Quintessenz: Verdrehtes Licht liefert Hinweise auf Dunkle Energie
Seit Langem sind Kosmologen der Dunklen Energie auf der Spur – einer geheimnisvollen Kraft, die offenbar dafür sorgt, dass sich das Weltall immer schneller ausdehnt. Noch weiß niemand, worin diese Kraft besteht oder was sie hervorruft. Nun aber will ein Forscherteam der Antwort ein Stück weit näher gekommen sein. Sie fanden sie in »verdrehtem Licht« in der kosmischen Hintergrundstrahlung.
Diese Strahlung wurde kurz nach dem Urknall ausgesandt und durchdringt heute das gesamte Universum in Form von Mikrowellen. Geht es nach dem Team, lässt sich in der »Verdrehung« des Lichts der Fingerabdruck einer mysteriösen Substanz namens Quintessenz aufspüren. Sie könnte hinter der Dunklen Energie stecken.
Sollte sich der Effekt, den die Gruppe in Daten des Weltraumteleskops Planck entdeckte, bestätigen, würde es das vorherrschende Theoriegebäude der Physik in den Grundfesten erschüttern. Bisher aber reicht die statistische Aussagekraft der Ergebnisse nicht aus, um von einer echten Entdeckung zu sprechen. Immerhin unterstreichen die vorläufigen Ergebnisse der Gruppe schon jetzt, wie unvollständig unser Bild vom Universum in Wahrheit noch ist.
Wenn die Quintessenz hinter der Dunklen Energie steckt, könnte ihre Triebkraft im Lauf der Zeit nachlassen oder sich sogar ins Gegenteil verkehren. Womöglich beginnt das Universum dann eines fernen Tages erneut zu schrumpfen, ein Szenario, das Kosmologen als »Big Crunch« bezeichnen. Das erläutert Sean Carroll, theoretischer Physiker vom California Institute of Technology in Pasadena. »Wir sind wieder an dem Punkt, an dem wir keinerlei Ahnung haben, wie das Universum einmal enden wird.« Publiziert wurden die Ergebnisse des Teams im Fachblatt »Physical Review Letters«.
Das fünfte Element
Den ersten direkten Beleg dafür, dass eine unbekannte Kraft die kosmische Expansion beschleunigt, lieferten 1998 zwei voneinander unabhängige Untersuchungen von Supernovae. Dass die Dunkle Energie tatsächlich existiert, haben seitdem zahlreiche weitere Studien bestätigt. Aber nur sehr wenige davon haben mehr über ihr eigentliches Wesen verraten.
Zunächst vermuteten Fachleute, dass die Dunkle Energie eine Eigenschaft des Raums selbst ist. Das ist auch heute noch die führende Theorie. Die Menge an Dunkler Energie pro Raumvolumen wäre demnach überall gleich – man spricht von einer »kosmologischen Konstante«. Einige Forscherinnen und Forscher stellten jedoch die Theorie auf, dass Dunkle Energie aus etwas ganz anderem bestehe. Sie nannten es das Quintessenzfeld, in Analogie zur »quinta essentia«, dem fünften Element, das laut der antiken griechischen Philosophie in Form eines unsichtbaren Äthers den leeren Raum des Universums ausfüllen soll.
Im Gegensatz zur kosmologischen Konstante ist die Quintessenz »ein greifbares Medium, das auch Schwankungen unterliegen kann«, sagt Robert Caldwell, ein Kosmologe am Dartmouth College in Hannover, New Hampshire, der als einer der Ersten die Existenz der Substanz postulierte. Die Quintessenz könnte laut Caldwell Eigenschaften haben, die zwischen denen der Materie und denen einer kosmologischen Konstante liegen. Während die kosmologische Konstante beispielsweise immer unverändert bleibt, würde die Dichte der Quintessenz im Lauf der Expansion immer weiter abnehmen, wenn auch nicht so schnell wie die Dichte der normalen Materie.
Quintessenz lässt sich messen – wenn es sie denn gibt
1998 machte Carroll einen Vorschlag, wie sich die Quintessenz experimentell nachweisen lassen sollte. Er machte sich dabei zu Nutze, dass das hypothetische Feld die Ausbreitung des Lichts im Raum verändert, wenn es denn existiert. Eine Gruppe unter der Leitung des theoretischen Physikers Marc Kamionkowski, jetzt an der Johns Hopkins University in Baltimore, Maryland, berechnete dann, wie dieser Effekt in der kosmischen Hintergrundstrahlung, dem »Nachglühen des Urknalls«, entdeckt werden könnte.
Demnach sollen sich Hinweise auf die Quintessenz in der Polarisierung der Hintergrundstrahlung aufspüren lassen. Licht ist polarisiert, wenn sein elektrisches Feld nicht zufällig, sondern in einer bestimmten Richtung schwingt. Laut der Theorie müsste die Quintessenz die Richtung, in die die Polarisation zeigt, in einer Weise verdrehen, die man messen kann, indem man die Polarisation über den gesamten Himmel betrachtet.
Genau das wollen nun zwei Kosmologen erreicht haben: Yuto Minami von der Organisation für Hochenergiebeschleunigerforschung (KEK) im japanischen Tsukuba und Eiichiro Komatsu vom Max-Planck-Institut für Astrophysik in Garching haben dazu nach der Signatur der Quintessenz in Daten der 2013 beendeten Planck-Mission der Europäischen Weltraumorganisation gesucht.
Der Hauptzweck von Planck bestand darin, die winzigen Temperaturschwankungen der Hintergrundstrahlung über den gesamten Himmel zu kartieren, aber der Satellit hat dabei auch die Polarisation der Strahlung gemessen. Mit Hilfe einer neuen Technik, die sie vergangenes Jahr der Fachwelt vorstellten, haben Minami und Komatsu nun Anzeichen für die Quintessenz gefunden. Damit widersprechen ihre Ergebnisse denen anderer Gruppen, die in den Polarisationskarten der Hintergrundstrahlung – einschließlich jener von Planck – keine auffälligen Polarisationsmuster ausgemacht haben, sagt die Physikerin Suzanne Staggs von der Princeton University in New Jersey, deren Team den Mikrowellenhintergrund mit dem Atacama Cosmology Telescope (ACT) in Chile vermisst. Mit ihrem Team plant sie nun, die Technik von Minami und Komatsu auch einmal versuchsweise an ihren eigenen ACT-Daten auszuprobieren.
Große Auswirkungen
Das Paper sei eine schöne Analyse, aber durch das Rauschen, das in den Planck-Daten vorherrscht, könnte sie in Schwierigkeiten geraten, sagt George Efstathiou, führender Planck-Kosmologe von der University of Cambridge. Auch theoretische Physiker halten sich bedeckt. »Wenn das echt ist, wäre es eine große Sache«, sagt Carroll. Noch aber reiche die statistische Signifikanz des Ergebnisses – nur 2,5 Sigma statt der geforderten 5 – nicht aus. Die Erfahrung zeige, dass sich solche Resultate bei weiterer Prüfung oft in nichts auflösen.
Kamionkowski stimmt dem zu. »Ich denke, wir sollten das alles sehr sorgfältig durchgehen und nicht gleich aus dem Häuschen geraten«, sagt er. Gibt es die Quintessenz tatsächlich, hätte das nicht nur Auswirkungen auf die Kosmologie, sondern auch auf die Grundlagenphysik: Im Standardmodell der Teilchenphysik ist nämlich keinerlei Quintessenz vorgesehen, folglich müsste es einen bislang unbekannten Fehler enthalten.
Bereits jetzt sind weitere Experimente in Planung, die die Polarisation des Mikrowellenhintergrunds mit größerer Genauigkeit kartieren werden. Dadurch wird die Theorie der Quintessenz noch strengeren Tests unterzogen werden. So etwa am Simons Observatory, das derzeit in der Atacama-Wüste aufgebaut wird. Auch eine von Japan geleitete Weltraummission, eine Raumsonde namens LiteBIRD, soll neue Karten des Hintergrunds liefern.
Sollte sich die Quintessenz tatsächlich als Erklärung für die Dunkle Energie bestätigen, hätte dies eine beträchtliche Folgewirkung, etwa für das Alter des Universums. Derzeit schätzen es Experten anhand der Hintergrundstrahlung auf 13,8 Milliarden Jahre, die Quintessenz würde es etwas jünger machen. Mit ihr ließe sich ebenso erklären, warum die Hintergrundstrahlung eine Verlangsamung der kosmischen Expansion vorhersagt. Der Fels, auf dem alles ruhe, sei die kosmologische Konstante, sagt Caldwell. »Wenn Sie diesen Felsen wegnehmen, könnte sich das auf alles andere auswirken.«
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