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Quanten-Mpemba-Effekt: Kalte Qubits lassen sich schneller erhitzen als warme

Heißes Wasser gefriert schneller als warmes. Nun wurde der inverse Mpemba-Effekt erstmals auch in einem Quantensystem beobachtet: Kalte Ionen werden schneller heiß als warme Ionen.
Eine Kugel mit Geschwurbel drum herum
Auch ein einzelnes Quantenteilchen unterliegt dem Mpemba-Effekt.

Eine Person stapft mit einem Topf heißem Wasser durch eine schneebedeckte Landschaft. Man sieht heißen Dampf aufsteigen, während die Flüssigkeit langsam abkühlt. Und dann kommt das Unfassbare: Die Person schleudert den Topf in die Höhe, das Wasser wird noch oben befördert – und gefriert augenblicklich zu Eis. Solche beeindruckenden Videos findet man überall im Internet. Und sie haben mit einem der faszinierendsten Phänomene der klassischen Physik zu tun, dem Mpemba-Effekt. Dieser besagt, dass heißes Wasser schneller gefriert als kaltes; eine Tatsache, die unserer Intuition völlig widerspricht.

Inzwischen wurde der Effekt auch umgekehrt beobachtet: 2022 haben Fachleute nachgewiesen, dass sich kalte Kolloide unter gewissen Voraussetzungen schneller erhitzen lassen als warme. Und nun ist es Fachleuten um Roee Ozeri vom israelischen Weizmann-Institut erstmals gelungen, diesen »inversen Mpemba-Effekt« in einem Quantensystem nachzuweisen. »Unsere Untersuchung zeigt, dass für Qubits ein starker inverser Mpemba-Effekt auftritt, was diesen Effekt quantenmechanisch macht«, schreiben die Autoren in ihrer bei »Physical Review Letters« erschienenen Veröffentlichung.

Die Forschenden nahmen sich dafür ein einzelnes Qubit vor, ein Quantensystem, das zwei verschiedene Zustände besitzt. Dafür wählten sie ein Strontium-88-Ion, das sie mittels elektromagnetischer Felder wie in einem Eierkarton einfingen. Durch geeignete Laserpulse können die Fachleute das Ion von einem Grundzustand in einen angeregten Zustand bringen – das sind die beiden Zustände, die es zu seinem quantenmechanischen Bit, einem Qubit machen. Durch geeignete Wahl des Laserpulses lässt sich das Teilchen auch in einen überlagerten Zustand bringen: In diesem Fall befindet es sich zugleich in einem angeregten Zustand und einen Grundzustand.

Die Geschichte des Mpemba-Effekts

Als der 13-jährige tansanische Schüler Erasto Bartholomeo Mpemba 1963 Speiseeis herstellen sollte, beobachtete er etwas Seltsames: Eine flüssige Mischung, die eine Temperatur von 100 Grad Celsius hatte, gefror schneller als eine mit Raumtemperatur, die damals 35 Grad betrug. Weder er noch andere konnten das rätselhafte Phänomen erklären. Einige Jahre später lud Mpembas Schulleiter den britischen Physiker Denis Osborne von der University of Dar es Salaam ein, der einen Gastvortrag über seine Arbeit hielt. Mpemba stellte am Ende der Präsentation die Frage, die ihn schon so lange beschäftigte: »Stellt man zwei Wasserbehälter mit gleichem Volumen, einen mit 35 Grad Celsius und einen mit 100 Grad Celsius, in einen Gefrierschrank, gefriert der heißere zuerst. Warum?« Die anwesenden Lehrer und Mitschüler verspotteten ihn. Niemand glaubte, heißes Wasser könne schneller abkühlen als kaltes. Osborne zeigte sich überrumpelt, auch er hatte niemals von einem derartigen Verhalten gehört.

Zurück im Labor, ließ die Behauptung des tansanischen Schülers den britischen Forscher nicht los. Er begann, das geschilderte Experiment nachzustellen – und beobachtete tatsächlich, wie das fast kochende Wasser schneller gefror als solches bei Raumtemperatur. Daraufhin veröffentlichte er zusammen mit Mpemba 1967 einen Fachaufsatz über das ungewöhnliche Phänomen, das seither als Mpemba-Effekt bekannt ist.

Mpemba-Effekt | Man findet viele Bilder und Videos von Menschen, die bei Minusgraden kochendes Wasser in die Luft schleudern. Der Effekt ist beeindruckend.

Noch heute gibt dieser Physikern Rätsel auf. Es ist nicht so, dass eine wärmere Flüssigkeit immer schneller gefriert als eine kühlere. Stattdessen hängt der Prozess von den äußeren Umständen ab, der Form der genutzten Gefäße und den Anfangstemperaturen. Es gibt bestimmte Temperaturpaare, wie 100 und 35 Grad Celsius, bei denen der Effekt auftritt – das ist aber nicht bei beliebigen Werten der Fall. Zudem muss der Temperatursturz schlagartig einsetzen; senkt man die äußere Temperatur nur langsam ab, wird das kühlere Objekt schneller kalt.

Seit Jahrzehnten suchen Physiker nach einem Mechanismus, der das ungewöhnliche Verhalten erklärt. So untersuchten sie etwa, ob in offenen Gefäßen mehr Flüssigkeit der heißen Probe verdampft oder ob es Salze sind, die das schnellere Abkühlen fördern. Doch das Phänomen tritt sowohl bei geschlossenen Behältern als auch bei destilliertem Wasser auf. Inzwischen vermuten einige Experten, die bessere Wärmezirkulation in einem erhitzten Gefäß könne eine Rolle spielen. Gelöst ist das Problem aber noch lange nicht.

Solche überlagerten Zustände können stark gekühlte Ionen recht lange halten. Sobald man sie jedoch erhitzt, geht die Überlagerung verloren: Der Zustand der Qubits verändert sich zu einem Endzustand. Um den inversen Mpemba-Effekt für gefangene Ionen zu überprüfen, haben die Forschenden daher ein Strontium-Ion mit Schwarzkörperstrahlung (also Photonen) bestrahlt und untersucht, wie sich das Qubit mit der Zeit erhitzt – und wie lange es braucht, um den Endzustand zu erreichen.

Für gewöhnlich bestimmt man die Temperatur eines Systems über ein Thermometer, das im Prinzip die Bewegung der Teilchen misst. Temperatur ist daher eine Größe, die mit vielen Partikeln assoziiert ist. Um die Temperatur eines einzelnen Atoms anzugeben, nutzten die Forschenden einen Trick: Sie untersuchten den Zustand des Ions, wenn sie es mit Photonen einer bestimmten Temperatur bestrahlten. Ein solcher quantenmechanischer Zustand lässt sich als Position auf einer Kugel veranschaulichen: Der Südpol entspricht dabei dem Grundzustand des Ions, der Nordpol dem angeregten Zustand und jeder andere Punkt auf der Kugel einer Überlagerung aus beiden. Den Forschern gelang es damit, bestimmte Temperaturen mit Punkten auf der Kugel zu identifizieren.

Bit versus Qubit

Klassische Bits (links), wie sie heutige Computer nutzen, können zwei verschiedene Zustände einnehmen: eins oder null. Die Informationseinheiten von Quantencomputern, so genannte Qubits (rechts), können ebenfalls eins oder null sein – und alles dazwischen. Wenn sie sich in einem überlagerten Zustand befinden (durch den Pfeil dargestellt), entsprechen sie einer Kombination von null und eins. Fachleute veranschaulichen diese Vielfalt an Überlagerungen durch eine Kugeloberfläche, die so genannte Blochsphäre.

Quantencomputer können jeden ihrer Qubits in einen gewünschten Zustand führen. Der Pfeil, der den Zustand des Qubits darstellt, kann also auf jeden Punkt der Kugeloberfläche gelenkt werden. Sobald aber eine Messung vorgenommen wird, etwa am Ende der Berechnung, kollabiert der überlagerte Zustand des Qubits zu null oder eins.

Die wahre Vielfalt der Qubits kann also nur während der Berechnungen ausgenutzt werden. Zudem müssen die Recheneinheiten von der Umwelt abgeschirmt werden, da äußere Störungen wie Messungen wirken: Wenn der Zustand des Qubits inmitten einer Berechnung ungewollt kollabiert, verfälscht das das Ergebnis.

Auf diese Weise konnte das Team um Ozeri das Qubit auf eine bestimmte Temperatur einstellen, dann mit Photonen erwärmen und durch Messung des Zustands bestimmen, wie lange es braucht, bis es heiß wurde – also die Temperatur der Photonen erreichte. Wie die Forschenden herausfanden, erwärmte sich ein kaltes Strontium-88-Ion deutlich schneller als ein warmes. Indem sie den kalten Zustand geschickt wählten, konnten Ozeri und sein Team sogar nachweisen, dass sich das Qubit exponentiell schneller erhitzt als ein warmes.

Diese Ergebnisse sind nicht nur aus Sicht der Quanten-Thermodynamik interessant. Auch für Quantencomputer ist dieses Wissen hilfreich, denn dort müssen Qubits möglichst lange bei tiefen Temperaturen gehalten werden. »Da sich unsere Ergebnisse auf das einfachste Quantensystem beziehen, tritt der Mpemba-Effekt höchstwahrscheinlich auch in größeren Quantensystemen wie Quantencomputern auf. In denen ist es wiederum entscheidend, eine niedrige Temperatur für lange Zeit aufrechtzuerhalten«, schreiben die Forscher in ihrer Veröffentlichung. Der inverse Quanten-Mpemba-Effekt könnte also zum Problem für Quantencomputer werden.

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