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News: Psychiatrie - ein Fach ohne Psyche?

Heute scheinen immer weniger Psychiater in Institutionen psychotberapeutisch oder gar psychoanalytisch zu arbeiten. Sie sehen sich oft primär als pharmakologische Therapeuten, während Sozialarbeiter und Krankenschwestern die inhaltliche Arbeit mit den Patienten verrichten. Darin wird eine neue Tendenz der Beziehungs- oder Bezugspflege erkennbar. Bezugsschwestern und -pfleger würden dann nicht einfach reproduzieren, was die Ärzte denken und fühlen, sondern wirklich eine andere Qualität spüren und vertreten. Überspitzt gesagt werden vielleicht die psychiatrischen Pfleger und Schwestern, die Beziehungspflege betreiben, in Zukunft die Psychoanalytiker in der Klinik sein und nicht mehr die Ärzte und Psychologen. Somit wird die wissenschaftliche Psychiatrie immer mehr zu einem Fach ohne Psyche, was dem Pflegepersonal eine große Chance einräumt, aber noch größere Verantwortung aufbürdet.

Dies sind Kerngedanken eines Aufsatzes in der Zeitschrift Psych.Pflege Heute (4.2, Seite 100-104), der psychoanalytische Anregungen zur Bezugspflege gibt. Dominieren in anderen klinischen Bereichen, wie chirurgischen oder internistischen Kliniken, nach wie vor die Ärzte, während das Pflegepersonal für das leibliche Wohl der Patienten zuständig ist und therapeutische Verordnungen der Ärzte ausführt, so kehrt sich dieses Verhältnis in der Psychiatrie zunehmend um: Der Pflegeberuf in der Psychiatrie wird aufgewertet, oft ohne entsprechende fachliche Grundlage. Aus nachgeordneten Mitarbeitern auf einer Station werden Krankenschwestern und -pfleger mit eigener beruflicher Identität, die wesentlich Behandlungsprogramme mitbestimmen. Sie sind näher am Patienten, führen und begleiten ihn in therapeutischer Absicht und können die individuelle Biographie der von ihnen betreuten Patienten in deren Lebenssinn einbeziehen. Mit zu den wichtigsten Aufgaben des Pflegepersonals gleich zu Beginn zählt der Aufbau einer tragenden Beziehung. Die inhaltlich nötige starke psychotherapeutische Kompetenz der Psychologen und Ärzte kann hier oft nicht mithalten.

Hauptanliegen der Bezugspflege ist die ganzheitliche Erfassung des Patienten. Auf einer Depressionsstation spricht die Bezugsperson täglich mit dem Patienten über seine Gefühle, Gedanken und Schwierigkeiten und die Wahrnehmung seiner Bedürfnisse. Je nach erforderlicher Betreuungsintensität finden täglich vier Gespräche statt, bei Bedarf können häufige kurze Kontakte angebracht sein. Die Bezugsperson zeigt dem Patienten, daß sie Vertrauen hat zu seinen Fähigkeiten, selbst aktiv zu werden und seine gewonnenen Erkenntnisse im Alltag umzusetzen. Gefühle der Hilf- und Machtlosigkeit sollen durch Gefühle wie Kreativität, Spontanität und Produktivität ersetzt werden. Die Bezugsperson bringt auch eigene Gefühle und Empfindungen ins Gespräch, als Modell für den Patienten. Dabei kommt der Steuerung von Nähe und Distanz besondere Bedeutung zu.

Aus alledem ergibt sich: Die Qualität psychiatrischer Pflege hängt in sehr viel stärkerem Maße als in anderen klinischen Bereichen von der Person des Pflegers oder der Schwester ab. Neben speziellen Fertigkeiten sind ein sozial qualifiziertes Verhalten für den Umgang mit Patienten und professionelles Handeln in der Psychiatrie unabdingbar. Pflegeziele sind vor allem die Förderung der Autonomie des Patienten und die Erweiterung seiner persönlichen und sozialen Kompetenzen. Der Mittelpunkt allen pflegerischen Handelns ist die Begegnung mit dem einzelnen Menschen.

Zur Weiterbildung des psychiatrischen Pflegepersonals wurde ein Europäisches Psychiatrisches Krankenpflege-Symposium ins Leben gerufen, das im April dieses Jahres im Zentrum für Psychiatrie Wiesloch zum dritten Mal tagte und schwerpunktmäßig die Chancen und Herausforderungen der veränderten Krankenhausstrukturen für die psychiatrische Krankenpflege behandelt hat.

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