Postpartale Depression: »Die Probleme der Väter werden noch oft übersehen«
Frau Kittel-Schneider, bei Frauen hängt eine Wochenbettdepression häufig mit hormonellen Veränderungen nach einer Geburt zusammen. Warum können auch Väter daran erkranken?
Das ist eine bislang kaum untersuchte Frage, mit der wir uns in meiner Arbeitsgruppe beschäftigen. Bei Frauen wird eine Wochenbettdepression – die so genannte postpartale Depression – ebenfalls nicht immer nur durch Hormone ausgelöst. Die Geburt eines Kindes ist ein einschneidendes Lebensereignis und bedeutet eine große Umstellung, sowohl für Frauen als auch für Männer. Sie müssen sich in ihrer neuen Rolle als Eltern einfinden. Die Probleme der Väter werden noch oft übersehen. Haben Männer eine gewisse Veranlagung für depressive Symptome, könnte das eine postpartale Depression erklären. Zudem treten bei Vätern während der Schwangerschaft und nach der Geburt ebenfalls hormonelle Veränderungen auf, wenn auch in geringerem Maß als bei den Frauen. Beispielsweise fällt bei ihnen der Testosteronspiegel während der Schwangerschaft bis zu drei Monate nach der Geburt ab. Das könnte ein Risikofaktor für eine postpartale Depression sein. In einer unserer Untersuchungen hatten Väter mit depressiven Symptomen niedrige Testosteronwerte. Auch die Stresshormone verhalten sich in dieser Zeit anders, allerdings ist der Zusammenhang hier komplizierter.
Inwiefern?
Akuter Stress sorgt für mehr Stresshormone wie Kortisol im Blut. Bei einer chronischen Belastung gehen die Botenstoffe aber tendenziell zurück – der Körper reagiert also auf kurzfristigen und lang anhaltenden Stress unterschiedlich. Bei Vätern haben wir in der Zeit um die Geburt eher niedrige Mengen von Stresshormonen gefunden. Deutliche depressive Symptome hingegen waren mit erhöhten Kortisolwerten drei Monate nach der Geburt assoziiert.
Ist die Wochenbettdepression bei Männern als eigene Diagnose anerkannt?
Schon bei Frauen wird das als eine Unterform der Depression angesehen, die vor allem über den Zeitpunkt des Auftretens definiert ist. Als postpartale Depression bezeichnet das Klassifikationssystem ICD-10 depressive Episoden, die in der Schwangerschaft oder bis zu sechs Wochen nach der Entbindung auftreten. Das ist aber nicht unbedingt sinnvoll. Depressionen, die mit der Geburt und dem Kind zusammenhängen, können auch später beginnen. In der Forschung und im klinischen Alltag fällt eine solche Depression in den Zeitraum von der Schwangerschaft bis zwölf Monate nach der Geburt. Bei Männern gibt es überhaupt keine offizielle Diagnose. Trotzdem wissen wir mittlerweile, dass Väter diese Form der Depressionen ebenso entwickeln können – teils noch bis zu mehrere Monate nach der Geburt.
Zeichnet sich die Erkrankung bei Vätern schon in der Schwangerschaft ab?
Dazu haben wir eine Pilotstudie gemacht, in der wir Männer während der Schwangerschaft der Partnerin sowie drei, sechs und zwölf Monate nach der Entbindung zu depressiven Symptomen befragt haben. Tatsächlich waren Väter, die diese bereits während der Schwangerschaft zeigten, nach der Geburt deutlich häufiger von Depressionen betroffen. Besonders gefährdet waren auch Männer, die schon vorher im Leben eine depressive Episode erlitten hatten. Bei Frauen ist das ganz genauso. Diese Menschen sollten wir nach der Geburt unterstützen.
»Väter bekommen von der Gesellschaft immer noch das Gefühl vermittelt, stark sein zu müssen«
Äußert sich die postpartale Depression bei Vätern anders als bei Müttern?
Die Kernsymptome wie gedrückte Stimmung, Interessenverlust, Freudlosigkeit und verminderter Antrieb sind bei allen Menschen gleich und entsprechen denen anderer depressiver Erkrankungen. Bei der Wochenbettdepression drehen sich die Gedanken oft um das Kind – zum Beispiel glauben die Betroffenen, sie könnten keine guten Eltern sein und würden den Bedürfnissen des Kindes nicht gerecht. Verglichen mit Frauen sind Männer jedoch seltener traurig und melancholisch, sondern reagieren eher mal gereizt oder aggressiv. Und sie ziehen sich häufiger sozial zurück – das unterscheidet sie ebenfalls von vielen Frauen.
In unserer Gesellschaft herrscht ja immer noch die Vorstellung, Männer müssten die Familie versorgen. Fällt es ihnen deshalb schwerer, zu zeigen, wie schlecht es ihnen geht?
Absolut. Väter bekommen von der Gesellschaft immer noch das Gefühl vermittelt, stark sein zu müssen. Schwächen zuzugeben oder Hilfe in Anspruch zu nehmen, ist für sie deshalb grundsätzlich schwieriger – nicht nur nach der Geburt eines Kindes. Das führt zum Beispiel dazu, dass manche Männer zu Alkohol greifen. Im schlimmsten Fall merken Familienmitglieder gar nicht, dass etwas nicht stimmt, und dann kann es in seltenen Fällen sogar zu einem Suizid kommen.
Offenbar braucht es mehr Verständnis für die Probleme von Eltern nach der Geburt.
Unbedingt. Wenn Eltern berichten, dass das Leben mit dem Nachwuchs anstrengend ist, reagieren viele noch mitfühlend. Aber wenn sie zugeben, dass es ihnen so schlecht geht, dass sie keine Gefühle für das Kind aufbringen können oder sogar daran denken, einfach abzuhauen, hört das Verständnis schnell auf. Vor allem Männer erhalten Anerkennung dafür, wenn es ihnen gelingt, Familienleben und Arbeit unter einen Hut zu bekommen ...
… was nicht immer gelingt.
Die Situation ist für Männer besonders herausfordernd, wenn ihre Partnerin zuerst an einer postpartalen Depression erkrankt. Häufig kommt es vor, dass Väter sich dann übernehmen und auf Grund der Überanstrengung nach ein paar Monaten selbst eine Depression entwickeln.
Was bedeutet das für die Bindung zum Kind?
Während einer akuten Depression ist es schwierig, eine Bindung aufzubauen. Aber diese kann auch später noch gelingen, wenn die Betroffenen dazu wieder psychisch in der Lage sind. In den letzten Jahren nehmen Männer immer häufiger unsere therapeutischen Angebote wahr, um die Bindung zu ihren Kindern zu stärken. Wichtig ist, dass Väter überhaupt an der Bindung arbeiten, nicht zuletzt für ihren Nachwuchs. Genau wie Mütter prägen sie dessen psychische Verfassung nachhaltig.
Kann die Beziehung ein Risikofaktor für eine Depression sein?
Die psychische Gesundheit von Vätern wirkt sich auf die der Mütter aus und umgekehrt. Außerdem gilt: Ist die Qualität der Partnerschaft schlecht, treten Depressionen sowohl bei Frauen wie bei Männern häufiger auf. Die Beziehung leidet vermehrt während der stressigen Zeit nach der Geburt. Deshalb sollte vor allem bei der Nachsorge nach einer Geburt immer die ganze Familie einbezogen werden.
»Vor allem Männer erhalten Anerkennung dafür, wenn es ihnen gelingt, Familienleben und Arbeit unter einen Hut zu bekommen«
Welche Therapie ist am sinnvollsten?
Das kann man so pauschal nicht sagen. Momentan geht man davon aus, dass eine postpartale Depression ganz unterschiedlich verlaufen kann und es verschiedene Untergruppen gibt. Entsprechend bedarf es unterschiedlicher Behandlungsformen und -intensitäten. Manchmal kann man schon in drei Psychotherapie-Sitzungen viel erreichen. In anderen Fällen dauert es länger und es bedarf einer ergänzenden medikamentösen Behandlung. Um möglichst früh vorhersagen zu können, wie behandelt werden muss, versuchen wir derzeit, prädiktive Biomarker zu finden. Das sind bestimmte Moleküle, die beispielsweise den Schweregrad einer postpartalen Depression anzeigen. Bei Frauen haben wir bereits einige Biomarker im Blick, bei Männern suchen wir noch. Neben Molekülen können aber auch bildgebende Verfahren oder Fragebögen nützliche Hinweise geben. Idealerweise nutzen wir eine Kombination aus verschiedenen Methoden, um das Risiko und die beste Behandlung zu bestimmen.
Unterscheiden sich Väter und Mütter darin, welche Therapieform sie bei einer postpartalen Depression benötigen?
Es existieren bisher noch keine speziellen Therapiemanuale für Väter, und es gibt kaum Studien zur Wirksamkeit verschiedener Verfahren speziell bei Männern. Bei Müttern ist die Wirksamkeit der kognitiven Verhaltenstherapie am besten belegt. In der Regel geht es in den Sitzungen um eine kognitive Umstrukturierung, also die Neubewertung von Gedanken und Emotionen. Daneben hilft es, positive Aktivitäten aufzubauen und die Selbstwirksamkeit zu stärken, also zu spüren, was man alles aus eigener Kraft schaffen kann. Letztendlich sind die Inhalte einer Psychotherapie aber immer individuell zu besprechen – sowohl mit Männern als auch mit Frauen. Denn neben den Kernsymptomen hat jeder Mensch mit einer postpartalen Depression etwas andere Probleme. Bei schweren Ausprägungen sind außerdem antidepressive Medikamente zusätzlich zur Psychotherapie sinnvoll und wirksam.
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