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Lula da Silva: Kriegt der Klimaheld noch rechtzeitig die Kurve?

Brasiliens Präsident Lula da Silva irritiert mit einer Politik, die Klimaexperten als »Formel für die Katastrophe« bezeichnen. Für die COP30 in Brasilien verheißt das nichts Gutes.
Eine Gruppe von Menschen, darunter ein Mann in einem Anzug und Krawatte, posiert mit drei Frauen, die traditionelle indigene Kopfbedeckungen aus bunten Federn tragen. Im Hintergrund ist ein Bildschirm mit der Aufschrift "AMAZÔNIA LEGAL" und "Interstate Legal Amazon Consortium" zu sehen. Szene auf der Klimakonferenz COP27 mit dem brasilianischen Präsidenten Luiz Inacio Lula da Silva und Indigenen. Die Menschen lächeln und scheinen sich zu freuen.
Strahlender Klimaheld: Auf der COP27 im Jahr 2022 zeigte sich Brasiliens Staatschef Lula da Silva umringt von Vertretern indigener Gruppen. Die damals geweckten Erwartungen an eine radikale Trendwende in der Klimapolitik hat der Präsident bislang nicht erfüllt.

Als Brasiliens frisch gewählter Präsident Luiz Inacio Lula da Silva vor drei Jahren beim Klimagipfel von Scharm el-Scheich wieder die Weltbühne betrat, wurde er gefeiert wie ein Popstar. »Ich bin heute hier, um zu sagen, dass Brasilien zurück ist«, rief er unter dem Jubel der Delegierten aus aller Welt. Die bleiernen Jahre unter seinem Vorgänger Jair Bolsonaro: endgültig vorbei. Das Regenwaldland: endlich wieder das Zentrum des Kampfes gegen die Klimakrise.

Delegierte, Abgesandte indigener Gemeinschaften und selbst einige westliche Regierungsvertreter ließen den Saal unter frenetischen »Lula! Lula!«-Rufen beben.

Zum Zeichen seines Politikwechsels lud er die Staaten der Welt zur Jubiläumskonferenz nach Brasilien ein, zehn Jahre nach Unterzeichnung des Pariser Klimaabkommens. Und zwar nicht in eine von Brasiliens Megametropolen wie São Paulo oder Rio de Janeiro, sondern in das Amazonasgebiet selbst – dort, wo Brasilien wie kein anderes Land über die Klimazukunft der Erde mitentscheidet.

Doch seit seinem Auftritt in Scharm el-Scheich hat sein Image als internationaler Superstar des Klimaschutzes kontinuierlich Risse bekommen. Wenige Monate vor dem »Lula-Gipfel« ist die Euphorie regelrecht verflogen, vielerorts herrschen Ernüchterung und Verwunderung über den klimapolitischen Kurs Brasiliens. In der aktuellen Ausgabe des Fachmagazins »Science« melden sich nun auch Wissenschaftler mit eindringlicher Kritik zu Wort.

Denn während Lula einerseits die Erwartungen an einen historischen Gipfel weiter schürt und hinter den Kulissen sein milliardenschweres Waldschutzprogramm vorbereitet, treibt der Präsident zugleich ungerührt extrem klima- und naturschädliche Projekte voran. Als Teil des von ihm auf den Weg gebrachten 350-Milliarden-Dollar-Wachstumsprogramms baut die Regierung etwa Straßen durch den Regenwald, mit denen auch ausgedehnte Gasfelder im Amazonasgebiet erschlossen würden.

Brennendes Waldgebiet mit dichter Rauchentwicklung. Flammen lodern hinter zwei Bäumen, die teilweise von Rauch umhüllt sind. Der Himmel ist von Rauch bedeckt, was auf einen intensiven Waldbrand hindeutet. Keine Menschen im Bild.
Feuer rund um die Hauptstadt Brasilia | In großen Teilen Brasiliens kam es 2024 wegen anhaltender Trockenheit zu einer Rekordzahl von Waldbränden. Obwohl der Wald entlang von Straßen nachweislich besonders anfällig ist, hält die Regierung an ihren Bauplänen fest.

Schon im vergangenen Jahr haben klimaschädliche Ölexporte unter Lulas Führung mit einem Volumen von 45 Milliarden Dollar erstmals Sojabohnen als wichtigstes Exportgut des traditionellen Agrarlandes abgelöst. Derzeit läuft das Genehmigungsverfahren für ein neues Offshore-Projekt zur Ölförderung im Atlantik rund 500 Kilometer vor der Amazonas-Mündung. Sollte das Vorhaben genehmigt werden, könnte es Brasilien bis 2030 zum fünftgrößten Ölproduzenten der Erde machen. Derzeit liegt das Land auf Rang acht.

Die geplante Ölförderung in einem Gebiet von der Größe Polens würde nicht nur den Ausstoß von Treibhausgasen drastisch erhöhen, warnen Umweltschützer und Klimaforscher. Biologen zufolge sind wertvollste Korallenriffe, ausgedehnte Mangrovenwälder und die Lebensgrundlage indigener Gemeinschaften im Falle von Unfällen gefährdet. Lula verteidigt das Vorhaben mit dem Hinweis auf die hohen Kosten für die Transformation zur Klimaneutralität. Er will die Gewinne aus dem Verkauf fossiler Brennstoffe zur Finanzierung der Energiewende einsetzen, die für das Riesenland sehr teuer werde.

Zwiespältige Umweltpolitik

Andererseits scheint Lula sein Herz für die Umwelt nicht komplett verloren zu haben. Seinen großen Wurf plant der Präsident bei der COP30 im kommenden November. Dort soll ein riesiger Fonds zum Waldschutz aus der Taufe gehoben werden. Die Tropical Forest Finance Facility (TFFF) soll mit der beispiellosen Summe von 125 Milliarden US-Dollar ausgestattet werden und den Schutz von Klima und Biodiversität in den tropischen Wäldern der Erde finanzieren. Das Geld soll, anders als bislang meist üblich, nicht als Kredit oder Spende zusammenkommen. Stattdessen sollen vor allem Industriestaaten Geld als verzinste Einlage für 20 Jahre anlegen. Aus Erträgen von Reinvestments am Aktienmarkt soll so in jedem Jahr eine Milliardensumme erwirtschaftet werden, mit der Entwicklungsländer dafür bezahlt werden, auf Abholzungen zu verzichten. Gelingt das Vorhaben, wäre es ein Meilenstein für den Klima- und Naturschutz – weltweit.

Beim Schutz des Amazonas – mit einer Fläche von mehr als sechs Millionen Quadratkilometern der größte Regenwald der Erde – kann Lula bereits heute einige Fortschritte verbuchen. Seit Beginn seiner dritten Amtszeit 2023 ist die Abholzung dort um mehr als ein Fünftel verringert worden. Gegenüber der ungebremsten Zerstörungspolitik von Vorgänger Bolsonaro ist das ein riesiger Fortschritt – gemessen an seinen eigenen Ansprüchen hinkt Lula den Zielen aber hinterher. Er selbst hat sich unter dem Schlagwort »desmatamento zero« (null Abholzung) darauf verpflichtet, bis 2030 die Zerstörung des Amazonas komplett zu stoppen. Dazu müsste seine Regierung aber die illegalen Brandrodungen in den Griff bekommen, mit denen neue Flächen für den Anbau von Sojabohnen oder für Rinderzucht geschaffen werden. Bedingt durch eine extreme Dürre, aber vielfach auch wegen absichtlich gelegter Brände, wurden im vergangenen Jahr nach Angaben von unabhängigen Forschern mehr als 300 000 Quadratkilometer Wald vernichtet, eine Fläche größer als Italien. Dies entspricht einem Anstieg von fast 80 Prozent gegenüber 2023.

Straßenbau zum Klimagipfel

Derzeit irritiert Lulas Regierung aber vor allem selbst wohlgesinnte Mitstreiter mit groß angelegten Straßenbauprojekten durch den Amazonas. Besonders umstritten ist der Ausbau des Trans-Amazonas-Highways BR-319 von Manaus nach Porto Velho. Die fast 900 Kilometer lange Piste verläuft durch eine der unberührtesten Regionen des Amazonas-Regenwaldes. Lula möchte sie durchgängig asphaltieren und zu einer zentralen Verbindung ausbauen.

Auch das Projekt »Straße der Freiheit« am COP-Konferenzort Belém sorgt für Aufregung. Viele Jahre lag das umstrittene Projekt aus Umweltgründen auf Eis. Nach einem Bericht der BBC soll die »Avenida Libertade« nun rechtzeitig zur COP30 doch fertig gestellt werden. Dabei zerschneidet die 13 Kilometer lange vierspurige Autobahn einen ökologisch wertvollen Abschnitt des Regenwalds – ausgerechnet, um den 50 000 erwarteten Teilnehmern die Anreise zu erleichtern.

Die brasilianische Zentralregierung beeilte sich nach massiven internationalen Protesten zu versichern, dass es sich nicht um ein Projekt unter ihrer Verantwortung handele. Doch solche Beteuerungen verfangen angesichts der massiven antiökologischen Politik des einstigen Hoffnungsträgers Lula bei vielen nicht mehr. »Brasilien geht als COP30-Gastgeber nicht mit gutem Beispiel voran«, kritisiert Walter Leal Filho. »Mit Ausnahme des Umwelt- und Klimaministeriums förderten alle Ministerien Aktivitäten, die die Treibhausgasemissionen in die Höhe treiben.« Der deutsch-brasilianische Klimawissenschaftler an der Hamburger Hochschule für Angewandte Wissenschaften und sein Kollege Philip M. Fearnside vom staatlichen brasilianischen Amazonas-Forschungsinstitut INPA schlagen nun gemeinsam international Alarm.

Lulas Pläne: »Formel für die Klimakatastrophe«

Im Fachjournal »Science« veröffentlichten die beiden Regenwald- und Klimaexperten einen Appell an die Staatengemeinschaft. Die anderen Staaten der Erde sollen Brasilien schon im Vorfeld der Klimakonferenz zu einer Kurswende in der Klima- und Umweltpolitik drängen, lautet die Forderung der Wissenschaftler. Denn ohne einen radikalen Politikwechsel im Amazonas-Land Brasilien könne der Kampf gegen die Erderwärmung und das Artensterben auf der Erde nicht gelingen. »Allein das riesige Waldgebiet, das durch die geplanten Straßen erschlossen, wird, enthält genug Kohlenstoff, um die globale Erwärmung über einen unumkehrbaren Kipppunkt hinauszutreiben«, warnen die Forscher. Den Plan der Regierung Lula, so lange nach Öl zu bohren, bis das Land das wirtschaftliche Niveau der Industrieländer erreicht habe, komme sogar einer »Formel für die Klimakatastrophe« gleich.

Er wisse nicht, ob Lula sich bewusst darüber sei, dass er mit seiner Politik die Rolle als globaler Hoffnungsträger unterlaufe, sagt Leal Filho gegenüber »Spektrum der Wissenschaft«. Andere Regierungen und internationale Organisationen müssten mit »konstruktiven diplomatischen Gesprächen« ihren Einfluss auf Lula und seine Minister geltend machen – vor und während der COP. Einen viel versprechenden Ansatz sieht der Experte darin, Handelsabkommen an ökologische Kriterien zu knüpfen. Das könnte der Regierung hinreichend Motivation bieten, »einen Kurswechsel bei der Zerstörung des Regenwaldes und der Förderung fossiler Energien zu vollziehen«, glaubt er. Ob der als eigenwillig und äußerst selbstbewusst bekannte Lula auf solche Einflüsterungsversuche eingehen würde, ist allerdings ungewiss.

Angesichts der harten Kritik, mit der Lula und seine Regierung zuletzt überhäuft wurden, versucht der Präsident nun zumindest verbal sein Image als Klima-Superheld zurückzuerobern. Der von Lula ernannte designierte Vorsitzende der Konferenz, André Aranha Corrêa do Lago, schrieb vor wenigen Tagen in einem Brief an die Staatengemeinschaft. »Brasilien ruft in diesem entscheidenden Jahrzehnt das Bündnis der Völker zusammen, um unsere Unterschiede hinter uns zu lassen und uns im Kampf gegen den gemeinsamen Feind, den Klimawandel, zu versammeln.« Ob es dann wieder einen strahlenden Helden Lula geben wird, dürfte sich um den 21. November 2025 herum zeigen. Dann endet zumindest laut Plan die Jubiläumskonferenz in Belém.

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