Direkt zum Inhalt

Tierwanderungen: Rätsel der Navigation

Suppenschildkröten verbringen die meiste Zeit ihres Lebens im Meer. Doch wenn die Zeit zur Eiablage gekommen ist, reisen die Weibchen zielsicher zu ganz bestimmten Stränden, um dort ihre künftigen Nachkommen im Sand zu vergraben - vermutlich indem sie sich an geomagnetischen Feldern orientieren. Doch ist das schon die ganze Wahrheit?
Suppenschildkröte (<i> Chelonia mydas</i>)
Alle drei Jahre machen sich die Weibchen der Grünen Meeresschildkröte auf den Weg. Sie durchqueren Hunderte von Kilometern Meerwasser – mal getrieben von der Strömung der Meere, mal mit Leibeskräften dagegen anpaddelnd –, bis sie die Strände erreichen, an denen sie einst das Licht der Welt erblickten. Dann krabbeln sie mehrmals an den heimatlichen Strand und legen dort in kleinen Sandkuhle mehrere Eier ab, die sie danach der Wärme der Sonne überlassen, während sie selbst wieder zurück ins offene Meer ziehen.

Ein solcher Brutort findet sich auch auf einer kleinen Inselgruppe vor der Westküste Afrikas – der französischen Insel Mayotte am nördlichen Rand der Straße von Mosambik. Doch von den Meeresschildkröten, die sich dort im vergangenen Jahr vor den Stränden auf ihre Eiablage vorbereiteten, mussten zwanzig Exemplare eine unfreiwillige Reise antreten: Wissenschaftler hatten sie als Probanden auserkoren, um mit einem Experiment den Navigationskünsten der bedrohten Tiere auf die Spur zu kommen.

Dazu machten sich die Forscher um den Biologen Paolo Luschi von der Universität Pisa die Hartnäckigkeit der Tiere zu Nutzen. Denn Meeresschildkröten lassen sich bei ihrer Eiablage nur ungern stören. Behindert man sie dennoch, indem man sie etwa entführt und auf offenem Meer wieder frei lässt, reisen sie gleich wieder zurück.

Doch diesmal hatten die olivgrün gepanzerten Tiere eindeutig mit erschwerten Bedingungen zu kämpfen. Denn die Forscher befestigten auf dem Kopf einiger der Meeresschildkröten eine kurze Stange, an der ein starker Magnet baumelte. Wenn sich die Tiere bei ihrer Heimreise auf die Magnetfelder der Erde verließen, so die These, würde sie dieser Störfaktor sicherlich gehörig aus dem Konzept bringen.

Dass manche Tiere sich über einen angeborenen Magnetsinn orientieren, ist schon länger bekannt. Auch die Meeresschildkröten zählen zu den Tieren, die sich hierauf verlassen. Doch wie genau gehen sie dabei vor?

Eine Möglichkeit wäre, dass sie in ihrem Gedächtnis eine Art magnetische Karte angelegt haben, auf die sie sich – ausgehend vom Heimatstrand – bei ihren Reisen orientieren. Dann könnten sie einfach den aktuellen Standort mit den Daten des Geburtsorts abgleichen und sich so eine Route berechnen, der sie folgen müssen. Schwebt allerdings auf der Heimreise ein unregelmäßig schwankendes magnetisches Störfeld über ihrem Kopf, dürfte sich der Rückweg bei einer solchen Methode als äußerst schwierig erweisen.

Es wäre jedoch auch denkbar, dass die Schildkröten sich auf ihren Reisen geomagnetische Hinweise einprägen und dann entlang dieser nach Hause finden. Auch dann wären sie ziemlich verloren, wenn ihr Magnetsinn auf dem Weg ins offene Meer verwirrt würde. Sechs der Tiere wurden entsprechend allein beim Schiffstransport mit den Magneten bestückt – während eine Kontrollgruppe von sieben Artgenossen ganz unbelastet mitgenommen wurde. Dann durften die Tiere in kleinen gemischten Gruppen jeweils an vier unterschiedlichen Stellen etwa einhundert Kilometer von ihrem Heimatstrand entfernt ins Wasser.

Wie die Forscher erwartet hatten, erreichten die unmanipulierten Tiere am schnellsten ihr Ziel. Doch auch die magnetgestörten Tiere fanden nach Hause. Anders als die Kontrollgruppe, deren Mitglieder im Schnitt 250 Kilometer Wegstrecke zurückgelegt hatten, waren sie jedoch teilweise mehrere tausend Kilometer unterwegs. Eines der Tiere hatte gar 2200 Kilometer zurückgelegt, bis es endlich ankam.

Dabei unterschieden sich die Daten der zwölf Tiere so stark, dass die Forscher nicht feststellen konnten, ob die eine Gruppe ihre Bürde besser bewältigt hatte als die andere. Die unterschiedlichen Werte zur zurückgelegten Entfernung, zu Strömungen und Schwimmgeschwindigketen ließen lediglich den Schluss zu, dass beide manipulierten Gruppen Schwierigkeiten gehabt hatten, wieder zurückzufinden.

Dennoch waren die Forscher um Paolo Luschi verblüfft. Denn eigentlich hatten sie damit gerechnet, dass mindestens eine Gruppe der manipulierten Suppenschildkröten in den Weiten der Meere schlichtweg verloren ginge. Schließlich verfügten sie auf Grund des über ihnen schwebenden Magneten ja über kein funktionierendes Ortungssystem mehr.

Dass sie bis auf eine alle wieder zurückfanden, bedeutet jedoch, dass die Tiere einen weiteren Ortungssinn besitzen. Welcher das ist, bleibt rätselhaft. Sicher ist nur eines: Er arbeitet so effektiv, dass selbst die findigen Versuchsaufbauten heutiger Forschergruppen ihm bislang nichts anhaben können.

Schreiben Sie uns!

Wenn Sie inhaltliche Anmerkungen zu diesem Artikel haben, können Sie die Redaktion per E-Mail informieren. Wir lesen Ihre Zuschrift, bitten jedoch um Verständnis, dass wir nicht jede beantworten können.

Partnerinhalte

Bitte erlauben Sie Javascript, um die volle Funktionalität von Spektrum.de zu erhalten.