News: Proteine fischen
Nach dem Genom steht daher nun das Proteom – die Gesamtheit aller Proteine eines Organismus – im Mittelpunkt des Interesses. Mit verschiedenen Methoden versuchen Forscher, den Wechselwirkungen dieser Moleküle auf die Spur zu kommen. Anne-Claude Gavin von Cellzome und ihre Kollegen vom European Molecular Biology Laboratory bedienten sich dabei einer alten Anglermethode: Mithilfe eines Köders fischten sie die gesuchten Komplexe aus dem Gen-Pool der Bäckerhefe (Saccharomyces cerevisiae) heraus.
Dazu hängten sie an die Gene verschiedener Proteine eine kurze Sequenz an, die als Erkennungsmerkmal dienen sollte, und schleusten sie in das Erbgut von Hefezellen ein. Hier wurden die Bauanleitungen in den meisten Fällen ordnungsgemäß abgelesen und das veränderte Protein hergestellt. Und da es sich in seiner normalen Umwelt befand, nahm es seine gewöhnliche Arbeit auf. Als die Forscher die Zellen zerstörten und die Proteine aufreinigten, konnten sie mit dem markierten Protein auch dessen momentane Partner ermitteln.
Insgesamt veränderten die Forscher um Gavin 1739 Gene und züchteten daraus 1548 verschiedene Hefestämme, von denen 1167 das jeweilige markierte Protein in ausreichender Menge herstellten. Daraus fischte das Team 539 Proteingrüppchen, die sich als 232 verschiedene Proteinkomplexe entpuppten. 91 Prozent dieser Molekülansammlungen, die aus bis zu 83 Einzelkomponenten bestanden, beherbergten mindestens ein Protein, dessen Funktion bisher noch gänzlich unbekannt war – für etwa zwei Drittel davon konnten die Wissenschaftler nun etwas Licht ins Dunkel bringen. Bei 113 Proteinen, denen bereits eine Aufgabe zugordnet wurde, offenbarten sich außerdem weitere Talente.
Aus all diesen Daten erstellten Gavin und ihre Mitarbeiter eine detaillierte Karte, welche Proteine nun zusammenarbeiten. Das dichte Netz von Verbindungen demonstriert, wie vielschichtig allein schon der Stoffwechsel in diesem Einzeller ist – und lässt erahnen, wie eine solche Analyse für andere Organismen ausgehen würde. Denn Hefe enthält zahlreiche Gene, die sich auch beim Menschen und anderen komplexeren Lebewesen finden.
Ganz zuverlässig ist die Methode jedoch nicht. So sprechen die Forscher selbst davon, dass 30 Prozent der gefischten Proteinkomplexe mit Vorsicht zu betrachten sind – sie hatten an 13 Vertretern die "Wiederfangquote" ermittelt. Andererseits bekamen sie einige Komplexe nicht an den Haken, die aus anderen Untersuchungen bereits bekannt sind.
Doch selbst wenn die Ergebnisse unvollständig und weiterhin zu überprüfen sind, der Angler-Ansatz hat sich bewährt. Mit einem kleinen Rechenexempel zeigen Anuj Kumar und Michael Snyder von der Yale University allerdings, dass bisher nur ein Bruchteil aufgedeckt wurde: Alle Experimente zusammengenommen kennt man etwa 11 000 solcher Interaktionen, von denen sich bei einem Datenabgleich etliche als doppelt erweisen dürften. Bei durchschnittlich fünf vermuteten Partnern pro Protein sind allein für die Hefe jedoch 30 000 solcher Wechselwirkungen aufzuspüren. Bis zur umfassenden Proteomkarte ist es also noch ein weiter Weg.
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