News: Proteomik - jetzt beginnt die eigentliche Arbeit
Doch mit der Darlegung der einzelnen Basen ist das Rätsel Mensch noch lange nicht gelöst. Erst die Übersetzung der codierenden Bereiche in die entsprechenden Proteine bringt uns der Auflösung etwas näher und mit dieser neuen Aufgabe ist auch eine neue Ära angebrochen: das Post-Genom-Zeitalter. Doch was ist damit gemeint? Die Genomforschung wird durch einen relativ neuen Forschungszweig – die Proteomforschung – abgelöst, wobei der Name eine Kombination aus Protein und Genom ist. Während das Genom die komplette Erbsubstanz eines Organismus bezeichnet, versteht man unter dem Proteom die Gesamtheit aller Proteine, die zu einem bestimmten Zeitpunkt in der Zelle vorliegen. Wobei die Proteinausstattung nicht in allen Zellen gleich ist, denn eine Nervenzelle muss andere Aufgaben erfüllen als eine Leberzelle, und hierzu bedient sie sich ihrer eigenen Mannschaft an kleinen Helferchen. Nicht genug damit, dass die Proteine von Zelltyp zu Zelltyp wechseln, auch Alterung, Umwelteinflüsse und Krankheiten beeinflussen ihre Zusammensetzung. Die Dynamik macht das ganze System also ziemlich unübersichtlich, zumindest für die Strukturbiologen.
Der Forschungszweig der Proteomik widmet sich ganz den Proteinen. Ein Aspekt behandelt den Vergleich der Proteinzusammensetzung in krankhaft veränderten Zellen im Gegensatz zu normalen, gesunden Zellen mittels der zweidimensionalen Gel-Elektrophorese. Ein anderer Bereich untersucht die räumliche Struktur der Proteine – besonders interessant für Pharmaunternehmen zur Entwicklung neuer Medikamente. Und am wichtigsten und schwierigsten ist die Aufklärung der Proteinfunktionen, zum Beispiel durch das so genannte Two-Hybrid-System in Hefen oder die Massenspektroskopie.
Die Gene sind eine Art Bauanleitung für die dazugehörigen Proteine, die als ausführende Organe unzählige Aufgaben in der Zelle übernehmen. Diese bilden Strukturelemente – wie die kabelförmigen Kollagenmoleküle –, beschleunigen als Enzyme Stoffwechselvorgänge oder übertragen als Signalstoffe flink Botschaften innerhalb der Zelle und auch von einer zur nächsten. Die Aufgaben sind fast unbegrenzt. So unterschiedlich wie ihre Einsatzmöglichkeiten sind aber auch die Proteinformen, die aufgrund ihrer dreidimensionalen Gestalt so schwer vorauszusagen sind.
Im Gen bilden immer drei Basen eine Einheit, die für eine Aminosäure steht. Über einige Zwischenschritte wird das abgelesene Gen in das entsprechende Protein übersetzt. Dazu reihen sich die Aminosäuren wie Perlen auf einer Kette auf und formen schließlich eine lange Polypetidkette. Doch die Kette bleibt nicht linear, sondern nimmt schnell zwei bevorzugte Sekundärstrukturen an: die alpha-Helix und das beta-Faltblatt, 1950 postuliert von dem zweifachen Nobelpreisträger Linus Pauling. Aber damit nicht genug: Die Polypeptidkette faltet sich noch einmal in sich selbst zur Tertiärstruktur, die schon recht unübersichtlich ist. Und ist ein Protein aus mehreren Untereinheiten aufgebaut, dann lagern sie sich wie beim Hämoglobin zusammen und bilden die Quartärstruktur. Nun könnte man meinen, das Protein sei fertig und könne mit seiner Arbeit beginnen. Weit gefehlt. In dem Vorgang der post-translationalen Modifikation wird es noch nachträglich verändert. Bestimmte Bereiche, wie Signalsequenzen, werden abgeschnitten, und wahlweise chemische Gruppen, Zucker- oder Lipidmoleküle angehängt. Bisher sind mehr als 100 Typen von post-translationaler Modifikation bekannt.
Das größte Problem der Wissenschaftler ist somit die Vorhersage der Proteinstruktur, denn ohne dieses Wissen kommen die Wissenschaftler der Funktion nicht auf die Spur, die von der dreidimensionalen Gestalt abhängt. Manche Proteine sind kugelig, andere langgestreckt wie eine Faser, einige haben Taschen, in denen sie Moleküle binden und transportieren. Die Forscher interessieren sich dafür, welche Proteine in welchen Zellen vorliegen und wo sie sich dort genau befinden – ob an der Zellmembran lokalisiert oder frei im Zellinneren umher schwimmend. Außerdem wollen sie die Partner der Proteine – zum Beispiel den Liganden eines Rezeptors – unter die Lupe nehmen, was besonders die Pharmaunternehmen bei ihrer Suche nach Wirkstoffen unterstützen soll. Ansatzpunkte gibt es genug, denn Genomforscher gehen heute davon aus, dass die etwa 10 000 bis 40 000 menschlichen Gene mehr als eine Million verschiedene Proteine hervorbringen.
Doch wie geht man am besten vor, um dieses Durcheinander in den Zellen zu ordnen? Bislang fabrizierten die Wissenschaftler ein verwirrendes Sammelsurium von Punkten mittels der so genannten zweidimensionalen Gel-Elektrophorese. Hierbei wird das zu untersuchende Proteingemisch auf einen festen Träger aufgebracht. Die erste Trennung erfolgt normalerweise nach dem Gehalt der Proteine an sauren und basischen Aminosäurebausteinen über einen pH-Gradienten. Ein elektrisches Feld trennt anschließend die Proteine in der zweiten Richtung auf. Übrig bleibt ein Fleckenmuster, in dem jeder Fleck für ein Protein steht. Hiermit können Unterschiede in der Proteinzusammensetzung zwischen gesunden und krankhaft veränderten Zellen untersucht werden. Denn die Proteinflecken werden noch ausgestanzt und die Proteine durch Verdau mit spezifischen Proteasen in Fragmente zerlegt. Die Massen der Fragmente, die nach dieser Behandlung übrig bleiben, sind für jedes Protein so charakteristisch wie ein Fingerabdruck.
Ein anderes Verfahren ist das so genannte Two-Hybrid-System, bei dem man die Bindungskontakte der Proteine verfolgen kann. Hierbei prüfen die Forscher, ob ein Protein mit unbekannter Funktion mit einem anderen interagiert, dessen Arbeitsgebiet in der Zelle bereits bekannt ist. So lassen sich für bisher unbekannte Proteine zumindest Partner feststellen und sie so eventuell in Aufgabengebiete einteilen – wie DNA-Reparatur, Zell-Alterung oder Energieerzeugung.
Bislang ist nur die Struktur von etwa einem Prozent aller menschlichen Proteine bekannt. Doch der nächste Meilenstein bei der Aufklärung des Wunders Mensch wird eine Übersicht über die Aktivität und Charakteristika von jedem Protein sein, das der Organismus während seines Lebens synthetisieren kann. Vor zehn Jahren waren die Proteinchemiker glücklich, wenn sie zwei bis drei Proteine im Jahr identifizieren konnten. Mit den heutigen ausgeklügelteren Techniken und der Fülle an bekannten genetischen Daten steigt die Zahl der charakterisierten Proteine auf mehrere Hundert in der Woche. So sammeln sie die Daten schon in entsprechenden Proteindatenbanken und spekulieren über ein Human Proteome Project. Obwohl auf die Wissenschaftler noch eine Menge Arbeit wartet, so ist es doch nur eine Frage der Zeit, bis die Proteine den Genen endgültig den Rang ablaufen.
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