Zellbiologie: Protein-Anstandsdame schickt verklumpte Proteine zurück in die Zelle
Wenn Proteine aus der Form geraten, kann das schlimme Folgen haben. Besonders, wenn sie den üblichen Abbauwegen unserer Zellen entgehen, weil sie sich außerhalb von ihnen ablagern. Ein Forscherteam um Akira Matsuura von der Chiba University in Japan will einen bislang unbekannten Weg entdeckt haben, wie unsere Zellen mit dem Eiweißschrott fertig werden: Ein Protein namens Clusterin schleust fehlgefaltete Moleküle offenbar zurück ins Zellinnere, wo sie abgebaut und recycelt werden. Vielleicht könne man hier ansetzen, um neue Medikamente gegen Krankheiten wie zum Beispiel Alzheimer zu entwickeln, an denen fehlgefaltete Proteine beteiligt sind, schreibt das Team in der Fachzeitschrift »Journal of Cell Biology«.
Proteine sind riesige Moleküle: Sie bestehen aus Hunderten bis Tausenden von Aminosäuren. Innerhalb unseres Körpers falten sich diese Aminosäureketten zu dreidimensionalen Strukturen. Aber nicht irgendwie: Jedes Protein hat seine eigene, genau festgelegte Ordnung. Die 3-D-Strukturen beruhen auf Wechselwirkungen zwischen einzelnen Atomen und Molekülgruppen innerhalb des Proteins. Werden sie gestört, verlieren die Eiweißmoleküle ihre Orientierung – und verklumpen miteinander. Solche Proteinklumpen, die auch als Plaques oder Fibrillen bezeichnet werden, finden sich beispielsweise im Gehirn von Alzheimerpatienten. Weltweit sind etwa 50 Millionen Menschen von der bislang unheilbaren, fortschreitenden Demenzerkrankung betroffen – Tendenz steigend. Ohne Fortschritte in der Vorbeugung und Behandlung prognostiziert der World Alzheimer Report 2019 eine Verdreifachung der Fallzahlen bis 2050. Aber auch andere Krankheiten, wie etwa die amyotrophe Lateralsklerose (ALS), unter der beispielsweise der Astrophysiker Stephen Hawking litt, hängen mit falsch gefalteten Proteinen zusammen.
Was passiert mit falsch gefalteten Proteinen?
Um verklumpte Proteine im Zellinneren kümmern sich Proteasomen, die auch als Mülltonnen der Zellen bezeichnet werden. Sie erkennen spezielle Markierungen an zu entsorgenden Proteinen und zerstückeln sie. Außerdem gibt es in der Zelle kleine, membranumschlossene Bläschen: Lysosomen. Sie enthalten Verdauungsenzyme und können Proteine und andere Biomoleküle abbauen. Was aber geschieht mit Eiweißen, die Zellen in ihre Umwelt freisetzen? Etwa elf Prozent der Proteine, die unsere Zellen herstellen, darunter das Alzheimerpeptid Beta-Amyloid, sind für den Export bestimmt. Dadurch sind sie Stressfaktoren wie Hitze oder pH-Wert-Schwankungen, die die sensiblen Wechselwirkungen ihrer Bausteine stören, noch stärker ausgesetzt als Proteine im Zellinneren.
Forscher wussten bereits, dass Clusterin an gestresste Eiweißmoleküle außerhalb von Zellen bindet und diese stabilisiert. Das Protein hilft anderen Proteinen als Chaperon (englisch für Anstandsdame) dabei, sich anständig zu falten, und bewahrt sie vor schädlichen Kontakten. Allein hat Clusterin allerdings nicht genug Power, um verklumpte Proteine zurück in die richtige Form zu bringen. Dennoch zeigen Studien, dass Menschen, deren Clusterin auf Grund von Genmutationen verändert ist, mit einer höheren Wahrscheinlichkeit an Alzheimer erkranken.
Clusterin hat einen Komplizen: Heparansulfat
Bereits im Jahr 2005 hegten andere Wissenschaftler deshalb den Verdacht, Clusterin könne mit Molekülen auf der Zelloberfläche interagieren und dafür sorgen, dass der Proteinschrott wieder in die Zelle aufgenommen und abgebaut wird. Um diese These zu überprüfen, stattete das Team um Matsuura nun das Chaperon mit zwei leuchtenden Proteinen aus: mit einem grünen, dessen Leuchten erlosch, sobald es in die Zelle und somit in Fänge eines Lysosoms geriet, und einem roten, das dabei stabil blieb. Gaben die Forscher das doppelt markierte Clusterin nun zu menschlichen Zellkulturen, etwa Nieren-, Leber- oder Darmzellen, so reicherte sich das rote Protein in ihrem Inneren an. Noch besser klappte es, wenn sie ein fehlgefaltetes Protein als Lockvogel dazugaben: Die Zellen nahmen dann noch mehr Clusterin – und damit rote Farbe – auf.
Um den Komplizen des Clusterins auf der Zelloberfläche ausfindig zu machen, durchkämmte das Team um Matsuura anschließend das gesamte Erbgut menschlicher Nierenzellen – und wurde fündig: Schnitten die Forscher mit Hilfe der Genschere CRISPR/Cas bestimmte Gene heraus, die dafür zuständig sind, Zuckermoleküle an die Zelloberfläche zu heften, gelangte weniger rote Farbe in die Zellen. Zudem hörte das grüne Protein nicht auf zu leuchten. Weitere Tests ergaben, dass das Chaperon offenbar mit Heparansulfat interagiert. Diese Zuckerverbindung ist, an Membranproteine angekoppelt, auf der Oberfläche praktisch aller tierischen Zellen vorhanden. Ob der Transportmechanismus auch in Gehirnzellen und echten menschlichen Gewebeproben funktioniert, haben die Forscher allerdings noch nicht überprüft.
Ein möglicher Ansatz für Alzheimermedikamente
»Wir glauben, dass der Clusterin-Heparansulfat-Weg ein allgemeines Kontrollsystem ist, das dafür zuständig ist, fehlgefaltete Proteine aus verschiedenen Geweben und Körperflüssigkeiten zu beseitigen«, sagt Zellbiologe Eisuke Itakura, Erstautor der Studie, in einer Pressemitteilung. Die Forscher vermuten, dass das Chaperon bestimmte Bereiche in fehlgefalteten Proteinen erkennt, die normalerweise in ihrem Inneren verborgen sind, weil sie wasserscheu sind. Für seine Tests benutzte das Team nicht nur ein besonders empfindliches Modellprotein, dem es zuvor einen Hitzeschock verpasst hatte, sondern ebenso das Alzheimerpeptid Beta-Amyloid sowie Bruchstücke von roten Blutkörperchen. All diese Proteine wurden mit Hilfe von Clusterin von den Zellen aufgenommen und abgebaut – wenn auch nicht ganz so effizient wie das Modellprotein.
Vielleicht könne man eine genetisch veränderte Version von Clusterin entwickeln, die bestimmte, fehlgefaltete Proteine noch besser erkennt, schreiben die Forscher. Auch James Shorter von der University of Pennsylvania, der nicht an der Studie beteiligt war, kann sich vorstellen, dass der neu entdeckte Abbauweg als Ansatzpunkt für Medikamente dienen könnte. »Es wäre interessant, Moleküle entwickeln, die diesen Weg ankurbeln und so helfen, zusammengelagertes Alzheimerpeptid zu beseitigen«, sagt der Biochemiker, der in Philadelphia ebenfalls zu Chaperonen und fehlgefalteten Proteinen forscht.
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