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Biochemie: Protein krempelt sich zwischen zwei Aufgaben total um

Transkription

Proteine können die verschiedensten Formen annehmen und unterschiedliche Funktionen ausfüllen. Vorgegeben werden Form und Funktion dabei durch die Reihenfolge der Grundbausteine ihrer Aminosäurekette: Sie bestimmt die Gestalt des Eiweiß und seiner einzelner Abschnitte oder "Domänen", faltet sich autonom und bringt dabei die biochemisch aktiven Bereiche hervor, die dann ihre jeweiligen Spezialaufgabe erfüllen. Tatsächlich ist das aber offenbar nur im Lehrbuch ein von der Aminosäurensequenz immer gleich vorgegebener Prozess, bemerken Forscher nun: Sie entdeckten ein Protein, das einzelne Domänen eines aktiven Enzyms je nach Bedarf auch völlig umbaut und ihm eine gänzlich andere Funktion ermöglicht, ohne dass dazu die Primärstruktur verändert werden müsste. Und womöglich, meinen die Wissenschaftler, ist solch ein Protein nicht einmal ein Einzelfall.

Paul Rösch von der Universität Bayreuth und seine Kollegen aus den USA und der Schweiz vermuten das nach ihrer Untersuchung von zwei Proteinen, NusG und RfaH. Beide kommen in Bakterien vor, repräsentieren aber eine Gruppe von Genregulationsproteinen – so genannten Transkriptionsfaktoren – die sich seit der Entwicklung des Lebens kaum geändert haben: Die NusG-Familie kommt bei Bakterien, Pilzen und Menschen gleichermaßen in kaum veränderten Varianten vor. Auch NusG und RfaH sind sich in ihrem Aufbau auf den ersten Blick ähnlich, sie erfüllen aber unter bestimmten Bedingungen sehr unterschiedliche Funktionen. Rösch und Kollegen wollten herausfinden, warum.

NusG und RfaH binden als Transkriptionsfaktoren beide an DNA und verstärken die Ableserate bestimmter Gene. Dies gelingt ihnen offenbar, indem sie die Gen-Ablesemaschine der Bakterien (die RNA-Polymerase) stabilisieren, so dass sie nicht durch bestimmte Bremsprozesse von ihrer Tätigkeit abgelenkt werden kann. Gleichzeitig kann eine Hälfte des Enzyms (die carboxyterminale Domäne (CTD) von NusG) dem Ableseprozess aber auch Einhalt gebieten. Das geschieht etwa, wenn von fremden Bakterien aufgenommene, durch eine kurze Sequenz namens "opt" gekennzeichnete Genabschnitte abgelesen werden: Die CTD-Domäne von NusG rekrutiert dann den Terminationsfaktor Rho, der den Ableseprozess und den damit einhergehenden Bau von Boten-RNA stoppt.

RfaH arbeitet zunächst ähnlich: Es bindet an die gleichen DNA-Abschnitte wie NusG. Anders als sein Pendant holt es sich aber nie die Unterstützung von Rho, um den Prozess zu stoppen. Im Gegenteil: Erkennt es eine opt-Gensequenz, so beschleunigt es denn Bau der Genprodukte plötzlich hundertfach. Dies geschieht etwa bei manchen Bakterien, die virulent werden; die Keime produzieren unter opt-Kontrolle stehende Virulenzfaktoren in großer Zahl, die dann anderen Zellen und Organismen gefährlich werden können.

Sehr verblüfft waren die Forscher nun als sie erkannt haben, wie RfaH vorgeht, um die Proteinproduktion so dramatisch anzukurbeln. Der Schlüssel steckt dabei in der carboxyterminale Domäne des Proteins. Sie besteht aus einer Amiosäurekette, die sich im Normalfall ausschließlich zu so genannten alpha-Helices faltet, also eine verschlungene Struktur aus Schrauben bilden. RtaH kann dies aber offensichtlich drastisch ändern: Nachdem es ein opt-Signal erkennt, beginnt die CTD sich autonom von einer alpha-Helix- in eine Beta-Barrel-dominierte Struktur umzufalten. Derartiges war zuvor noch nie beobachtet – und, zumindest in nicht mehr ganz aktuellen Lehrbüchern, sogar für unmöglich erklärt worden, weil die beiden Stukturen im Normalfall auf sehr unterschiedlich zusammengesetzten Aminosäure-Primärstrukturen beruhen.

Die RtaH-CTD kann nun aber offensichtlich beide Formen autonom einnehmen. Darüber hinaus haben beide Formen sehr unterschiedliche Funktionen, denn die zum Beta-Barrel umgefaltete Version kurbelt den Proteinbau drastisch an. Dies gelingt ihr, indem sie die Proteinbaumaschine rekrutiert, um die gerade transkribierte Boten-RNA abzulesen. RtaH-CTD koppelt also Transkription (das Ablesen der DNA und den Bau von Boten-RNA des Gens) und Translation (das Ablesen der Boten-RNA und den Bau der darin kodierten Proteine). Dies erhöht die Proteinproduktion drastisch.

Bisher kannten Forscher kaum Proteine, die unter normalen Zellbedingungen drastisch unterschiedliche Konformationen einnehmen – zumeist beruht dies immer auf einer chemischen Modifikation, etwa einer Oxidation des Proteins. Die autonome Umformung einer alpha-Helix in eine Beta-Barrel-Struktur ist dagegen ohne Beispiel. Tatsächlich hat man aber vielleicht nur nicht gut genug hingesehen, vermuten die Forscher: RtaH könnte nur das erste entdeckte einer Reihe von Regulationsproteinen sein, die ganz ähnlich arbeiten und einen eleganten und effizienten Weg gefunden haben, eine einzige Aminosäuresequenz für verschiedene Funktionen einzusetzen.

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