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Prähabilitation: Fit werden für die OP

Reha nach einer OP ist meist Standard. Relativ neu ist »Präha«, Fitness- und Atemübungen in den Wochen vor dem Eingriff. Für welche Patienten eignet sich die Prähabilitation?
Ein Mann sitzt auf einer Sportmatte und hält mit beiden Händen ein Stretchband fest, das er um seinen Fuß gelegt hat. Sein linkes Knie wird von der Hand eines Reha-Mitarbeiters gestützt.
Mit bestimmten Trainingseinheiten können Patientinnen und Patienten sich gezielt auf eine OP vorbereiten. (Symbolbild)

An diesem Frühlingstag des Jahres 2016 kommt Oliver Pfenning ganz schön ins Schwitzen. Er sitzt auf einem Fahrradergometer und strampelt. Am Ende der Sporteinheit ist der kaufmännische Angestellte zweimal 25 Minuten lang geradelt, mit kurzer Pause dazwischen. Doch Oliver Pfenning bereitet sich nicht etwa auf eine sportliche Herausforderung vor. Der 58-Jährige will sich fit machen für eine Herzoperation. Deshalb finden die Einheiten auf dem Fahrradergometer nicht zu Hause oder im Fitnessstudio statt, sondern im Kerckhoff-Klinikum in Bad Nauheim.

Per Zufall hatte man bei ihm Unregelmäßigkeiten im Belastungs-EKG gefunden. »Später bestätigte eine Herzkatheteruntersuchung, dass bei mir mehrere Herzkranzgefäße stark verengt waren«, erinnert sich Oliver Pfenning. Daher soll eine Bypass-OP wieder für den ungehinderten Blutfluss sorgen. Die Chirurgen wollen bei ihm die Verengungen in den Herzkranzgefäßen, den so genannten Koronararterien, im Rahmen einer offenen Herzoperation überbrücken. Als Umleitungen werden für solche OPs Arterien oder Venen aus den Armen, Beinen oder der Brustwand verwendet.

Es ist ein komplizierter Eingriff. Und was erschwerend hinzukommt: Oliver Pfenning ist übergewichtig, bewegt sich bislang kaum und ist zudem starker Raucher. Keine guten Voraussetzungen für eine optimale OP. Zwar können im Rahmen eines Bypass-Eingriffs immer Lungen-, Blutungs- oder Herzrhythmusstörungen auftreten. Aber mit einem allgemein schlechten körperlichen Zustand vorbelastet in eine OP zu gehen, erhöht das Risiko für solche Komplikationen. Oliver Pfenning nimmt daher 2016 an einer Studie teil, die ein vergleichsweise neues Behandlungskonzept für Patienten anbietet –die Prähabilitation: Der Begriff meint – analog zur Nachsorge, der Rehabilitation – die gezielte Vorsorge vor einem chirurgischen Eingriff. Dazu können ein Fitnessprogramm, Atemtraining oder eine Umstellung der Ernährung in den Wochen vor der Operation gehören. Auf diesem Weg sollen Komplikationen chirurgischer Eingriffe abgemildert werden und Patienten wie Oliver Pfenning sich schneller erholen.

In der Orthopädie ist die sorgfältige Vorbereitung auf eine Operation mit Kräftigungs- oder Ausdauerübungen schon längst keine Besonderheit mehr, zum Beispiel, bevor eine künstliche Hüfte oder ein Kniegelenk eingesetzt wird. Doch neu ist die Prähabilitation bei größeren Eingriffen am Herzen, am Darm oder am Bauch. »Im kardiovaskulären Bereich war man sich lange Zeit gar nicht sicher, ob man die Herzpatienten überhaupt belasten darf«, sagt Claudia Walther, Fachärztin für Innere Medizin und Kardiologie am MVZ CCB des Agaplesion Markus Krankenhauses in Frankfurt. »Man durfte diese Patienten nur mit Glaceehandschuhen anfassen.« Denn man wusste: Sie haben Engstellen der Herzkranzgefäße. »Und da war einfach die Sorge, dass bei diesen Patienten die Engstellen bei Belastung zugehen würden und sie einen Schlaganfall oder Herzinfarkt erleiden würden.« Heute wisse man hingegen, dass bei einer stabilen Symptomatik und unter Kenntnis des zu Grunde liegenden Krankheitsbilds eine gewisse Art der körperlichen Aktivität durchaus möglich ist. Umgekehrt scheidet eine Prähabilitation für Patienten aus, die instabil sind. Darunter fallen jene, die Beschwerden verspürten, wie etwa in Ruhe Luftnot oder einen Druck auf der Brust, so Claudia Walther.

Die Ärztin war es auch, die damals noch in Bad Neuheim gemeinsam mit Kollegen die Studie durchgeführt hat, an der Oliver Pfenning im Vorfeld seiner Herz-OP teilgenommen hatte. Sie und ihre Kolleginnen und Kollegen teilten 170 Menschen, denen eine Koronararterien-Bypass-OP bevorstand, per Los in zwei Gruppen ein. Die Interventionsgruppe von Oliver Pfenning absolvierte vor dem Eingriff ein zweiwöchiges Trainingsprogramm mit insgesamt sechs Einheiten. Es beinhaltete dreimal pro Woche ein individuelles, überwachtes Fahrradergometertraining. Jede Trainingseinheit umfasste zwei Übungseinheiten mit einer 15-minütigen Phase leichter Gymnastik dazwischen. Die Kontrollgruppe erhielt kein Training. Nach dem Eingriff nahmen Patientinnen und Patienten beider Gruppen an einem dreiwöchigen kardialen Reha-Programm teil, das ähnlich gestrickt war wie die Prähabilitation.

Komplikationen verringern sich durch Prähabilitation

Die Forschenden führten bei beiden Gruppen Messungen zu verschiedenen Zeitpunkten durch: zu Beginn, einen Tag vor der OP sowie am Anfang und am Ende der Rehabilitation. Dazu gehörte eine Standarduntersuchung zur Leistungsdiagnostik, die Spiroergometrie, bei der kardiovaskuläre (EKG, Blutdruck, Puls) und pulmonale Parameter (Vitalkapazität, Einsekundenkapazität) ermittelt werden. Bei der Trainings- im Vergleich zur Kontrollgruppe konnten die Forscher und Forscherinnen einen positiven Effekt bei der individuellen Leistungsfähigkeit bei alltäglichen Belastungen feststellen. So schnitten die Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Interventionsgruppe etwa im Sechs-Minuten-Gehtest im Schnitt besser ab. Bei diesem wird gemessen, welche Strecke die Patienten und Patientinnen in sechs Minuten zurücklegen können. Positive Effekte zeigten sich in der Prähabilitationsgruppe auch bei einem Test, bei dem die Probandinnen und Probanden von einem Stuhl aufstehen, um den Stuhl herumgehen und sich wieder setzen.

Außerdem erhöhte sich durch die Intervention ihre Lebensqualität vor der OP. Sport habe eine extrem positive Wirkung auf die Wahrnehmung des eigenen Körpers und man gewinne mehr Vertrauen in die Fähigkeiten des Körpers, so Claudia Walther. »Das ist ein wichtiger Aspekt, denn in der Wartezeit vor dem Eingriff erleben die Patienten oft Sorgen und Ängste«, erklärt die Kardiologin. »Und diese können kardiovaskuläre Ereignisse auslösen.« Keine signifikanten Verbesserungen offenbarte hingegen ein Test der maximalen Sauerstoffaufnahme; das ist die Sauerstoffmenge, die der Körper im Zustand der Ausbelastung maximal pro Minute verwerten kann.

Dass sich die Fitness durch die Prähabilitation verbessert, ist schön und gut. Aber führt das auch tatsächlich dazu, dass es zu weniger Komplikationen im Zuge der OP kommt und die Patientinnen und Patienten das Krankenhaus schneller verlassen können? Claudia Walther und Kollegen haben in einer Metaanalyse insgesamt sechs Studien zu Prähabilitation bei Menschen ausgewertet, die sich einem Eingriff am Herzen unterzogen. Bei Teilnehmenden, die vor der OP ein Trainingsprogramm absolvierten, verbesserte sich nicht nur die Leistungsfähigkeit nach dem Eingriff. Die Aufenthaltsdauer im Krankenhaus verkürzte sich zudem statistisch signifikant, wenn auch nur um einen Tag. Und das Risiko von Vorhofflimmern nach der OP verringerte sich, zumindest bei Patientinnen und Patienten, die maximal 65 Jahre alt waren.

»Schon zwei Wochen körperliches Training im Rahmen der Prähabilitation können gerade bei sehr alten und sehr gebrechlichen Patienten viel bewirken«Claudia Walther, Fachärztin für Innere Medizin und Kardiologie

Weitere systematische Übersichtsarbeiten zeigen: Bei denjenigen, die eine Prähabilitation vor einer Herzoperation absolvierten, war nach dem Eingriff das Risiko beispielsweise für Lungenkomplikationen um rund 59 Prozent geringer als bei solchen ohne Intervention. »Lungenkomplikationen können etwa durch ein Training wie Atemübungen reduziert werden«, sagt Claudia Walther. »Weil die Patienten besser atmen, einfach fitter sind und schneller von der Beatmungsmaschine wegkommen, falls sie nach der OP nachbeatmet werden müssen.«

Den größten Nutzen haben laut der Kardiologin ältere und gebrechliche Menschen, auf die Prähabilitation besonders abzielt. »Schon zwei Wochen körperliches Training im Rahmen der Prähabilitation können gerade bei sehr alten und sehr gebrechlichen Patienten viel bewirken«. Sie können etwa durch das Training im Schnitt innerhalb von sechs Minuten 30 bis 40 Meter weiter laufen als ohne Training. »Das ist zwar nur ganz wenig. Aber selbst diese verlängerte Gehstrecke sagt viel über den allgemeinen Gesundheitszustand der Patienten aus«, erklärt Claudia Walther. Allerdings muss man auch sagen: Bisher lässt die Datenlage zur Wirksamkeit der Prähabilitation noch zu wünschen übrig. Es gibt nicht viele Studien zu solchen Programmen vor Herzoperationen. Zudem sind die wenigen Studien nicht immer qualitativ hochwertig und haben oft nur relativ wenige Probanden.

Prähabilitation vor Krebsoperationen

Mehr Studien zur Prähabilitation gibt es bei Krebserkrankten. Am Uniklinikum in Leipzig führen Ines Gockel, Chefärztin für Viszeralchirurgie, und ihre Kollegen Prähabilitationsprogramme vor Krebs-OPs durch. Bislang hauptsächlich in Studien. Die Programme sind im Wesentlichen ähnlich ausgerichtet wie die vor Herzoperationen. »Unsere Patienten bekommen vor einer onkologischen Operation individualisiert angepasste wöchentliche Sportprogramme, die von einem Sportmediziner ausgearbeitet sind«, sagt Ines Gockel. Bei den Trainingsprogrammen nutzen die Patientinnen und Patienten Wearables wie Smartwatches und Brustgurte zum Aufzeichnen von Vitalwerten. Zudem erhalten sie ein iPad und spezielle Apps zum Training. Das Trainingsprogramm absolvieren die Betroffenen zu Hause. Der Sportmediziner überwacht die Fortschritte und Vitalwerte der Patienten über die elektronischen Geräte. Je nach Umständen, etwa wenn der Patient oder die Patientin gerade eine körperlich sehr anstrengende Chemotherapie macht, wird das Programm angepasst. »Damit wir die Patienten weder unter- noch überfordern«, sagt Ines Gockel.

Dabei habe die Ärztin die Erfahrung gemacht, dass eine Kombination aus Ausdauer-, Kraft- und Atemtraining mindestens dreimal wöchentlich ideal zu sein scheint. Das gezielte Atemtraining dient dabei dazu, die maximale Sauerstoffaufnahme im Blut zu erhöhen. Ines Gockel und Kollegen kamen in einer Metaanalyse zu dem Ergebnis, dass so ein Programm mindestens drei Wochen dauern sollte. Die Forschenden werteten dafür 23 Studien zur Prähabilitation mit sportlichem Trainingsprogramm vor einer Dickdarm- oder Enddarmkrebs-OP aus. Patientinnen und Patienten mit Prähabilitation zeigten im Vergleich zu Betroffenen ohne ein Training eine deutliche Verbesserung der körperlichen Leistungsfähigkeit bei Belastung, die mit dem Sechs-Minuten-Gehtest gemessen wurde. Die Aufenthaltsdauer im Krankenhaus verkürzte sich hingegen nicht. Und auch die Zahl der Komplikationen wie etwa das Nichtzusammenheilen der Darmnähte oder Lungenentzündungen verringerte sich nicht. Allerdings zeigten Prähabilitationsprogramme, die mehr als drei Wochen dauerten, den Trend hin zu einer Verringerung von Gesamtkomplikationen.

In Leipzig wird vor bestimmten Eingriffen aber nicht nur Sport getrieben. Ganz zentral ist das so genannte Patient Blood Management. Zunächst wird überprüft, ob die Patientinnen und Patienten Eisenmangel und Blutarmut haben. Zwar wird mittlerweile vor einer OP standardmäßig Blut abgenommen und untersucht. Aber um etwa eine Eisenmangelanämie festzustellen, die eine Ursache von Blutarmut ist, werden in Leipzig weitere Laborwerte erhoben. »Eine Blutarmut im Rahmen einer Operation ist ein starker Risikofaktor für eine erhöhte Krankenhaussterblichkeit und weitere Komplikationen«, erklärt Ines Gockel. Häufig gebe es Anämien beispielsweise bei Menschen mit chronisch entzündlichen Darmerkrankungen wie Colitis ulcerosa oder Morbus Crohn. In solchen Fällen bereiten die Ärztinnen und Ärzte die Betroffenen im Rahmen des Patient Blood Management auf eine OP vor. »Liegt eine Blutarmut vor, kann eine Eisengabe die Blutbildung anregen, wodurch Patienten aus eigener Kraft ihren Hämoglobinwert verbessern können. Zudem können wir bei der OP Blutkonserven sparen, und die Patienten erholen sich schneller.«

Auch wenn Prähabilitationsprogramme zunehmend in Studien unter die Lupe genommen werden – in der klinischen Praxis sind sie bislang noch nicht wirklich angekommen. »Die Prähabilitation ist aufwändig«, sagt Ines Gockel. Man brauche einen Coach und spezielle Technik wie eine Spiroergometrie, um ständig Puls, Herzfrequenz, Blutdruck und die maximale Sauerstoffaufnahme zu überwachen. Diese Kosten werden bisher nicht von den Krankenkassen übernommen. »Da hinken wir etwa im Vergleich zu den Niederlanden hinterher, wo Prähabilitation fester Bestandteil im klinischen Alltag ist«, so Ines Gockel. Dabei sei eigentlich schon bekannt, dass die Kosten durch eine Prähabilitation insgesamt sogar gesenkt werden können. Sofern sich die Leistungsfähigkeit der Patienten durch die Maßnahmen verbessert, erholen sich diese schneller. »Das spart Kosten, und Entlassungen aus dem Krankenhaus sind schneller möglich.«

Auch Oliver Pfennings Erfahrung mit der Prähabilitation ist positiv: Er erholte sich von seiner Herzoperation 2016 relativ zügig. »Die OP habe ich sehr gut überstanden und konnte bereits eine Woche danach entlassen werden«, erinnert er sich. Der Heilungsprozess verlief ohne Komplikationen. Zwei Jahre nach der OP konnte Oliver Pfenning sogar seinem Lieblingshobby wieder nachgehen: Tauchen.

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