Prototaxites: Mysteriöser Megapilz soll ganz neue Lebensform gewesen sein

Seit mehr als 150 Jahren streiten Fachleute über die wahrscheinlich merkwürdigsten Organismen der Erdgeschichte. Vor rund 400 Millionen Jahren hatte das Leben gerade an Land Fuß gefasst. Doch die ersten Pionierarten existierten bereits im Schatten mysteriöser Giganten: Bis zu acht Meter hohe, massive Säulen wuchsen gen Himmel, doch niemand weiß, was sie waren. Nun schlägt ein Team um Corentin Loron von der University of Edinburgh vor, dass die als Prototaxites bezeichneten Lebewesen zu einem vierten, heute ausgestorbenen Reich vielzelliger Lebewesen gehörten. Sie waren demnach weder Tier noch Pflanze noch Pilz – sondern etwas ganz anderes. Wie die Arbeitsgruppe in ihrer noch nicht von Fachkollegen geprüften Vorabveröffentlichung schreibt, sei die Kombination von Eigenschaften bei Prototaxites mit keiner der drei heute bekannten Gruppen von Vielzellern vereinbar.
Die meisten Fachleute gehen heute davon aus, dass es sich bei Prototaxites um Pilze handelte. Dafür sprechen chemische und anatomische Hinweise. So besteht der Organismus aus drei Typen von Röhren von 10 bis 40 Mikrometer Durchmesser, ganz ähnlich den modernen Ständerpilzen, zu denen auch die meisten Speisepilze gehören. Ihre enorme Größe erreichten sie demnach deswegen, weil sie sich nicht von verrottender Landvegetation ernährten wie moderne Pilze, sondern von deutlich massereicheren Bakterienmatten in Teichen und Flüssen, wie 2010 ein Team von der University of New Hampshire anhand von Isotopenuntersuchungen berichtete. Die Arbeitsgruppe um Loron weist diese Argumentation nun auf Basis ihrer eigenen Analysen zurück.
Sie verglich dabei einerseits die mikroskopische Anatomie von Prototaxites mit der von Pilzen aus den gleichen Fossillagerstätten, andererseits untersuchten sie die chemischen Rückstände des versteinerten Gewebes. Wie sie berichten, unterscheiden sich die Röhren deutlich von denen der Ständerpilze; außerdem enthalte Prototaxites knollenartige Verdickungen im Gewebe, die dem widersprächen. Bei den chemischen Analysen sei der Stoff Perylen, ein in Pilzfossilien jener Periode auftretendes Abbauprodukt, nicht aufgetaucht. Insbesondere aber hätten die Analysen des Zellwandmaterials gezeigt, dass diese nicht aus Chitin und Chitosan bestanden, wie es für Pilze typisch ist. Stattdessen habe man phenolische Komponenten gefunden, die Bausteine des Lignins – einem Bestandteil von Holz. Gleichzeitig jedoch ist Prototaxites anatomisch mit ziemlicher Sicherheit keine Pflanze – und die Existenz von Zellwänden schließt ein Tier aus.
Der mysteriöse Organismus habe insgesamt drei diagnostische Charakteristika: erstens die Röhren, zweitens die phenolischen chemischen Rückstände der Zellwände und drittens der Umstand, dass er sich heterotroph, also von anderer Lebewesen Biomasse ernährte. Demnach sei Prototaxites einzigartig und gehörte vermutlich zu einer fremdartigen, heute ausgestorbenen Sorte vielzelliger Organismen. Die Analyse muss noch von anderen Fachleuten geprüft werden, bevor sie als reguläre Publikation erscheint. Sie reiht sich allerdings ziemlich nahtlos in die 150 Jahre alte Debatte ein, in der die Vorzeitgiganten schon mal als aufgerollte Pflanzenmatten interpretiert wurden. 400 Millionen Jahre alte Fossilien lassen naturgemäß einigen Raum für Interpretationen, so dass die Kontroverse um Prototaxites bis auf Weiteres am Köcheln bleibt.
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