Quantenmechanik: Teilchen beim Tunneln erwischt
In der uns bekannten, makroskopischen Welt bleibt die Fähigkeit, durch eine feste Wand hindurchzugehen, Wunschdenken und Stoff für Sciencefiction-Filme. In der mikroskopischen Welt der winzigsten Teilchen jedoch ist es tatsächlich möglich, unüberwindbar scheinende energetische Barrieren zu durchdringen und auf der anderen Seite wieder aufzutauchen. Dieser so genannte Tunneleffekt sorgt unter anderem dafür, dass chemische Reaktionen noch stattfinden können, obwohl eigentlich nicht genug Energie dafür vorhanden ist. Genaue theoretische Vorhersagen, wie oft der Tunneleffekt in einem System stattfindet, sind allerdings extrem kompliziert. Doch nun ist es Forschenden gelungen, das Phänomen erstmals experimentell zu bestätigen. Die dazugehörige Studie ist im Fachmagazin »Nature« erschienen.
Wollen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler die Natur vollständig begreifen, müssten sie genau genommen immer bei der Quantenmechanik anfangen: Diese beschreibt, wie sich Quantenobjekte auf den kleinsten Größenskalen verhalten. Dort sind plötzlich wundersame Tricks möglich wie etwa der Tunneleffekt oder auch die Quantenverschränkung. Allerdings ist es für die meisten Reaktionen undenkbar, sie von Grund auf mit Rücksicht auf die Quantenmechanik zu erfassen: Jenseits von drei Teilchen werden diese simpel wirkenden Systeme viel zu komplex. Um chemische Reaktionen nachzuvollziehen, verlassen sich Forschende deshalb meist auf klassische Berechnungen und Simulationen ohne Quanteneffekte.
Doch das einfachste chemische Element im Universum, Wasserstoff, ist gerade einfach genug, um komplett mit der Quantenmechanik beschrieben zu werden. Die Aufgabe, die sich Forschende um Robert Wild von der Universität Innsbruck gestellt hatten, lautete somit: die theoretische Vorhersage des Tunneleffekts in einem einfachen Wasserstoffsystem experimentell zu überprüfen – sozusagen zu zählen, wie oft die Teilchen in diesem System tatsächlich durch Energiebarrieren hindurchtunneln, um miteinander zu reagieren.
Dafür verwendeten sie das Wasserstoffisotop Deuterium, das sie zunächst in eine Ionenfalle sperrten und auf zehn Kelvin, also fast bis zum absoluten Nullpunkt, hinunterkühlten. Anschließend gaben sie ein Gas aus molekularem Wasserstoff dazu. Auf Grund der extrem niedrigen Temperaturen hätte anschließend gar nichts passieren sollen: In der klassischen Beschreibung würde den Deuteriumionen wegen der tiefen Temperaturen die nötige Energie fehlen, um mit dem Wasserstoffgas zu reagieren. Doch der Tunneleffekt beflügelt sie: Kollidieren ein Deuteriumion und ein Wasserstoffmolekül miteinander, können sie trotzdem ein Proton austauschen. Rund 15 Minuten gaben die Forschenden dem kalten Gasgemisch in der Ionenfalle. Die bei der Reaktion H2 + D− → H− + HD entstehenden Wasserstoffionen konnten sie anschließend zählen und so darauf schließen, wie oft die chemische Reaktion stattgefunden hatte.
Bei etwa einer von 100 Milliarden Kollisionen kam es zu einem Protonaustausch und somit zu einer Reaktion. Das klingt nach wenig – und ist es auch. Laut der klassischen Beschreibung hätte die Reaktionsrate aber bei null liegen müssen. Dieses experimentelle Ergebnis stimmt ausgezeichnet mit den theoretischen Vorhersagen überein.
Zwar klingt der Tunneleffekt nach einem hochexotischen Quantenphänomen, doch wir machen ihn uns schon seit geraumer Zeit praktisch zu Nutze: etwa in Flash-Speichern von USB-Sticks oder in Rastertunnelmikroskopen. Unsere Sonne könnte ohne den Tunneleffekt keine Kernfusion betreiben, auch der radioaktive Alpha-Zerfall basiert auf ihm. Und viele chemische Reaktionen im extrem kalten All sind nach aktuellem Kenntnisstand nicht ohne den Tunneleffekt möglich, darunter so elementare Reaktionen wie ebenjene von zwei Wasserstoffatomen zu molekularem Wasserstoff.
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