse vielfach falsch interpretiert wurde.
Das schreibt das Team im Fachblatt »Current Biology«. Die Gruppe um Alissa Mittnik und David Reich vom Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie in Leipzig und der Harvard University sowie David Caramelli von der Universität von Bologna konzentrierte sich dabei auf das Geschlecht, die Herkunft und die Verwandtschaftsbeziehungen der Opfer untereinander. Außerdem ermittelten die Fachleute durch Analyse von Strontium-Isotopen in den Knochen, wie lange die untersuchten Menschen schon am Golf von Neapel gelebt hatten.
Zwei Tote beispielsweise wurden bislang immer als eine Mutter mit ihrem Kind angesehen: Beide befanden sich zum Todeszeitpunkt nah beieinander, die ältere Person trug einen schweren goldenen Armreif. Die DNA-Analyse zeigte nun: Es handelt sich in Wahrheit um einen Mann und ein mit ihm nicht näher verwandtes Kind, dessen Geschlecht sich nicht feststellen ließ. Auch mit den beiden weiteren Toten (beide männlich), die in unmittelbarer Nähe gefunden wurden, bestand keine Verwandtschaft. Bislang hatte man die vier zusammen als Familie aufgefasst.
Bei zwei Todesopfern, die eng umschlungen von der heißen, vulkanischen Wolke getroffen wurden, irrten sich die Fachleute ebenfalls. Es handelte sich nicht um zwei Schwestern oder Mutter und Tochter, wie man etwa auf Basis von Röntgenbildern der Skelette angenommen hatte. Stattdessen war mindestens einer der beiden Toten ein Mann.
Die Ergebnisse zeigten, wie wenig belastbar die gängigen Interpretationen seien, die Datenlage sei zu dünn dafür, schreibt das Team. Statt der historischen Gegebenheiten würden sie eher die unbewusste Erwartungshaltung der Ausgräber abbilden – etwa dass nur Frauen goldene Schmuckreifen trugen. Gut möglich sei auch, dass eine einmal gemachte Interpretation dazu führte, dass die Abgüsse später gemäß dieser Annahme subtil modifiziert oder arrangiert wurden.
Ihre Ergebnisse würden dazu einladen, alte Auffassungen über die Geschlechter- und Familienbeziehungen im Römischen Reich zu überdenken – ohne direkt wieder in dieselbe Falle zu tappen und ein neues Narrativ über die Toten von Pompeji zu konstruieren.
In einem Punkt bestätigten die Forscher bestehende Auffassungen über die Menschen des Römischen Reichs aber auch: Das Erbgut der Toten von Pompeji und die Isotopenzusammensetzung ihrer Knochen belegt, wie kosmopolitisch die römische Bevölkerung geprägt war. Viele der Toten hatten familiäre Wurzeln in anderen Landesteilen, insbesondere im östlichen Mittelmeerraum. Das hatten bereits frühere Genanalysen in Rom selbst, aber auch in Pompeji nahegelegt.
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