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Reaktorunglück: Radioaktiver Glasregen nach Fukushima-GAU

Beim Atomunfall von Fukushima ist Zäsium in einer besonders haltbaren Form freigesetzt worden. Damit müssen die Annahmen zu den Katastrophenfolgen überdacht werden.
Protest gegen Kernkraft in Tokio nach der Fukushima-Katastrophe

Der Atomunfall von Fukushima im März 2011 hat radioaktives Zäsium offenbar vor allem in Form winziger Glaskörnchen freigesetzt. Der Fallout, der nach der Katastrophe über der Umgebung des Kraftwerks, aber auch über der mehr als 200 Kilometer entfernten Hauptstadt Tokio niederging, ist in dieser Form weniger anfällig für natürlichen Abbau und bleibt somit länger in der Umwelt, wie japanische Forscher um Satoshi Utsunomiya von der Kyushu-Universität jetzt auf einer Tagung in Yokohama berichteten.

Nach dem Reaktorunfall waren seinerzeit besonders belastete Böden in der Umgebung des Kraftwerks ausgetauscht und kontaminierte Flächen mit Hochdruckreinigern gesäubert worden. Da Zäsium wasserlöslich ist, erwartete man, dass Regen und Oberflächenwasser ihren Teil zur "Entsorgung" des radioaktiven Materials beitragen würden. Doch diese Annahme ist offenbar falsch, wie Utsunomiya und Kollegen belegen konnten. Die Forscher hatten Bodenproben aus einem Umkreis von gut 200 Kilometern um das Atomkraftwerk analysiert, ebenso Proben, die wenige Tage nach der Katastrophe aus Luftfiltern in Tokio genommen worden waren. Wie sich zeigte, war der größte Teil der Zäsiumpartikel mit einer Art Schutzhülle aus geschmolzenem Siliziumdioxid (SiO2) – dem Hauptbestandteil von Quarzglas – ummantelt.

Die Wissenschaftler verweisen auf die extremen Temperaturen, die bei der Kernschmelze in Fukushima auftraten. Bei mehr als 2000 Grad Celsius schmolzen sogar die Betonwände des Reaktordruckgefäßes. Siliziumdioxid ist eine der Substanzen bei der Betonherstellung; mit dem glutflüssigen Beton wirbelten also auch winzige SiO2-Tröpfchen durch die Luft. Diese hüllten die Zäsiumpartikel sowie an diese angelagerte Eisen-Zink-Partikel ein und sorgten so nach dem Erkalten für einen haltbaren Glasüberzug.

Für Utsunomiya ist klar, dass damit die Folgen des Reaktorunfalls neu abgeschätzt werden müssen. "Diese Untersuchung verändert einige unserer Annahmen zum Fallout von Fukushima", so der Forscher. "Es zeigt sich, dass mit dem Austausch von Böden und dem Abwaschen belasteter Flächen die richtigen Maßnahmen ergriffen wurden." Dort, wo das nicht geschehen ist, könnten die radioaktiven Partikel allerdings nahezu unverändert überdauert haben. Und noch ein weiterer Aspekt macht den Forschern Sorge. Sie entdeckten, dass die Radioaktivität in den Glaspartikeln mitunter extrem hoch ist – teilweise lag sie mehr als 100-mal höher als die durchschnittliche Belastung der kontaminierten Böden in der betroffenen Region.

Menschen, die zur Zeit des Unfalls in der Region lebten, könnten also mit der Atemluft wesentlich mehr Radionuklide aufgenommen haben als bislang vermutet. "Das dürfte bedeuten", so Utsunomiya, "dass wir unsere Einschätzung zu den gesundheitlichen Folgen überarbeiten müssen."

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