Quanteninformationstheorie: Mathematische Fliesen könnten Quantencomputer vor Fehlern schützen
Wenn man die Fliesen für einen Badezimmerboden wählt, entscheidet man sich meist für eine rechteckige oder quadratische Variante. Die Kacheln bilden ein lückenloses Muster, das sich unbegrenzt fortsetzen lässt. Zudem hat dieses Raster eine Eigenschaft, die viele andere Fliesenmuster besitzen: Verschiebt man das gesamte Gitter um eine bestimmte Distanz, kann man das neue Muster nicht vom Original unterscheiden. Auch wenn sie im Alltag viel Anwendung finden, sind solche periodischen Kachelungen für die meisten Fachleute langweilig. Man braucht bloß einen kleinen Ausschnitt zu sehen, um das gesamte Muster zu kennen.
In den 1960er Jahren begannen sich Mathematiker für »aperiodische« Parkettierungen zu interessieren, die weitaus vielfältiger sind. Das vielleicht berühmteste Beispiel dafür ist ein Paar rautenförmiger Kacheln, das der Physiker und spätere Nobelpreisträger Roger Penrose in den 1970er Jahren entdeckte. Kopien dieser beiden Fliesen können unendlich viele verschiedene Kachelungen bilden, die sich unbegrenzt fortsetzen. Doch egal, wie man die Kacheln anordnet, es ist unmöglich, ein periodisches Muster zu erzeugen. »Das sind Fliesen, die es eigentlich gar nicht geben dürfte«, sagt der Physiker Nikolas Breuckmann von der University of Bristol.
Seit mehr als einem halben Jahrhundert faszinieren aperiodische Kacheln etliche Mathematiker, Bastler und Forschende weiterer Bereiche. Jetzt haben zwei Physiker eine Verbindung zwischen aperiodischen Kachelungen und einem ganz anderen Zweig der Informatik entdeckt: die so genannte Quantenfehlerkorrektur. Diese beschäftigt sich mit Methoden, um zukünftige Quantencomputer vor Fehlern zu schützen. In einer noch nicht begutachteten Arbeit haben die Forscher im November 2023 gezeigt, wie man Penrose-Kacheln in eine völlig neue Art von Quantenfehlerkorrekturcode umwandeln kann. Zudem entwickelten sie ähnliche Verfahren, die mit zwei anderen aperiodischen Fliesen funktionieren.
Im Mittelpunkt der Arbeit steht eine einfache Beobachtung, die Aperiodizität und Quantenfehlerkorrekturcodes verbindet: Ein kleiner Ausschnitt sagt nichts über das Gesamtsystem aus. »Das ist eine dieser Sachen, die im Nachhinein offensichtlich erscheinen«, so Toby Cubitt, ein Quanteninformationsforscher am University College London. »Man fragt sich: ›Warum bin ich nicht darauf gekommen?‹«
Spionagetricks für Quanten
Gewöhnliche Computer stellen Informationen durch Bits dar, die einen von zwei Zuständen annehmen: null oder eins. Quantenbits (kurz: Qubits) haben ebenfalls zwei Zustände, die aber auch überlagert auftreten können. In solchen Fällen haben Qubits bis zu einer Messung beide Zustände gleichzeitig inne. Indem man Qubits geschickt miteinander verbindet, könnten sich bestimmte Berechnungen viel schneller durchführen lassen als mit herkömmlichen Rechnern.
Doch überlagerte Qubits sind extrem empfindlich. Misst man ein Qubit in einem Überlagerungszustand, kollabiert es entweder zu null oder zu eins, was jede laufende Berechnung zunichtemacht. Erschwerend kommt hinzu, dass kleinste Störungen, die aus Schwankungen in der Umgebung kommen, sich als ebenso zerstörerisch erweisen wie eine Messung. Alles, was ein Qubit beeinflusst – sei es ein neugieriger Forscher oder ein verirrtes Photon –, kann die Kalkulation stören.
Diese Zerbrechlichkeit ließ die Quanteninformatik lange hoffnungslos erscheinen. Das änderte sich, als der Mathematiker Peter Shor 1995 eine clevere Methode entdeckte, um Quanteninformationen zu speichern. Sein Verfahren enthält zwei Schlüsselelemente. Erstens ist es robust gegenüber Fehlern, solange sie nur einzelne Qubits betreffen. Zweitens kann es Fehler korrigieren, sobald sie entstehen. Damit wird verhindert, dass sich Fehler fortsetzen und somit das Ergebnis verfälschen. Shors Entdeckung war das erste Beispiel eines Quantenfehlerkorrekturverfahrens. Inzwischen sind diese beiden Punkte die bestimmenden Merkmale aller derartigen Codes.
Die erste Eigenschaft beruht auf einem einfachen Prinzip: Geheime Informationen sind weniger angreifbar, wenn man sie verteilt. In der Spionage wird eine ähnliche Strategie genutzt: Jeder Spion weiß nur sehr wenig über das Agentennetzwerk als Ganzes, damit die Organisation auch dann sicher bleibt, falls ein Spion geschnappt wird. Quantenfehlerkorrekturen treiben diese Logik jedoch auf die Spitze: In einem Quantenspionagenetz weiß ein einzelner Spion überhaupt nichts, aber alle Agenten zusammen wissen eine Menge.
Jeder Quantenfehlerkorrekturcode ist ein spezifisches Rezept, um Informationen auf verschränkte Qubits, die sich in einem gemeinsamen Überlagerungszustand befinden, zu verteilen. Durch dieses Verfahren werden mehrere »physikalische« Qubits effektiv in ein einziges »virtuelles« Qubit umgewandelt. Wiederholt man diesen Vorgang viele Male mit einer großen Anzahl von Qubits, erhält man am Ende viele virtuelle Qubits, mit denen man Berechnungen durchführen kann.
Die physikalischen Qubits, aus denen ein virtuelles Qubit besteht, entsprechen den einzelnen Quantenspionen. Misst man eines von ihnen, erfährt man nichts über den Zustand des virtuellen Qubits, zu dem es gehört – eine als »lokale Ununterscheidbarkeit« bezeichnete Eigenschaft. Da physikalische Qubits einzeln keine Informationen tragen, können Fehler in ihnen die Berechnung nicht stören. Die Information, auf die es ankommt, ist irgendwie überall und doch nirgendwo.
Alle Quantenfehlerkorrekturcodes können mindestens einen Fehler überstehen, ohne dass dieser die codierten Informationen beeinflusst. Wenn es aber zu viele Fehler gibt, scheitern irgendwann alle Ansätze. An dieser Stelle kommt die zweite Eigenschaft von Quantenfehlerkorrekturen ins Spiel: die eigentliche Fehlerkorrektur. Diese hängt eng mit der lokalen Ununterscheidbarkeit zusammen: Da Fehler in individuellen Qubits keine Informationen zerstören, lässt sich jeder Fehler theoretisch durch spezifische Verfahren rückgängig machen.
Eine lange Busfahrt, die sich lohnt
Der Postdoc Zhi Li vom kanadischen Perimeter Institute for Theoretical Physics in Waterloo war mit der Theorie der Quantenfehlerkorrektur gut vertraut. Doch als er sich im Herbst 2022 erstmals mit seinem Kollegen Latham Boyle unterhielt, hatte er nicht erwartet, über dieses Thema zu sprechen. Die beiden Physiker befanden sich in einem Bus von Waterloo nach Toronto. Boyle, ein Experte für aperiodische Kacheln, lebte damals in Toronto und war daher die langen Fahrten gewohnt, die oft im dichten Verkehr stecken blieben. »Normalerweise kann das sehr nervig sein«, sagte Boyle. »Doch das war die beste Fahrt aller Zeiten.«
Vor diesem Abend wussten Li und Boyle zwar von der Arbeit des jeweils anderen, aber ihre Forschungsgebiete überschnitten sich nicht, und sie hatten nie ein persönliches Gespräch geführt. Doch wie so viele Wissenschaftler interessierte sich auch Li für aperiodische Kacheln. »Es ist sehr schwer, nicht neugierig zu sein«, sagt er.
»Wenn ich Sie auf eine Fliese setze und Ihnen den Rest Ihres Lebens Zeit gebe, Ihre Umgebung zu erforschen, werden Sie nie herausfinden, in welcher genauen Kachelung Sie gelandet sind«Latham Boyle, Physiker
Das Interesse verwandelte sich in Faszination, als Boyle eine besondere Eigenschaft solcher Parkettierungen erwähnte: die lokale Ununterscheidbarkeit. In diesem Zusammenhang bedeutet der Begriff etwas anderes als in der Quanteninformationstheorie: Eine Menge von Fliesen kann unendlich viele verschiedene Kachelungen bilden – dennoch es ist unmöglich, zwei Parkettierungen voneinander zu unterscheiden, indem man bloß einen begrenzten Ausschnitt der Fläche untersucht. Das liegt daran, dass jeder endliche Teil einer Kachelung, egal wie groß, irgendwo in jeder anderen Kachelung auftaucht. »Wenn ich Sie auf eine Fliese setze und Ihnen den Rest Ihres Lebens Zeit gebe, Ihre Umgebung zu erforschen, werden Sie nie herausfinden, in welcher genauen Kachelung Sie gelandet sind«, erläutert Boyle.
Li erkannte die Ähnlichkeit zur lokalen Ununterscheidbarkeit in der Quantenfehlerkorrektur. Als er Boyle davon erzählte, war der sofort Feuer und Flamme. Zwar unterscheidet sich die zu Grunde liegende Mathematik in beiden Fällen, aber die Gemeinsamkeiten schienen zu groß, um sie zu ignorieren.
Li und Boyle wollten eine Verbindung zwischen den zwei Definitionen der lokalen Ununterscheidbarkeit herstellen, indem sie einen Quantenfehlerkorrekturcode mit aperiodischen Kacheln konstruierten. Die beiden Physiker unterhielten sich während der gesamten zweistündigen Fahrt, und als sie in Toronto ankamen, waren sie sicher, dass ein solcher Code möglich war – sie mussten ihre Idee nur noch beweisen.
Quantenmechanische Fliesen
Li und Boyle beschlossen, mit den vertrauten Penrose-Kacheln zu beginnen. Um mit diesen einen Quantenfehlerkorrekturcode zu basteln, mussten sie zunächst definieren, wie Quantenzustände und Fehler in diesem ungewöhnlichen Fliesensystem aussehen würden. Dieser Teil erwies sich als einfach. Eine unendliche zweidimensionale Ebene aus Penrose-Kacheln lässt sich ebenso wie ein Gitter aus Qubits quantenphysikalisch beschreiben: Statt Nullen und Einsen entsprechen die Quantenzustände bestimmten Kachelmustern. Ein Fehler radiert einen Ausschnitt der Parkettierung aus, so wie Fehler in Quantencomputern den Zustand mancher Qubits löschen.ü>
Der nächste Schritt bestand darin, Konfigurationen von Kachelungen zu finden, denen lokalisierte Fehler nichts anhaben – so wie die virtuellen Qubit-Zustände in Quantenfehlerkorrekturcodes. Die Lösung boten (so wie bei Quantencomputern) Überlagerungen. Sorgfältig überlagerte Penrose-Parkettierungen sind vergleichbar mit einer Anordnung von Badezimmerfliesen, die der unentschlossenste Innenarchitekt der Welt vorschlägt. Selbst wenn ein Teil des chaotischen Plans fehlt, verrät es nichts über den Gesamtgrundriss.
Damit dieser Ansatz funktioniert, mussten Li und Boyle zunächst zwei verschiedene Beziehungen zwischen Penrose-Parketten unterscheiden. Aus jeder beliebigen Kachelung kann man unendlich viele neue Parkettierungen erzeugen, indem man sie verschiebt oder dreht. Die Menge aller auf diese Weise erzeugten Muster fassen die zwei Forscher in eine Äquivalenzklasse zusammen.
Aber nicht alle Penrose-Parkette fallen in dieselbe Äquivalenzklasse. Eine Kachelung aus einer Äquivalenzklasse lässt sich nicht durch Drehungen und Verschiebungen in eine Parkettierung einer anderen Klasse umwandeln – die beiden Muster sind grundlegend verschieden, aber dennoch lokal ununterscheidbar.
»Die Penrose-Kacheln kannten die Quantenfehlerkorrektur schon vor der Erfindung des Quantencomputers«Latham Boyle, Physiker
Mit dieser Unterscheidung konnten Li und Boyle einen fehlerkorrigierenden Code entwickeln. In einem gewöhnlichen Quantenfehlerkorrekturcode wird ein virtuelles Qubit aus überlagerten physikalischen Qubits aufgebaut. In ihrem auf Kacheln basierenden Code entsprechen die Zustände überlagerten Kachelungen aus einer Äquivalenzklasse. Wenn die Ebene mit dieser Art von Überlagerung gepflastert ist, gibt es ein Verfahren, um eventuelle Lücken (Fehler) aufzufüllen – ohne Informationen über den gesamten Quantenzustand preiszugeben. »Die Penrose-Kacheln kannten die Quantenfehlerkorrektur schon vor der Erfindung des Quantencomputers«, so Boyle. Die Intuition von Li und Boyle hat sich als richtig erwiesen. Auf einer tiefen Ebene sind die zwei Definitionen der lokalen Ununterscheidbarkeit selbst ununterscheidbar.
Die Suche nach dem Muster
Obwohl aus mathematischer Sicht alles passt, lässt sich der Code von Li und Boyle kaum in die Realität umsetzen. Zunächst einmal haben die Kanten der Kacheln in Penrose-Parkettierungen keine regelmäßigen Abstände, weshalb man kontinuierliche reelle statt natürlicher Zahlen braucht, um sie zu beschreiben. Quantencomputer bestehen aber aus einer diskreten, gitterförmigen Anordnung von Qubits. Und es gibt ein weiteres Problem: Nur unendlich ausgedehnte Penrose-Kachelungen sind lokal ununterscheidbar, was sich nicht gut auf die endliche Welt übertragen lässt. »Es ist eine sehr merkwürdige Verbindung«, sagt Barbara Terhal, eine Forscherin für Quantencomputer an der Technischen Universität Delft.
Li und Boyle haben deshalb versucht, das Verfahren besser an die Wirklichkeit anzupassen. Sie haben zwei weitere Codes konstruiert, die auf anderen Kacheln basieren. Im ersten Fall ist das zu Grunde liegende Quantensystem endlich und im zweiten diskret. Der diskrete Code kann ebenfalls auf ein endliches System beschränkt werden, dennoch treten Schwierigkeiten auf. Beide endlichen Codes können beispielsweise nur räumlich gebündelte Fehler korrigieren, während die gängigen Quantenfehlerkorrekturcodes mit zufällig verteilten Fehlern zurechtkommen. Es ist noch nicht klar, ob diese Einschränkung von Kacheln an sich kommt oder ob man sie mit einem klügeren Design umgehen könnte. »Es gibt eine Menge Folgearbeiten, die gemacht werden können«, sagt der Physiker Felix Flicker von der University of Bristol.
Es sind nicht nur die technischen Details, die man besser verstehen muss – die neue Entdeckung wirft auch grundsätzliche Fragen auf. Ein naheliegender nächster Schritt besteht etwa darin, herauszufinden, welche anderen Kacheln als Codes funktionieren. 2023 entdeckten Mathematiker eine Familie von aperiodischen Kachelungen, die jeweils nur eine einzige Kachel erfordern. »Es wäre faszinierend zu sehen, wie diese jüngsten Entwicklungen mit dem Problem der Quantenfehlerkorrektur zusammenhängen könnten«, schrieb Penrose in einer E-Mail.
Eine andere spannende Frage hängt mit den Verbindungen zwischen Quantenfehlerkorrekturcodes und bestimmten Theorien der Quantengravitation zusammen. 2020 zeigten Boyle, Flicker und die 2022 verstorbene Madeline Dickens, dass aperiodische Kachelungen in der Raum-Zeit-Geometrie solcher Theorien auftreten. Diese Verbindung ergab sich jedoch aus einer Eigenschaft von Parkettierungen, die in der Arbeit von Li und Boyle keine Rolle spielt. Es scheint, dass Quantengravitation, Quantenfehlerkorrektur und aperiodische Kacheln verschiedene Teile eines Puzzles sind, dessen Konturen die Forschenden gerade erst zu verstehen beginnen. »Es gibt tief greifende Zusammenhänge, die diese verschiedenen Dinge verbinden«, sagte Flicker.
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