News: Pulsierende Chemie
Eine verknitterte Platinfolie eröffnet Chemikern ganz neue Blicke auf das Geschehen vor ihnen: Der Faltenwurf des Katalysators, erzeugt durch Schwankungen während des Reaktionsablaufes, kann als Maß für die erzeugte Wärmeenergie dienen.
Die Musterbildung bei katalytischen Oberflächenreaktionen wird durch die Temperatur beeinflusst, bei der die Reaktion abläuft. Verändert sich die Oberflächentemperatur, ändert sich auch der Verlauf der chemischen Prozesse, was in Extremfällen zu Frontenbildungen, zum Beispiel in Form von Konzentrationsmustern, oder zur lokalen Überhitzung von Katalysatoren führen kann.
Wissenschaftler um Harm Hinrich Rotermund und Gerhard Ertl am Fritz-Haber-Institut in Berlin haben den Einfluss von Wärmeerzeugung während der katalytischen Oberflächenreaktion von Sauerstoff und Kohlenmonoxid auf die Musterbildung mit Hilfe eines ultradünnen Platinkatalysators genauer untersucht. Hierbei stellten die Forscher fest, dass die dünne Platinfolie mechanisch wie ein schlagendes Herz zu pulsieren begann. Mit mathematischen Modellen und aufwändigen Computersimulationen konnte nachgewiesen werden, dass diese elastischen Verformungen der Folie tatsächlich durch die Oszillation der chemischen Reaktion selbst hervorgerufen wird. Dieser Effekt kann jetzt dazu genutzt werden, die während einer chemischen Reaktion erzeugte Wärmemenge präzise zu messen.
Eigentlich wollten die Max-Planck-Forscher nur untersuchen, welchen Einfluss die Reaktionswärme selbst auf die Bildung von Mustern wie Spiralwellen, stehende Wellen oder Solitonen in katalytischen Oberflächenreaktionen hat. Doch unter normalen Bedingungen, also bei sehr niedrigen Drücken (etwa einem Millionstel des Luftdruckes) der verwendeten Reaktionsgase Sauerstoff und Kohlenmonoxid und einer Probendicke von etwa einem Millimeter ist die Erwärmung eines Platinkatalysators durch die Erzeugung von Kohlendioxid kaum messbar. Um einem möglichen Temperatureffekt trotzdem auf die Schliche zu kommen, benutzten die Forscher deshalb eine nur 0,0002 Millimeter dünne Platinfolie als Katalysator. Eine solche Folie ist nicht dick genug, um die Reaktionswärme ableiten und damit neutralisieren zu können.
Um die Wärmemuster der Reaktion zu beobachten, benutzten die Forscher eine hochempfindliche Infrarotkamera. Die Wärmebilder zeigten sehr deutlich, wie die Temperatur der ultradünnen Folie während der Reaktion um etliche Grad Celsius hin und her schwankte. Bei leicht erhöhtem Reaktionsdruck konnten die Wissenschaftler sogar Oszillationen von 20 bis 30 Grad Celsius messen.
Überraschenderweise sahen die Infrarotbilder so aus, als ob die ganze Katalysatorfolie auch mechanisch oszillieren und regelmäßig Falten schlagen würde. Klarheit brachte dann die Verwendung einer normalen Kamera: Im Drei- bis Vier-Sekunden-Takt verformte sich die gesamte frei tragende Folie periodisch in sehr drastischer Weise.
Unklar blieben zunächst die tieferen Ursachen für diese Oszillationen. Offensichtlich wurde die Temperatur der dünnen Folie durch die Reaktionswärme erhöht, was wiederum die Reaktionsrate vergrößerte, so dass die Temperatur noch weiter anstieg. Doch irgendwann würde man erwarten, dass die Temperatur nicht mehr steigt, da die zusätzlich gewonnene Reaktionswärme gerade der als Temperaturstrahlung verloren gehenden Wärmeenergie entspricht. Tatsächlich aber beobachteten die Wissenschaftler eine plötzliche und rapide Abnahme der Temperatur, in deren Folge sich die Folie wieder glättete.
Also führte die Berliner Forschergruppe neue Experimente durch, bei denen die Folie nicht durch die chemische Reaktion erwärmt wurde, sondern durch das fokussierte Licht eines Lasers. Dabei wurde klar: Das Aufwerfen der Falten war eindeutig auf die Erwärmung der Folie zurückzuführen. Um diese mechanischen Oszillationen tiefer zu ergründen, führten Forscher um Yannis Kevrekidis an der Princeton University intensive mathematische Simulationen durch. Diese Rechnungen ergaben nun, dass die Oszillationen nur in einem ganz bestimmten Parameterbereich zwischen Temperatur, Partialdruck der Gase sowie Dicke der Folie im Verhältnis zu ihrem Durchmesser überhaupt auftreten können. Die Forscher in Berlin hatten also Glück gehabt!
Die Modellierungen aus Princeton zeigten ein empfindliches Zusammenspiel zwischen dem Einfluss der Temperatur auf die chemischen sowie die mechanischen Prozesse. Das Wechselspiel zwischen einer stark gefalteten und einer glatten Folie ist hauptsächlich auf die Oszillation der chemischen Reaktion selbst zurückzuführen: Wird viel Kohlendioxid erzeugt, erwärmt sich die Folie und faltet sich. Steigt die Katalysatortemperatur, wird noch mehr Kohlenmonoxid oxidiert, bis dieses schließlich in der unmittelbaren Umgebung fast völlig verbraucht ist. Dann geht die Erzeugung von Kohlendioxid stark zurück, die Platinfolie kühlt sich ab und zieht sich wieder zusammen. Wegen der jetzt niedrigeren Reaktionsrate kann nachströmendes Gas das Kohlenmonoxid-Defizit ausgleichen, und der Kreislauf beginnt wieder von vorn.
Wissenschaftler um Fehmi Cirak am California Institute of Technology und Alberto Cuitiño an der Rutgers University nahmen dann weitere äußerst computerintensive Berechnungen der elastischen Verformung einer ultradünnen Folie vor, die zu erstaunlich realistischen Bildern führten. Dass sich die Folie dabei sehr unregelmäßig – und erst bei einer Temperaturdifferenz von einigen Grad Celsius zu der sie haltenden Platte – faltet, liegt dabei an der Art ihrer Herstellung. Die dünne Folie wird über ein etwa vier Millimeter großes Loch in einem Platinträger gespannt und verbindet sich mit diesem fest allein über Adhäsionskräfte. Die Folie bleibt über dem Loch frei, ist aber mehr oder weniger unregelmäßig gespannt. Diese Verspannung wirkt anfangs stabilisierend auf ihre glatte Form, so dass sie bei kleinen Erwärmungen keine Falten wirft. Bei höheren Temperaturen hingegen führt die Verspannung zu unregelmäßigen Falten. Wären die Proben perfekt symmetrisch, so ergaben die Simulationen, dann würden sie sich bereits bei kleinsten Erwärmungen leicht wölben. Nähme die Temperatur noch weiter zu, würde sich die Wölbung verstärken und am Ende zu einem einzigen runden Buckel führen.
Chemisch-mechanische Oszillationen, allerdings ohne Wärmeeinkopplung durch chemische Reaktionen, wurden bereits in den Anfangsjahren der nichtlinearen Dynamik vor 130 Jahren durch Gabriel Lippmann in den Annalen der Physik beschrieben. Damals hatte man erstmals einen in wässriger oxidierender Lösung auf einem Wasserglas ruhenden Quecksilbertropfen mit einem Eisennagel in Kontakt gebracht, woraufhin der Tropfen periodisch zu pulsieren begann. Wegen der herzförmigen Verformungen des Tropfens erhielt das Phänomen den Namen Quecksilberherz.
Die Forscher vom Fritz-Haber-Institut haben bereits demonstriert, dass man die mechanische Deformationen der Katalysator-Folie prinzipiell auch für die direkte Messung der bei chemischen Reaktionen frei werdenden Wärme nutzen kann: Mit einem Laserstrahl heizten sie eine Platinfolie soweit auf, dass diese gerade noch keine Falten warf, sich aber sofort deformierte, wenn allein eine einzige Monolage von Kohlenmonoxid- beziehungsweise Sauerstoffmolekülen mit dem jeweiligen Partner reagierte. Diese Deformation kann man mit einfachen optischen Methoden kombinieren, um ultrasensitive Instrumente für die Messung von chemischen Reaktionsraten zu entwickeln.
Wissenschaftler um Harm Hinrich Rotermund und Gerhard Ertl am Fritz-Haber-Institut in Berlin haben den Einfluss von Wärmeerzeugung während der katalytischen Oberflächenreaktion von Sauerstoff und Kohlenmonoxid auf die Musterbildung mit Hilfe eines ultradünnen Platinkatalysators genauer untersucht. Hierbei stellten die Forscher fest, dass die dünne Platinfolie mechanisch wie ein schlagendes Herz zu pulsieren begann. Mit mathematischen Modellen und aufwändigen Computersimulationen konnte nachgewiesen werden, dass diese elastischen Verformungen der Folie tatsächlich durch die Oszillation der chemischen Reaktion selbst hervorgerufen wird. Dieser Effekt kann jetzt dazu genutzt werden, die während einer chemischen Reaktion erzeugte Wärmemenge präzise zu messen.
Eigentlich wollten die Max-Planck-Forscher nur untersuchen, welchen Einfluss die Reaktionswärme selbst auf die Bildung von Mustern wie Spiralwellen, stehende Wellen oder Solitonen in katalytischen Oberflächenreaktionen hat. Doch unter normalen Bedingungen, also bei sehr niedrigen Drücken (etwa einem Millionstel des Luftdruckes) der verwendeten Reaktionsgase Sauerstoff und Kohlenmonoxid und einer Probendicke von etwa einem Millimeter ist die Erwärmung eines Platinkatalysators durch die Erzeugung von Kohlendioxid kaum messbar. Um einem möglichen Temperatureffekt trotzdem auf die Schliche zu kommen, benutzten die Forscher deshalb eine nur 0,0002 Millimeter dünne Platinfolie als Katalysator. Eine solche Folie ist nicht dick genug, um die Reaktionswärme ableiten und damit neutralisieren zu können.
Um die Wärmemuster der Reaktion zu beobachten, benutzten die Forscher eine hochempfindliche Infrarotkamera. Die Wärmebilder zeigten sehr deutlich, wie die Temperatur der ultradünnen Folie während der Reaktion um etliche Grad Celsius hin und her schwankte. Bei leicht erhöhtem Reaktionsdruck konnten die Wissenschaftler sogar Oszillationen von 20 bis 30 Grad Celsius messen.
Überraschenderweise sahen die Infrarotbilder so aus, als ob die ganze Katalysatorfolie auch mechanisch oszillieren und regelmäßig Falten schlagen würde. Klarheit brachte dann die Verwendung einer normalen Kamera: Im Drei- bis Vier-Sekunden-Takt verformte sich die gesamte frei tragende Folie periodisch in sehr drastischer Weise.
Unklar blieben zunächst die tieferen Ursachen für diese Oszillationen. Offensichtlich wurde die Temperatur der dünnen Folie durch die Reaktionswärme erhöht, was wiederum die Reaktionsrate vergrößerte, so dass die Temperatur noch weiter anstieg. Doch irgendwann würde man erwarten, dass die Temperatur nicht mehr steigt, da die zusätzlich gewonnene Reaktionswärme gerade der als Temperaturstrahlung verloren gehenden Wärmeenergie entspricht. Tatsächlich aber beobachteten die Wissenschaftler eine plötzliche und rapide Abnahme der Temperatur, in deren Folge sich die Folie wieder glättete.
Also führte die Berliner Forschergruppe neue Experimente durch, bei denen die Folie nicht durch die chemische Reaktion erwärmt wurde, sondern durch das fokussierte Licht eines Lasers. Dabei wurde klar: Das Aufwerfen der Falten war eindeutig auf die Erwärmung der Folie zurückzuführen. Um diese mechanischen Oszillationen tiefer zu ergründen, führten Forscher um Yannis Kevrekidis an der Princeton University intensive mathematische Simulationen durch. Diese Rechnungen ergaben nun, dass die Oszillationen nur in einem ganz bestimmten Parameterbereich zwischen Temperatur, Partialdruck der Gase sowie Dicke der Folie im Verhältnis zu ihrem Durchmesser überhaupt auftreten können. Die Forscher in Berlin hatten also Glück gehabt!
Die Modellierungen aus Princeton zeigten ein empfindliches Zusammenspiel zwischen dem Einfluss der Temperatur auf die chemischen sowie die mechanischen Prozesse. Das Wechselspiel zwischen einer stark gefalteten und einer glatten Folie ist hauptsächlich auf die Oszillation der chemischen Reaktion selbst zurückzuführen: Wird viel Kohlendioxid erzeugt, erwärmt sich die Folie und faltet sich. Steigt die Katalysatortemperatur, wird noch mehr Kohlenmonoxid oxidiert, bis dieses schließlich in der unmittelbaren Umgebung fast völlig verbraucht ist. Dann geht die Erzeugung von Kohlendioxid stark zurück, die Platinfolie kühlt sich ab und zieht sich wieder zusammen. Wegen der jetzt niedrigeren Reaktionsrate kann nachströmendes Gas das Kohlenmonoxid-Defizit ausgleichen, und der Kreislauf beginnt wieder von vorn.
Wissenschaftler um Fehmi Cirak am California Institute of Technology und Alberto Cuitiño an der Rutgers University nahmen dann weitere äußerst computerintensive Berechnungen der elastischen Verformung einer ultradünnen Folie vor, die zu erstaunlich realistischen Bildern führten. Dass sich die Folie dabei sehr unregelmäßig – und erst bei einer Temperaturdifferenz von einigen Grad Celsius zu der sie haltenden Platte – faltet, liegt dabei an der Art ihrer Herstellung. Die dünne Folie wird über ein etwa vier Millimeter großes Loch in einem Platinträger gespannt und verbindet sich mit diesem fest allein über Adhäsionskräfte. Die Folie bleibt über dem Loch frei, ist aber mehr oder weniger unregelmäßig gespannt. Diese Verspannung wirkt anfangs stabilisierend auf ihre glatte Form, so dass sie bei kleinen Erwärmungen keine Falten wirft. Bei höheren Temperaturen hingegen führt die Verspannung zu unregelmäßigen Falten. Wären die Proben perfekt symmetrisch, so ergaben die Simulationen, dann würden sie sich bereits bei kleinsten Erwärmungen leicht wölben. Nähme die Temperatur noch weiter zu, würde sich die Wölbung verstärken und am Ende zu einem einzigen runden Buckel führen.
Chemisch-mechanische Oszillationen, allerdings ohne Wärmeeinkopplung durch chemische Reaktionen, wurden bereits in den Anfangsjahren der nichtlinearen Dynamik vor 130 Jahren durch Gabriel Lippmann in den Annalen der Physik beschrieben. Damals hatte man erstmals einen in wässriger oxidierender Lösung auf einem Wasserglas ruhenden Quecksilbertropfen mit einem Eisennagel in Kontakt gebracht, woraufhin der Tropfen periodisch zu pulsieren begann. Wegen der herzförmigen Verformungen des Tropfens erhielt das Phänomen den Namen Quecksilberherz.
Die Forscher vom Fritz-Haber-Institut haben bereits demonstriert, dass man die mechanische Deformationen der Katalysator-Folie prinzipiell auch für die direkte Messung der bei chemischen Reaktionen frei werdenden Wärme nutzen kann: Mit einem Laserstrahl heizten sie eine Platinfolie soweit auf, dass diese gerade noch keine Falten warf, sich aber sofort deformierte, wenn allein eine einzige Monolage von Kohlenmonoxid- beziehungsweise Sauerstoffmolekülen mit dem jeweiligen Partner reagierte. Diese Deformation kann man mit einfachen optischen Methoden kombinieren, um ultrasensitive Instrumente für die Messung von chemischen Reaktionsraten zu entwickeln.
© Max-Planck-Gesellschaft
Die Max-Planck-Gesellschaft (MPG) ist eine vorwiegend von Bund und Ländern finanzierte Einrichtung der Grundlagenforschung. Sie betreibt rund achtzig Max-Planck-Institute.
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