Quantenphysik: Und noch ein Schlupfloch erfolgreich geschlossen
Etwas ist da, oder es ist nicht da. Etwas, das hier ist, kann nicht zugleich woanders sein. Diese Erfahrung machen wir nicht nur im täglichen Leben, sie hat auch Eingang in viele wissenschaftliche und philosophische Theorien gefunden. In der Quantenwelt hingegen können Teilchen nicht nur an einem Ort sein, sondern zugleich auch an vielen anderen – und zwar so lange, bis wir seinen Ort bestimmen.
Ein Lichtquant, Photon genannt, oder etwa auch ein Elektron können sich wie eine Welle über ein großes Areal ausbreiten. Versucht man dann allerdings zu messen, wo es sich aufhält, zeigt es sich nur an genau einer Stelle. Quanten besitzen also sowohl Wellen- als auch Teilcheneigenschaften: Sie breiten sich aus wie Wellen, lassen sich aber wie Teilchen punktförmig lokalisieren und tragen elektrische Ladung sowie andere Eigenschaften mit sich. Diesen und anderen völlig kontraintuitiven Eigenheiten verdankt die Quantenphysik ihren faszinierenden und bisweilen auch bizarren Charakter.
Physiker beschreiben die Wahrscheinlichkeit, eine ausgedehnte Teilchenwelle bei einer Messung irgendwo zu finden, mit der quantenmechanischen Wellenfunktion. Um das Verständnis, was genau diese repräsentiert, rankt sich seit ihrer Einführung ein Streit, in dem sich sowohl Naturwissenschaftler als auch Philosophen engagieren. Sieht man die Wellenfunktion als eindeutiges Abbild eines real existierenden Feldes – ähnlich wie in der klassischen Physik etwa das elektromagnetische Feld –, dann stellt sich die Frage, was bei einer Messung passiert, mit der zum Beispiel der Ort festgelegt wird.
Die Wellenfunktion bricht mit unendlicher Geschwindigkeit zusammen
In dem Augenblick, in dem die Messung stattfindet, verschwindet nämlich die Welle und reduziert sich auf den Punkt, an dem das Teilchen gefunden wurde. Dieser Übergang findet instantan, also mit unendlicher Geschwindigkeit, statt: der so genannte Kollaps der Wellenfunktion. Er bereitet deshalb begriffliche Schwierigkeiten, weil sich nach der Relativitätstheorie nichts schneller als mit Lichtgeschwindigkeit ausbreiten sollte. Und die ist zwar enorm hoch, aber doch endlich.
Diese Probleme sind seit Aufstellung der Quantenphysik vor rund 100 Jahren bekannt und haben Niels Bohr und seine Mitstreiter bewogen, die Wellenfunktion vorsichtiger zu interpretieren. Nach ihrer so genannten Kopenhagener Interpretation ist die Wellenfunktion nichts weiter als eine Wahrscheinlichkeitsfunktion, mit deren Hilfe wir künftige Messergebnisse vorhersagen können. Mit den trefflichen Worten Erwin Schrödingers, dem diese Sichtweise nicht zusagte, ist die Wellenfunktion also lediglich eine Art "Vorhersagekatalog".
Seitdem haben Physiker viele Experimente ersonnen, um die Kopenhagener Interpretation und ihre Alternativen auf Herz und Nieren zu prüfen. Bei solch fundamentalen Fragen gibt es schließlich viele Bedingungen, die erfüllt sein müssen, um von einem rigorosen Test sprechen zu können. Eine Möglichkeit, die bislang noch nicht besonders gut erforscht ist, liegt darin, den Kollaps der Wellenfunktion an einem einzelnen Teilchen nachzuvollziehen. Dieser Test ist deshalb so schwierig, weil ständig einzelne Quanten verloren gehen können. Man benötigt also eine sehr hohe Effizienz beim Manipulieren und Nachweis der Lichtquanten – deshalb ist auch die Rede vom "Effizienzschlupfloch".
Test mit einem einzelnen Photon
Howard Wiseman und Marcin Zwierz vom Centre for Quantum Dynamics der Griffith University in Brisbane haben für diesen Test nun ein Gedankenexperiment vorgeschlagen, das Akira Furusawa und seine Mitarbeiter vom Department of Applied Physics der Universität Tokio umsetzen konnten. Ihre Studie veröffentlichten sie in "Nature Communications".
Die Idee bestand darin, ein Lichtteilchen zunächst an einem Strahlteiler aufzuteilen, so dass es wie eine Welle in zwei verschiedene Richtungen lief. Die beiden Teilwellen gingen in zwei getrennte Apparaturen – man könnte auch sagen, in zwei verschiedene Labore. Nach dem Gedankenexperiment saß in dem einen Labor Alice und führte dort verschiedene Experimente durch, in dem anderen saß Bob. Auch er nahm verschiedene Messungen an der Lichtwelle vor. Dabei durften Alice und Bob nicht einfach bestimmen, ob das Photon in ihrem Labor angekommen war: Sonst hätten sie es sozusagen gezwungen, sich zu seiner Teilchennatur zu bekennen, und es wäre entweder bei Alice oder Bob erschienen und beim anderen nicht.
Alice und Bob mussten stattdessen die quantenphysikalische Wellenform mit ausgeklügelten Verfahren bestimmen. "Deshalb sagen wir, es handelt sich um eine Messung an einer Welleneigenschaft", sagt Howard Wiseman.
Schlupfloch geschlossen: Es bleibt bizarr
Wenn Alice nun bestimmte Messungen durchführte, beeinflusste dies erwartungsgemäß auch die Ergebnisse von Bob – obwohl er räumlich von Alice getrennt war! Vor allem aber trat dieser Effekt nicht allein im statistischen Mittel auf, wie andere Experimente schon vielfach nachgewiesen haben, sondern bei jedem einzelnen Photon. "Wir konnten die Quanteneffizienz zum Nachweis der einzelnen Photonen so stark erhöhen, dass wir dieses Schlupfloch schließen konnten", sagt Akira Furusawa. Gegner der herkömmlichen Quantenphysik hätten im Prinzip noch hoffen können, dass bei genügend scharfem Hinschauen sich einige bizarre Effekte der Quantenphysik doch nur als Trugschluss herausstellen.
Die neuen Messungen bestätigen nicht nur den nichtlokalen Charakter der Quantenphysik, der philosophisch nach wie vor umstritten ist, wie Wiseman in einem Beitrag auf "Spektrum.de" ausführte, sondern stellen einmal mehr die Weitsicht von Niels Bohr und seinen Kollegen heraus, deren Interpretation auch angesichts dieser Ergebnisse standhält.
Die neuen Methoden sind aber auch aus technologischer Hinsicht interessant: Quantencomputing und Quanteninformationssysteme benötigen verschiedene Komponenten, die sich zu unterschiedlichen Zwecken eignen. So bieten sich Photonen auf Grund ihrer Geschwindigkeit für die Datenübertragung an, sie sind aber zu flüchtig für eine Speicherung. Elektronenspins oder supraleitende Elemente sind hingegen besser für die Informationsverarbeitung geeignet, jedoch weniger für die Übertragung.
"Man kann aber sowohl die Wellen- als auch die Teilcheneigenschaften für die Quanteninformationsverarbeitung nutzen", sagt Furusawa. "Das macht sie deutlich effizienter und unempfindlicher." Solche hybriden Geräte könnten geschickt die besten Eigenschaften verschiedener Quantensysteme vereinen.
Mit dem neuen Verfahren kann Bob auch eigenständig testen, ob und wie Alice das Photon manipuliert hat und ob es sich um dasselbe Photon handelt. Es könnte sich ja auch ein Spion in die Leitung geschaltet haben. Bob kann also unabhängig von Alice überprüfen, ob sein Quanteninformationssystem richtig funktioniert, so Wiseman: "Unser Verfahren lässt sich als Nachweismethode verwenden, ob eine Verschränkung vorliegt – auch wenn man der anderen Seite nicht traut." Nicht nur angesichts diverser Abhörskandale eine viel versprechende Option.
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