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Magnetsinn: Quantensensor der Vögel erstmals direkt beobachtet

Korrelierte Elektronen im Vogelauge detektieren selbst schwache Magnetfelder. Dass das tatsächlich funktioniert, haben nun zwei Forscher an Zellkulturen gezeigt.
Porträtfoto einer überrascht guckenden Schneeeule.

Ein Magnetsensor aus zwei quantenmechanisch miteinander verknüpften Elektronen lässt Vögel das Erdmagnetfeld buchstäblich sehen. Nun haben Noboru Ikeya und Jonathan R. Woodward von der Universität Tokio diesen Nanokompass der Zelle, ein so genanntes Radikalpaar, zum ersten Mal live in Aktion beobachten können. Wie sie in »PNAS« berichten, entsteht das gleiche Radikalpaar auch bei einem als Autofluoreszenz bezeichneten Prozess in menschlichen Zellen – und dieser Vorgang macht den Magnetfeldeffekt durch das ausgesandte Licht direkt sichtbar. Befanden sich die Zellen dabei in einem schwachen Magnetfeld, leuchteten sie im Mittel um 3,7 Prozent schwächer – nach Ansicht der Autoren genug, um den Magnetsinn zu erklären.

Seit Jahrzehnten rätseln Fachleute, wie dieser Magnetsinn der Vögel und anderer Tiere funktioniert. Das Erdmagnetfeld ist für viele potenzielle biologische Magnetsensoren zu schwach. Auf der Basis theoretischer Überlegungen kristallisierte sich ein subtiler Quanteneffekt als wahrscheinlichste Möglichkeit heraus. Der findet an einem Flavin-Molekül statt, das an lichtempfindliche Proteine namens Cryprochrome gebunden ist. Diese Moleküle und das von ihnen absorbierte Licht, so viel ist bekannt, sind für das Funktionieren des Kompasses absolut notwendig.

Bei dem als Radikalpaar-Mechanismus bezeichneten Quanteneffekt hinter dem Magnetsinn der Vögel absorbiert das Molekül Flavin im Herzen des Cryptochroms blaues Licht und wird dadurch angeregt. Ein zweites Molekül überträgt anschließend dem Flavin ein einzelnes Elektron und bildet mit diesem das Radikalpaar: Jedes der beiden Moleküle trägt nun ein Elektron, das nicht Teil eines stabilen Elektronenpaares ist.

Die beiden einzelnen Elektronen sind aber trotzdem miteinander verknüpft, und zwar über ihre Elektronenspins – die Quantenversionen des magnetischen Moments. Die können einerseits parallel, andererseits entgegengesetzt zueinander ausgerichtet sein; diese beiden Varianten reagieren chemisch sehr unterschiedlich. Die beiden Spinzustände können sich jedoch ungehindert ineinander umwandeln, so dass die Reaktionen beider Zustände ablaufen.

Die Radikale im Herzen des Magnetsinnes

Der entscheidende Punkt: Das ändert sich, wenn ein schwaches Magnetfeld hinzukommt. Dann verschieben sich die Energielevel der Spinzustände, und ihre Reaktionen laufen in anderen Mengenverhältnissen ab. Im Vogelauge sind die veränderten Verhältnisse der Reaktionsprodukte mutmaßlich das Signal für die Zelle, dass sich etwas am Magnetfeld geändert hat.

Das Experiment von Ikeya und Woodward basiert einerseits darauf, dass Flavine nicht nur im Vogelauge als Teil des Cryptochroms, sondern in allen Zellen vorkommen. Sie nutzten als Modell menschliche Tumorzellen, die sich gut im Labor züchten lassen. Auch in diesen hebt geeignetes Licht Flavin in einen höheren Zustand; es gibt die aufgenommene Energie aber zum großen Teil als eigenes Licht wieder ab. Diesen Effekt bezeichnet man als Autofluoreszenz. Allerdings bildet ein Teil der angeregten Flavine auch quantenverschränkte Radikalpaare – ohne Licht abzugeben. Und nur einer der beiden möglichen Spinzustände kann wieder zum ursprünglichen, durch Licht anregbaren Flavin werden.

Ohne Magnetfeld wandeln sich die Spinzustände frei ineinander und zum ursprünglichen Flavin um. Doch mit einem Magnetfeld verschieben sich die Energiezustände so, dass die Flavine als Radikalpaar »gefangen« bleiben. Dadurch ist weniger durch Licht anregbares Flavin in der Zelle – und damit sendet sie weniger Licht durch Autofluoreszenz aus.

Der Vorgang in der Zelle unterscheidet sich also in mehreren Punkten von dem im Vogelauge. Doch aus Sicht der beiden Forscher spricht alles dafür, dass der Kern der Sache – das Radikalpaar des Flavins, das durch das Magnetfeld anders reagiert – der gleiche ist wie im Vogelauge. Das Experiment zeigt, dass schon ein schwaches Magnetfeld die erwartete messbare Wirkung auf dieses Quantensystem hat.

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