Psyche-Mission: Reise in die Babyjahre eines Gesteinsplaneten
Könnte man den Asteroiden Psyche betreten, liefe man über eine zerklüftete, metallene Landschaft aus massivem Eisen, Nickel und Kobalt sowie Gold, Silber und sogar Platin. Seine schimmernde Oberfläche ist nur etwas größer als Griechenland und von Kratern durchzogen. Seine Form ist etwas knubbelig und erinnert entfernt an eine Kartoffel. Allerdings: Bislang lässt sich nur mutmaßen, dass Psyche so aussieht; die Annahmen sind zwar keiner blühenden Fantasie entsprungen, aber auch nicht bewiesen – noch nicht.
Im Oktober schickt die US-amerikanische Raumfahrtbehörde NASA eine Raumsonde zu dem geheimnisvollen Objekt im Asteroidengürtel zwischen Mars und Jupiter. Der gut 2,6 Tonnen schwere Erkundungssatellit trägt den gleichen Namen wie sein Ziel und soll am 12. Oktober um 16.16 Uhr vom Kennedy Space Center in Florida aus mit der Schwerlastrakete Falcon Heavy von SpaceX ins All starten. Auf der sechs Jahre dauernden Reise holt sich die Sonde unterwegs Schwung am Mars, um dann im August 2029 nach 2,4 Milliarden Kilometern mit Hilfe seiner Ionentriebwerke in einen Orbit um Psyche einzuschwenken. Dort soll das mit entfalteten Solarpanelen etwa tennisplatzgroße Gefährt den Asteroiden mindestens 21 Monate lang umkreisen und von unterschiedlich hohen Umlaufbahnen aus kartografieren und untersuchen.
Geheimnisvoll und schwer
»Es ist das allererste Mal, dass wir eine solche Welt aus Metall besuchen«, sagt Lindy Elkins-Tanton von der Arizona State University und Chefwissenschaftlerin der Mission. Dabei ist es kein Zufall, dass sich die NASA ausgerechnet Psyche als Ziel ausgesucht hat. »Von den etwa eineinhalb Millionen Körpern im Asteroidengürtel kennen wir nur etwa neun, von denen wir glauben, dass sie größtenteils aus Metall bestehen – und Psyche ist der größte davon.« Weil Psyche mit 226 Kilometer Durchmesser zu den auffälligeren Objekten im Asteroidengürtel gehört, wurde sie bereits 1852 vom italienischen Astronomen Annibale de Gasparis per Fernrohr entdeckt und nach der Frau des griechischen Gottes Eros benannt. Trotzdem wissen wir fast nichts über den metallenen Koloss, der die Sonne in einem Abstand von durchschnittlich 450 Millionen Kilometern in etwa fünf Jahren einmal umkreist.
»Es ist gleichermaßen frustrierend wie aufregend. Wir haben allerlei Daten zusammengetragen, aber sie sind nicht immer stimmig«Lindy Elkins-Tanton, Chefwissenschaftlerin der Mission
»Es ist gleichermaßen frustrierend wie aufregend«, sagt Elkins-Tanton. »Wir haben allerlei Daten zusammengetragen, aber sie sind nicht immer stimmig.« Mit kombinierten Messungen im Radar- und sichtbaren Bereich ließ sich immerhin ein verschwommenes 3-D-Modell erstellen. Zuletzt hatte das James-Webb-Teleskop im März Aufnahmen von Psyche gemacht, um mit Hilfe des Infrarotspektrometers mehr über die Zusammensetzung der Oberfläche zu erfahren. Die Ergebnisse stehen jedoch noch aus. »Es ist noch nie eine Sonde an Psyche vorbeigeflogen. Wir wissen nicht mal, wie Psyche genau aussieht«, sagt Elkins-Tanton. »Selbst auf Aufnahmen des Hubble-Teleskops ist Psyche nur wenige Pixel groß.«
Allerdings deutet Psyches Dichte von 3400 bis 4100 Kilogramm pro Kubikmeter darauf hin, dass sie zu einem großen Teil aus Metall besteht. Der Wert liegt deutlich über dem von steinernen Asteroiden, was sie zu einem »M-Typ-Asteroiden« macht. Auch die thermische Trägheit, ein Maß dafür, wie schnell Psyche ihre Temperatur ändert, lasse auf einen hohen Metallgehalt an der Oberfläche schließen, sagt Elkins-Tanton.
Fenster in die Vergangenheit des frühen Sonnensystems?
Die wichtigste Antwort, die sich Planetologen und Planetologinnen von dem Besuch versprechen, ist, wie sich der Asteroid seit der Entstehung des Sonnensystems entwickelt hat. Einem Szenario zufolge ist Psyche das Ergebnis eines interplanetaren Verkehrsunfalls. In einem nur ein Jahr alten Sonnensystem wäre Psyche ein Planetesimal von vermutlich wenigen hundert Kilometern Durchmesser gewesen. Zu dieser Zeit hätte sich der Babyplanet durch den Zerfall radioaktiver Elemente bereits in einen Mantel aus Gestein und einen schweren Kern aus Metall differenziert. Doch bevor Psyche sich zu einem echten Planeten weiterentwickeln konnte, stieß sie mit mindestens einem Objekt zusammen, das einen großen Teil ihres Mantels in den Weltraum hinausschleuderte. Übrig blieb ein Rumpf, der zu einem riesigen Klumpen aus Metall und Gesteinsfragmenten erstarrte.
In diesem Modell stellt Psyche eine eingefrorene Momentaufnahme eines gewaltigen Sturms dar, der während der Bildung des Sonnensystems tobte, in dem frühe, planetenartige Himmelskörper ständig miteinander kollidierten und dabei mal auseinandergerissen, mal zu noch größeren Gebilden zusammengefügt wurden. Damit könnte Psyche nicht weniger als die Entstehungsgeschichte der Gesteinsplaneten Merkur, Venus, Erde und Mars erzählen. »Wenn diese Hypothese stimmt, bekommen wir die einzigartige Gelegenheit, direkt in den Kern eines Planeten zu sehen«, erklärt Lindy Elkins-Tanton. »An das metallische Innere der Erde kommen wir ja nicht heran.«
Einem anderen Modell zufolge ist Psyche hingegen nie komplett aufgeschmolzen. Der radioaktive Zerfall hat sie zwar aufgeheizt; zu einer Differenzierung in Kern und Mantel kam es jedoch nicht. Stattdessen überführten stark reduzierende Bedingungen die Metalle in den Silikaten und Oxiden in reine Elemente.
Eine Frage der Wahrscheinlichkeit
Das Kollisionsmodell war lange Zeit Konsens in der wissenschaftlichen Community. Neuere Spektroskopie-Daten deuten allerdings darauf hin, dass Psyche ein Mix aus 30 bis 60 Volumenprozent Metall und Silikatgestein ist. Denkbar sind also auch Hybride beider Hypothesen. Zudem wäre es ein außergewöhnlicher Zufall, dass ein Objekt in genau dem Winkel auf die Ur-Psyche traf, dass lediglich der Mantel fortgetragen wurde und nicht gleich ihr ganzer Körper vollständig zerbrach.
»Nach Ockhams Rasiermesser, einem Ökonomieprinzip, ist häufig die einfachste Hypothese richtig. Aber nicht nur, weil sie am wahrscheinlichsten ist, sondern vor allem am besten überprüfbar«, sagt Elkins-Tanton. »Für lediglich ein Objekt ist das jedoch eine knifflige Regel, denn in unserem Fall gibt es nicht ausreichend statistische Daten.« Da Psyche aber ein recht einzigartiges Objekt im Sonnensystem ist, lässt sich annehmen, dass der Asteroid auch unter eher ungewöhnlichen Umständen entstanden sein könnte. Daher hält Elkins-Tanton es für wahrscheinlich, dass Psyche Teil des Kerns eines kleinen Planetesimals ist.
»Am spannendsten fände ich persönlich, wenn das Metall auf Psyche in reduzierter Form vorläge, Psyche also tatsächlich nie aufgeschmolzen ist«, sagt die Forscherin. »Das würde eine der Hypothesen bestätigen, ist aber bislang noch nicht beobachtet worden. Psyche wäre eine Art neues Material in der Geschichte des Sonnensystems.«
Die Fühler der Sonde
Drei Instrumente sollen den Asteroiden aus vier unterschiedlich hohen Orbits – also aus der Distanz – in 85, 170, 290 und 700 Kilometer Höhe untersuchen, um Psyches Geburt auf die Spur zu kommen. Zunächst schwenkt die Sonde in den höchsten Orbit um die Pole ein. Dort soll unter anderem ein Magnetometer Psyches Magnetfeld bestimmen, die wissenschaftlich vielleicht spannendste Messung. Ein starkes Feld wäre ein entscheidender Beleg für einen eisernen Kern und würde damit die Schmelz-Hypothese unterfüttern. In den zwei mittleren Orbits kommen Messungen des Schwerefelds und der Oberflächenbeschaffenheit hinzu.
Um mit einem Gamma- und Neutronenspektrometer die Zusammensetzung der Oberfläche zu ermitteln, muss die Sonde hingegen auf ihre niedrigste geplante Umlaufbahn über Psyche sinken. Das an einem zwei Meter langen Stab montierte Gerät wird dann in nahezu äquatorialer Neigung die Wellenspektren der von der Asteroidenoberfläche reflektierten kosmischen Strahlung messen, die Aussagen über die Elementverteilung und -häufigkeit ermöglichen.
Für die Außendarstellung der Mission am wichtigsten dürften dagegen zwei baugleiche Multispektral-Kameras sein, die auch optische Bilder des womöglich schillernden Brockens machen sollen. »Im niedrigsten Orbit kommen wir auf 20 bis 30 Meter Auflösung, da erkennen wir schon ziemlich viel von der Oberfläche«, erklärt Thomas Roatsch vom Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR), der an Psyches Kartografierung beteiligt ist. »Bei einer zweiten Runde drehen wir die Sonde so, dass die Kamera zehn Grad nach vorne schaut, beim dritten Mal zehn Grad nach links und so weiter. So erhalten wir verschiedene Stereowinkel, aus denen wir dann ein 3-D-Modell erstellen.«
Psyche ist für Weltraumkartografen ein dankbares Ziel. Ihre Masse reicht aus, um die Sonde auf eine stabile Umlaufbahn zu zwingen, selbst wenn ihre Schwerkraft aus irdischer Sicht gering ist – ein Auto wiegt auf Psyche gerade mal so viel wie ein großer Hund auf der Erde. »Bei kleineren Asteroiden wie beispielsweise Bennu dagegen reicht das Schwerefeld nicht aus«, sagt Roatsch. Der erdnahe Gesteinsasteroid Bennu hat nur etwa ein Hundertmillionstel der Masse Psyches und eine entsprechend geringere Anziehungskraft. »Als die OSIRIS-Rex-Sonde der NASA ihn 2019 besuchte, musste sie ständig mit den Triebwerken nachsteuern.«
Allerdings könnte auch Psyche die Sonde zwingen, kostbaren Treibstoff zu verschwenden. Bodengestützte Messungen deuten darauf hin, dass Psyche eher kartoffelförmig ist mit zwei kraterähnlichen Vertiefungen. »Je kartoffeliger die Form, umso mehr muss die Sonde den Orbit korrigieren«, sagt Roatsch. »Das wäre aber schade, weil dann der Treibstoff schneller zur Neige ginge.«
»Wir sind absolut nicht in der Lage, Psyches Metalle auch nur in die Nähe der Erde zu transportieren. Und selbst wenn, dann würde das Material die Märkte überschwemmen und dann nichts mehr wert sein«Lindy Elkins-Tanton, Chefwissenschaftlerin der Mission
Das ist auch der Grund, warum die Sonde nicht näher an Psyche heranfliegt. Das erwägen die Ingenieure erst nach Abschluss der regulären Mission, wenn sie Psyches Schwerefeld genau kennen. Ein so riskantes Manöver wie bei OSIRIS-Rex, während dem die Sonde sich Bennu auf nur wenige Meter näherte und mit einem Roboterarm eine Probe des Asteroiden nahm (um voraussichtlich diesen Herbst damit zur Erde zurückzukehren), kam hingegen nie in Frage. Dafür reicht das Budget von umgerechnet etwa 900 Millionen Euro nicht aus. Psyche gehört zum »Discovery Program« der NASA, einer Reihe relativ preiswerter, robotischer Missionen.
Etliche Medien weltweit berichteten vor einiger Zeit, dass die Metalle auf Psyche einen theoretischen Wert von etwa 10 000 Billiarden Euro hätten. Damit ließe sich die Mission locker refinanzieren. Diesen irrwitzigen Wert mit den 19 Nullen hat Chefwissenschaftlerin Lindy Elkins-Tanton höchstselbst in die Welt gesetzt und wird ihn nun nicht mehr los. »Als wir 2017 die Mission verkündeten, wurde ich gefragt, was Psyche wohl für einen Wert hätte, und ich fing an zu rechnen«, sagt sie. Da Psyche vermutlich den auf der Erde gefundenen Eisenmeteoriten ähnelt, dürfte sie auch in ähnlichen Anteilen Metalle enthalten, die häufig zusammen mit Eisen vorkommen. Dazu gehört etwa Nickel im einstelligen Prozentbereich sowie Gold, Silber, Kupfer und Platinmetalle in abbauwürdigen Konzentrationen. »Aber wir sind absolut nicht in der Lage, Psyches Metalle auch nur in die Nähe der Erde zu transportieren. Und selbst wenn, dann würde das Material die Märkte überschwemmen und dann nichts mehr wert sein«, sagt Elkins-Tanton. »Es macht nur Spaß, darüber nachzudenken. Aus wirtschaftlicher Sicht ist es irrelevant.«
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