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Quantenphysik: Physiker beobachten zum ersten Mal verschränkte Quarks

Eigentlich sollte dieses Quanten-Phänomen bei Quarks nicht beobachtbar sein – doch Top-Quarks sind so kurzlebig, dass sie den Regeln der Quantenphysik entgehen.
Zwei Kugeln dicht beieinander, eine soll Materie, die andere Antimaterie darstellen
Die Verschränkung von Quark-Antiquark-Paaren wurde erstmals erfolgreich gemessen.

Vor einigen Jahren stellten sich die Physiker Yoav Afik und Juan Muñoz de Nova während einer Kaffeepause eine scheinbar verrückte Frage: Ist es möglich, das mysteriöse Quanten-Phänomen der Verschränkung in einem Teilchenbeschleuniger zu beobachten? Die Verschränkung von Teilchen wie Elektronen und Photonen wird schon seit mehreren Jahrzehnten gemessen. Diese sind dabei so stark miteinander verbunden, dass sie nicht mehr als einzelne Bestandteile angesehen werden können, sondern sich nur gemeinsam beschreiben lassen. Allerdings lässt sich die Verschränkung am einfachsten in niedrigen Energiebereichen und besonders »ruhigen« Umgebungen messen, etwa in den ultrakalten Kryostaten von Quantencomputern. Das Innere von Teilchenbeschleunigern, bei denen fast lichtschnelle Atomkernen zusammenprallen, ist hingegen das Gegenteil einer niederenergetischen und ruhigen Umgebung. Dort ist es viel schwieriger, Verschränkungen nachzuweisen – es ist in etwa so, als würde man versuchen, ein leises Flüstern bei einem lauten Rockkonzert herauszuhören.

Das Gespräch der beiden Physiker mündete in eine 2021 veröffentlichte Arbeit, in der sie erklärten, wie sich die Verschränkung von Top-Quarks zeigen ließe – ein extrem kurzlebiges Elementarteilchen. Und nun haben Fachleute erstmals das Quantenphänomen zwischen Quarks am Large Hadron Collider (LHC), dem weltgrößten Teilchenbeschleuniger am CERN in der Schweiz, beobachtet. Das beeindruckende Ergebnis könnte zu einem besseren Verständnis der Quanteninformation bei hohen Energien führen – ein Bereich, der bislang verborgen war.

Um die Verschränkung am LHC zu beobachten, untersuchten die Physikerinnen und Physiker mit Hilfe des ATLAS-Detektors etwa eine Million Paare von Top- und Anti-Top-Quarks – die schwersten aller bekannten Elementarteilchen und ihre Gegenstücke aus Antimaterie. Die Fachleute fanden im September 2023 erstmals statistisch signifikante Hinweise für eine Verschränkung, wie sie nun im Fachjournal »Nature« berichten. Forschende, die an einem anderen Detektor des LHC arbeiten, dem CMS-Detektor, haben die Messungen im Juni 2024 bestätigt. »Das ist spannend, weil die Verschränkung zum ersten Mal bei den höchsten Energien, die mit dem LHC erreicht werden, untersucht wurden«, sagt die Teilchenphysikerin Giulia Negro von der Purdue University in West Lafayette, Indiana, die an der CMS-Analyse mitgearbeitet hat.

Die Fachwelt hatten keinen Zweifel daran, dass Top-Quarks verschränkt sein können. Das Standardmodell der Teilchenphysik – die etablierte Theorie der Elementarteilchen – fußt auf der Quantenmechanik, aus der Phänomene wie Verschränkung folgen. Die neueste Messung ist dennoch wichtig, erklären die Forschenden. »Man geht nicht davon aus, dass die Quantenmechanik widerlegt wird«, sagt der theoretische Physiker Juan Aguilar-Saavedra vom Institut für Theoretische Physik in Madrid. »Das darf einen aber nicht davon abhalten, Dinge zu messen, die man erwartet.«

Top-Quarks sind zu kurzlebig für Quanten-Gesetze

Frühere Studien hatten ergeben, dass der Spin von Top-Quarks – eine Quanteneigenschaft, die einem Drehimpuls ähnelt – korreliert sein kann. Wie Afik, der jetzt an der Universität von Chicago in Illinois arbeitet, und de Nova von der Universität Complutense in Madrid erkannten, kann man durch eine erweiterte Messung nachweisen, dass die Quark-Spins nicht nur irgendwie korreliert, sondern wirklich verschränkt sind. Dafür definierten die zwei Physiker einen Parameter D, der den Grad der Korrelation zweier Teilchen beschreibt. Wenn D kleiner als -⅓ ist, erklärten die Forscher, dann sind die Top-Quarks verschränkt.

Dass der Vorschlag von Afik und Muñoz de Nova tatsächlich funktionierte, lag unter anderem an der kurzen Lebensdauer der Top-Quarks. Weil sie so schwer sind, existieren Top-Anti-Top-Quarkpaare nur sehr kurz, etwa 10-25 Sekunden lang. Dann zerfallen sie in langlebigere Teilchen. »Mit leichteren Quarks wäre das nicht möglich gewesen«, sagt der Experimentalphysiker James Howarth von der University of Glasgow, der zusammen mit Afik und Muñoz de Nova an der ATLAS-Analyse beteiligt war.

Das Standardmodell der Teilchenphysik

Das Standardmodell enthält alle bisher bekannten Elementarteilchen. Links oben sind die sechs Quarks Up (u), Down (d), Charm (c), Strange (s), Top (t) und Bottom oder auch Beauty (b) verzeichnet. Sie können jeweils drei verschiedene Farbladungen besitzen (Rot, Grün oder Blau). Diese Ladung bestimmt, wie sie an Gluonen (g) koppeln, die selbst zwei Farbladungen tragen. Neben der durch die Gluonen vermittelten starken Kernkraft unterliegen die Quarks der schwachen Kernkraft und dem Elektromagnetismus. Ihre elektrische Ladung beträgt entweder 2/3 oder –1/3 der Elektronenladung. Die Masse der sechs Quarks variiert stark, vom leichtesten Up-Quark mit 2,3 MeV/c2 bis zum schweren Top-Quark mit über 170 GeV/c2.

Außerdem gibt es sechs verschiedene Leptonen: das Elektron (e), das Myon (μ), das Tauon oder Tau (τ) und für jedes dieser Teilchen ein dazugehöriges Neutrino (ν). Sie unterliegen alle der schwachen Wechselwirkung, und bis auf die drei Neutrinos haben sie eine negative Elektronenladung. Wie bei den Quarks schwankt auch ihre Masse: von 511 keV/c2 des leichten Elektrons bis zu mehr als 1,7 GeV/c2 des schweren Tauons. Die Masse der Neutrinos ist tatsächlich so klein, dass sie bisher noch nicht bestimmt werden konnte.

Quarks und Leptonen bilden zusammen drei Teilchenfamilien, die sich bis auf ihre Massen nicht voneinander unterscheiden. Sie wirken damit wie drei praktisch identische Kopien; diese Symmetrie lässt sich durch die Gruppentheorie beschreiben.

Neben den Gluonen befinden sich in der rechten Spalte die übrigen Teilchen, welche die drei Grundkräfte des Standardmodells übermitteln. Das W+-, das W- und das Z-Boson sind für die schwache Kernkraft verantwortlich, die radioaktive Zerfälle bewirkt. Das Photon übermittelt die elektromagnetische Kraft. Für die vierte Grundkraft, die Gravitation, wird vermutet, dass ein Graviton existiert. Das Higgs-Boson unterscheidet sich von seinen Artgenossen. Es hängt nicht mit einer fundamentalen Kraft zusammen, sondern verleiht den Teilchen ihre Masse. Außerdem unterliegt es der schwachen Wechselwirkung.

Um das Standardmodell zu vervollständigen, kommen noch die Antiteilchen der Quarks und der Leptonen hinzu, die sich lediglich durch das Vorzeichen ihrer elektrischen Ladung von den ursprünglichen Partikeln unterscheiden.

Quarks lassen sich nur schwer voneinander trennen. Und so beginnen sie nach nur 10-24 Sekunden, sich mit anderen Quarks zu »Hadronen« wie Protonen oder Neutronen zu verbinden. Da Top-Quarks jedoch so schnell zerfallen, haben sie keine Zeit, zu »hadronisieren« und ihre Spin-Information durch die Verbindung zu verlieren, sagt Howarth. Stattdessen werde die gesamte Information auf die Zerfallsteilchen übertragen. Damit konnten die Forschenden die Zerfallsprodukte untersuchen, um auf die Eigenschaften der Top-Quarks, einschließlich ihres Spins, zurückzuschließen.

Nach einer Spin-Messung der Top-Quarks verglichen die Teams ihre Ergebnisse mit theoretischen Vorhersagen. Allerdings stimmten die mathematischen Modelle der Top-Quark-Produktion und -Zerfälle nicht mit den experimentellen Resultaten überein. Die Forschenden am ATLAS- und am CMS-Detektor gingen auf unterschiedliche Weise mit den Unsicherheiten der Modelle um. Das CMS-Team fand zum Beispiel heraus, dass die Einbeziehung von »Toponium« – einem hypothetischen Zustand, in dem ein Top- und ein Anti-Top-Quark aneinander gebunden sind – zu einer besseren Übereinstimmung zwischen Theorie und Experiment führt. Letztlich konnten beide Experimente die -⅓-Verschränkungsgrenze nachweisen, wobei am ATLAS-Detektor ein Wert von -0,537 und am CMS-Detektor -0,480 gemessen wurden.

»Am Anfang war es schwierig, die Gemeinschaft davon zu überzeugen, dass die Studie die Zeit wert ist«Yoav Afik, Physiker

Die erfolgreiche Beobachtung von verschränkten Top-Quarks könnte ein besseres Verständnis der Top-Quark-Physik ermöglichen und den Weg für künftige Hochenergietests der Verschränkung ebnen. Mit anderen Teilchen wie dem Higgs-Boson ließe sich sogar in einem Beschleuniger ein Bell-Test durchführen – eine noch anspruchsvollere Prüfung der Verschränkung.

Das Top-Quark-Experiment könnte ein Umdenken unter Physikern bewirken, sagt Afik. »Am Anfang war es schwierig, die Gemeinschaft davon zu überzeugen, dass die Studie die Zeit wert ist«, sagt er. Schließlich ist die Verschränkung ein Grundpfeiler der Quantenmechanik und wurde immer wieder nachgewiesen. Aber die Tatsache, dass sie bei hohen Energien noch nicht gründlich erforscht wurde, ist für Afik und die anderen Fachleute Rechtfertigung genug. »Die Leute haben erkannt, dass man jetzt anfangen kann, Hadronen-Beschleuniger und andere Arten von Teilchenbeschleuniger für diese Tests zu nutzen«, sagt Howarth.

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  • Quellen
The ATLAS Collaboration: Observation of quantum entanglement with top quarks at the ATLAS detector. Nature 633, 2024

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