News: Prionen, Chaperone und Vererbung
Die Wissenschaftler haben nun das Chaperon aus der Hefe und die Prionen isoliert sowie gezeigt, daß sie Veränderungen der räumlichen Struktur der Prione direkt im Reagenzglas erzeugen können. Das Chaperon sucht sehr selektiv bestimmte Proteine aus und ignoriert die meisten anderen Proteine in der Zelle (Proceedings of the National Academy of Sciences vom vom 9. Dezember 1997).
Eine Tatsache macht diese Versuche besonders bemerkenswert: Dasselbe Chaperon aus Hefe reagiert auch mit Prionen aus Säugetieren, in diesem Falle mit Beta-Amyloiden. Beta-Amyloide sind faserartige Prionen, von denen angenommen wird, daß sie die Alzheimersche Krankheit verursachen.
Die neuen Erkenntnisse verleihen der Prionen-Theorie noch mehr Gewicht. Sie stellen einen Zusammenhang her, zwischen einer neuen Form von „Gen-freier” Vererbung in Hefe und neurodegenerativen Krankheiten bei Menschen und Tieren. So liefern sie auch ein neues Ziel für mögliche Therapien. Außerdem bieten sie ein Modellsystem für die raschere und preiswertere Untersuchung von Prionenkrankheiten und deren Behandlungsmöglichkeiten.
Vielleicht noch wichtiger: Sie deuten darauf hin, daß prionenartige Abweichungen in der Proteinfaltung möglicherweise viel öfter vorkommen, als man früher glaubte, und daß sie eine wichtige Rolle bei der Evolution spielen.
„Zum ersten Mal wurden wir auf Prionen aufmerksam, weil sie verschiedene neurologische Krankheiten verursachen. Aber die Entdeckung, daß solche Ähnlichkeiten in diesen Prozessen bei so verschiedenartigen Organismen wie Menschen und Hefen auftreten, läßt uns vermuten, daß es sich hier um einen gemeinsamen, grundlegenden biochemischen Mechanismus handelt”, sagte Susan Lindquist, Professorin für Molekulargenetik und Zellbiologie am Howard Hughes Medical Institute der University of Chicago.
„Diese seltsamen Krankheiten haben unsere Aufmerksamkeit auf einen, wie es scheint, vollkommen neuen, genfreien Mechanismus der Vererbung gerichtet, von dem wir immer mehr annehmen, daß er weit verbreitet ist”, fügte sie hinzu, „jetzt da wir wissen, wie und wo wir schauen müssen.”
Lindquist und ihre Gruppe untersuchten das Hefeprotein Hsp104. Bei diesem Chaperon handelt es sich um ein Hitzeschock-Protein. Es schützt Zellen vor Umweltstreß, wie hohe Temperaturen oder Giftstoffe, indem es die korrekte Form der durch Streß beschädigten Proteine wiederherstellt. Lindquist sieht in der vorliegenden Studie den ersten direkten Beweis der Hsp104-Prion Interaktion bei der Prionenbildung in der Hefe. Die Wissenschaftler fanden noch bei einem weiteren Chaperon, diesmal aus Bakterien (GroEL), daß es ebenfalls auf Prion-Proteine einwirken kann. Dies unterstützt nach ihrer Meinung die Vermutung, daß grundlegende biochemische Mechanismen an der Arbeit sind.
Die starke Affinität von Hefe- und bakteriellen Chaperonen zu dem Säugetier-Prion stellte eine wirkliche Überraschung dar. Die primäre Struktur des Säugetier-Prions ist vollständig unterschiedlich von der des Hefe-Prions. Identisch ist nur die ungewöhnliche Fähigkeit, ihre Form zu verändern und diese Veränderung von Zelle zu Zelle zu verbreiten. Im Gegensatz zu den Prionen beim Rinderwahnsinn tötet das Hefe-Prion keine Zellen ab, aber es verändert ihr Aussehen und ihre Aktivität.
Chaperone sind normalerweise extrem spezifisch: Sie interagieren nur mit Proteinen einer bestimmten Struktur. Weder Hsp104 noch GroEL reagierten mit einem der Dutzend anderen getesteten Proteine, aber jedes wirkte sowohl auf die Prion-Proteine von Hefe als auch von Säugetieren.
„Hefe- und Säugetiere-Prion-Proteine sind genetisch, strukturell und funktional vollkommen unterschiedlich”, sagte Lindquist. Außer der Tatsache, daß beide die Form verändern und große Proteinknäuel bilden, hatten Wissenschaftler keine signifikanten Ähnlichkeiten zwischen beiden entdeckt. „Aber diese Chaperone sagen uns, daß es eine ungewöhnliche grundlegende biochemische Ähnlichkeit gibt, auch wenn wir sie noch nicht gefunden haben.”
Diese mysteriöse Ähnlichkeit von Proteinen bei Menschen, Kühen und Schafen, bis hin zur Hefe erhärtet die These, daß Prionen – die zuerst wegen ihrer Rolle in einigen rätselhaften Krankheiten wahrgenommen wurden – möglicherweise eine wesentliche Rolle in der Evolution spielen.
„Dies wäre der erste plausible molekulare Mechanismus, mit dessen Hilfe eine Zelle auf ihre Umgebung durch Vererbung ihres Phänotyps reagieren könnte”, meint Lindquist.
Der Heidelberger Verlag Spektrum der Wissenschaft ist Betreiber dieses Portals. Seine Online- und Print-Magazine, darunter »Spektrum der Wissenschaft«, »Gehirn&Geist« und »Spektrum – Die Woche«, berichten über aktuelle Erkenntnisse aus der Forschung.
Wenn Sie inhaltliche Anmerkungen zu diesem Artikel haben, können Sie die Redaktion per E-Mail informieren. Wir lesen Ihre Zuschrift, bitten jedoch um Verständnis, dass wir nicht jede beantworten können.