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Ultrakalte Atome: Unordnung stärkt ein sensibles Quantenphänomen

Lange glaubten Physiker, dass Unordnung Supraflüssigkeiten zerstört. Doch nun stellt sich unerwarteterweise das Gegenteil heraus: Quasikristalle stärken suprafluide Quantenphasen.
Dunkle Materie – supraflüssig
Supraflüssigkeiten sind ein mysteriöses Quantenphänomen. Anders als erwartet, scheint Unordnung suprafluide Phasen zu stabilisieren.

Seit einigen Jahren untersuchen Physiker Isolatoren, die es eigentlich nicht geben dürfte. Solche »Mott-Isolatoren« leiten keinen Strom, obwohl sie es laut der gängigen Theorie sollten. Grund dafür sind extrem starke elektrische Abstoßungen. Sie führen dazu, dass die Teilchen gewissermaßen auf der Stelle festfrieren und damit keinen Strom leiten. Der Übergang zu diesem Zustand findet zum Beispiel statt, wenn man Atome fast bis zum absoluten Temperaturnullpunkt kühlt und die Wechselwirkung zwischen ihnen durch Lasersysteme passend einstellt. Nun hat ein Forschungsteam um den Physiker Hepeng Yao von der Universität Genf untersucht, wie dieser Übergang für quasiperiodische Anordnungen aussieht – und seine Entdeckung läuft bisherigen Annahmen zuwider.

Ohne gegenseitige Abstoßung bilden die Atome ein gemeinsames Quantensystem, das sich durch eine einzige Wellenfunktion beschreiben lässt, eine Supraflüssigkeit. Damit besitzen sie keine innere Reibung, können sich also reibungslos bewegen und leiten nahezu perfekt Wärme. Stoßen sich die Atome jedoch ab, verlieren sie diesen erstaunlichen Quantenzustand und werden zu einem Isolator, bei dem jedes Atom einzeln durch je eine Wellenfunktion beschrieben wird, die sich kaum mit den anderen überlappt.

Der »Mott-Übergang« zwischen beiden Extremen wurde inzwischen sowohl theoretisch als auch in Laboren gut erforscht. So ist etwa bekannt, ab welcher Wechselwirkungsstärke eine Supraflüssigkeit zum Isolator wird. Doch im Fall quasiperiodisch angeordneter Atome erlebte Yaos Team eine Überraschung. In diesem Fall variiert der Abstand der Atome auf unregelmäßige, aber dennoch vorhersagbare Weise. »Quasiperiodizität und andere Arten von Unordnung neigen dazu, Teilchen einzufangen«, schreibt der Physiker Charles Day im »Physics Magazine«. Das heißt, in der Regel bringt Unordnung ein Quantensystem dazu, zu einem Isolator zu werden. »Deshalb waren die Forscher erstaunt zu entdecken, dass ihr quasiperiodisches Gitter den supraflüssigen Zustand aufrechterhält, anstatt ihn zu schwächen.« Ihre unerwarteten Ergebnisse haben die Fachleute im Fachjournal »Physical Review Letters« veröffentlicht.

In ihrem Experiment nutzten sie Kaliumatome, die sie wie die Perlen einer Kette in einem eindimensionalen Gitter anordneten. Die quasiperiodischen Abstände erzeugten sie mit zwei Lasern, deren Wellenlängenverhältnisse irrational sind – der Quotient ergibt also eine Zahl, die sich nicht als Bruch aus ganzen Zahlen darstellen lässt. Überlagert man dieses Licht, treffen die Wellentäler und -berge in unterschiedlichen Abständen aufeinander, ohne ein regelmäßiges Muster zu bilden. Die Atome befinden sich jeweils in den aufeinandertreffenden Tälern und damit in einer quasiperiodischen Anordnung, wie bei so genannten Quasikristallen.

Beugungsmuster eines Quasikristalls | Das Beugungsmuster eines Zn-Mg-Ho-Quasikristalls enthält Symmetrien, die keine periodische Anordnung der Atome zulassen.

Das Team um Yao untersuchte das Verhalten der Kaliumatome abhängig von ihrer Abstoßung, die sich durch die Lasersysteme steuern lässt. In periodischen Anordnungen gibt es eine »kritische Abstoßung«, ab der die suprafluiden Atome zu einem Mott-Isolator werden. Überrascht stellten die Fachleute fest, dass ein solcher Übergang auch bei einer quasiperiodischen Anordnung entsteht – aber erst ab einer noch größeren Abstoßung. »Das zeigt, dass die Unordnung in diesem Fall die suprafluide Phase stabilisiert«, schreiben sie in ihrer Veröffentlichung. Bisher war man davon ausgegangen, dass Unordnung das Gegenteil bewirken würde, nämlich eine »Lokalisierung«, wodurch die Atome festfrieren und einen Isolator bilden.

Die Forschungsgruppe wandte sich in einem nächsten Schritt einer Computersimulation zu. Sie sollte dabei helfen, die Ursache für das unerwartete Verhalten genauer einzugrenzen. Mit Erfolg: »Dass die Gitterperiode und die Teilchenzahl ganzzahlige Vielfache bilden, ist ein Schlüsselfaktor für das Festhalten von Teilchen in einem Mott-Isolator«, schreibt Day. »Das quasiperiodische Gitter verwischt jedoch diese Vielfachheit und destabilisiert dadurch die Mott-Phase zum Vorteil der supraflüssigen Phase.« Damit haben die Fachleute erstmals ermittelt, welche Rolle Quasiperiodizität für bestimmte Quantenphasenübergänge spielt.

  • Quellen
10.1103/PhysRevLett.133.123401

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