Neue Coronavirus-Medikamente: Was leisten die Antikörper-Präparate wirklich?
In Deutschland sollen jetzt zwei weitere Medikamente gegen Covid-19 zur Verfügung stehen. Für 400 Millionen Euro hat die Bundesregierung laut Gesundheitsminister Jens Spahn Antikörperpräparate zweier Hersteller gekauft, ihr Einsatz stehe kurz bevor. Doch was diese Antikörper tatsächlich leisten, ist noch weitgehend unklar, für ihre Wirksamkeit gibt es bisher nur wenig Indizien. Vor allem aber deutet viel darauf hin, dass es recht aufwändig wird, die Wirkstoffe effektiv einzusetzen. Die Menschen, die mit den Medikamenten behandelt werden sollen, müssen sorgfältig ausgewählt werden.
Dass die Antikörper in Europa gar nicht zugelassen sind, scheint das kleinere Problem zu sein. Das Arzneimittelrecht bietet mehrere Möglichkeiten, in Europa noch nicht zugelassene Medikamente in Deutschland einzusetzen, zum Beispiel Härtefallprogramme. Laut Berichten hat das Paul-Ehrlich-Institut, das für Medikamentenprüfungen zuständig ist, bereits Zustimmung signalisiert.
Die Medikamente enthalten in Zellkulturen hergestellte Antikörper gegen das Spike-Protein von Sars-CoV-2. Das Präparat der Firma Eli Lilly enthält einen davon, mit der Bezeichnung Bamlanivimab. Das Medikament des Biotechnologie-Unternehmen Regeneron besitzt mit Casirivimab und Imdevimab sogar zwei verschiedene, um Mutationen vorzubeugen, mit denen das Virus den Antikörpern entkommt. Sie neutralisieren das Virus, hindern es also daran, in Zellen einzudringen. Das Immunsystem produziert solche Antikörper ebenfalls natürlicherweise während einer Infektion und nach der Impfung.
Schwer Kranke profitieren wohl nicht
Man bekämpft das Virus also mit den gleichen Mitteln wie der Körper, ohne jedoch darauf zu warten, dass das Immunsystem bereit ist. Bisher allerdings gibt es bestenfalls Hinweise darauf, dass die Antikörper wirklich gegen Sars-CoV-2 helfen. Vor allem aber wirken die Antikörper anscheinend nicht dort, wo man sie am liebsten nutzen würde: bei bereits schwer kranken Patientinnen und Patienten.
Das liegt an der Funktionsweise der Antikörper: Sie fangen Viren in der Blutbahn ab, wenn diese auf dem Weg zu anderen Zellen sind, und hindern sie so an der Vermehrung. Wenn Infizierte allerdings bereits schwer krank sind, bilden sie meist selbst große Mengen Antikörper; tatsächlich scheinen Antikörper an der sich im Verlauf der Infektion entwickelnde Fehlregulation der Immunantwort beteiligt zu sein.
Deswegen sind in den USA, wo beide Präparate eine Notfallzulassung erhalten haben, derartige Antikörperpräparate grundsätzlich nicht bei Patientinnen und Patienten zugelassen, die künstlich beatmet werden. Die Lebensmittel- und Medikamentenbehörde FDA warnt ausdrücklich, dass die Antikörper in dem Fall sogar schaden könnten. Bereits im Herbst hatte Regeneron seine Studien an künstlich beatmeten Menschen wegen möglicher Nebenwirkungen abgebrochen.
Darum gilt die Notfallzulassung der Antikörpermedikamente in den USA bisher nur für Menschen mit milden bis mittelschweren Symptomen von Covid-19, die ein hohes Risiko eines schweren Verlaufs haben. Damit könnte man, so die Hoffnung, den Krankheitsverlauf abmildern und verhindern, dass die Betroffenen beatmet werden müssen. Doch dazu muss die Behandlung früh beginnen.
Antikörper als Notfallschutz für Pflegeheime
Zusätzlich weist die Behörde darauf hin, dass bisher bei bereits im Krankenhaus behandelten Menschen kein Nutzen dieser Präparate beobachtet wurde – und schreibt deshalb vor, die Antikörper ambulant zu verabreichen. Und auch beim Einsatz außerhalb der Klinik profitiert anscheinend nur ein Teil der Behandelten. Studienergebnisse mit dem Antikörpercocktail von Regeneron deuten darauf hin, dass die Behandlung mit den Antikörperpräparaten am meisten hilft, bevor die körpereigene Antikörperproduktion eingesetzt hat. In der Studie war das bei weniger als der Hälfte der Versuchspersonen der Fall.
Es besteht also aus mehreren Gründen die Gefahr, dass viele Menschen mit dem Wirkstoff behandelt werden, ohne davon wirklich zu profitieren. Während es denkbar erscheint, den Antikörperstatus vor der Infusion zu prüfen, ist am Anfang der Erkrankung meist nicht abzusehen, wer ins Krankenhaus muss und wer sich ohne solche Hilfe wieder erholt. Es lässt sich kaum vermeiden, dass ein erheblicher Teil der Infizierten auf Verdacht behandelt wird. Das ist nicht nur wegen des hohen Preises des Medikaments ein Problem, sondern auch, weil das Präparat per Infusion verabreicht wird – wofür eine spezielle Infrastruktur und geschultes medizinisches Personal nötig sind.
Dennoch zeichnet sich ab, dass die Antikörpermedikamente unter spezifischen Umständen durchaus sinnvoll eingesetzt werden können, nämlich in Pflegeheimen. Das hat anscheinend der Hersteller Eli Lilly jüngst getestet. Nach Angaben des Unternehmens zeigen die Ergebnisse, dass der Antikörper das Risiko einer Infektion um bis zu 80 Prozent senkt und außerdem für Infizierte das Risiko reduziert, schwer zu erkranken. Der Haken dabei: Nutzt man den Antikörper bei noch nicht Infizierten als eine Art passive Impfung, steigt die Anzahl der Personen, die behandelt werden müssen, noch einmal dramatisch.
Darum scheint derzeit die effektivste Nutzung, den Antikörpercocktail gezielt zu Beginn eines Ausbruchs in einem Pflegeheim einzusetzen, um die Verbreitung des Virus einzudämmen. Dort ist das Risiko einer Infektion sehr hoch, und wer sich infiziert, hat außerdem eine hohe Wahrscheinlichkeit, schwer zu erkranken. Dieses Vorgehen testete der Hersteller auch in seiner Studie. Wohl mit Erfolg. Allerdings zeigt die Studie auch, wie groß der Aufwand für ein solches Vorgehen ist. Das Unternehmen stellte ein mobiles Einsatzteam samt eigens ausgestatteter Lastwagen zusammen, um möglichst schnell mit der Behandlung beginnen zu können.
Holpriger Start in den USA
Wegen erheblicher organisatorischer Probleme sind die Antikörperpräparate in den USA, wo sie seit Herbst zur Behandlung milder Covid-19-Fälle zugelassen sind, bisher eine Enttäuschung. Nur ein Fünftel der zur Verfügung stehenden Verabreichungen sei genutzt worden, vermeldete die zuständige Behörde im Dezember 2020. Da die Antikörper als Infusion verabreicht werden müssen, benötigt man eigene Räumlichkeiten mit geschultem Personal, in denen die infektiösen Patientinnen und Patienten das Präparat ambulant erhalten.
Laut Berichten ist der zusätzliche Aufwand gerade für Kliniken in stark von der Pandemie betroffenen Gebieten oft nicht zu stemmen. Zudem sei die Behandlung häufig schlicht nicht bekannt und werde deshalb nicht nachgefragt, heißt es in einem Bericht der »Washington Post«; auch die bislang nur schlecht belegte Wirksamkeit trage dazu bei, dass viele Kliniken auf die Medikamente verzichteten.
Noch ist unklar, wie das besondere Wirkprofil und die bisher nicht allzu ermutigenden Erfahrungen in den USA beim Einsatz der Antikörperpräparate in Deutschland berücksichtigt werden. Bislang ließ der Gesundheitsminister offen, wie jene Patientinnen und Patienten identifiziert werden sollen, die von den Wirkstoffen profitieren, und wie sie die Infusion erhalten sollen. Zunächst sollten die Medikamente in Unikliniken eingesetzt werden, sagte Spahn in einem Interview gegenüber der »Bild am Sonntag«.
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