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Geschichte der Guillotine: Rasiermesser der Nation

Die Französische Revolution hat die Guillotine zum Schreckensinstrument gemacht. Dabei sollte die Apparatur ursprünglich Verurteilten die Qualen der Hinrichtung ersparen und die Todesstrafe humaner und gerechter gestalten.
Die Exekution von Ludwig XI.

Am 28. Juli 1794, gegen acht Uhr abends, stirbt in Paris Maximilien Robespierre. Der »große Säuberer« (grand épurateur), der im Namen des Gemeinwohls tausende Menschen zum Schafott hat führen lassen, war Opfer jener Maschine geworden, mit der er selbst monatelang regiert hatte: der Guillotine. Die Revolution hatte ihr schrecklichstes Kind gefressen.

Dieser 10. Thermidor des Jahres II der neuen, revolutionären Zeitrechnung markiert das Ende einer blutigen Schreckensherrschaft, in der die bürgerliche Revolution in eine Diktatur abgeglitten war. Ernst Moritz Arndt (1769-1860) hatte diese Phase vor Augen, als er im Rückblick resümierte, die Revolution sei ein gefräßiges Ungeheuer gewesen, welches »hungrig sich selbst verschlang«.

Die Handhabe hierfür lieferte ein Instrument, das wie kein anderes für die Französische Revolution steht – die Guillotine. Der »Maschine zum Regieren«, wie der radikale Revolutionär Saint-Just die mechanische Tötungsapparatur nannte, fielen allein in Paris über 1300 Menschen, in ganz Frankreich sogar rund 17 000 Personen zum Opfer.

Schmerzfreie Exekution

Natürlich hätte man die Verurteilten auch erschießen können. Aber die Guillotine war ein Symbol. Sie stand für das neue, revolutionäre Recht, das für alle gleich sein sollte. Paradoxerweise griff man dabei auf ältere Vorbilder zurück. Schon der Maler Lucas Cranach der Ältere (1472-1553) lässt seinen heiligen Matthäus unter einem Fallbeil sterben. Und in Schottland wurden Hinrichtungen seit 1564 mit einem Gerät namens Scottish Maiden vorgenommen – der Schottischen Jungfrau.

Eine Enthauptungsmaschine (machine à décapiter) hatte viele Theoretiker beschäftigt, zuletzt einige Aufklärer des 18. Jahrhunderts, die eine humane Tötungsmethode forderten. Kurz und schmerzlos sollten Verurteilte ins Jenseits befördert werden, um ihnen unnötige Qualen bei der Hinrichtung zu ersparen. Allzu oft kam es nämlich vor, dass der Scharfrichter mehrere Axt- beziehungsweise Schwerthiebe benötigte, um den Kopf vom Rumpf zu trennen. Die Guillotine sollte derartigen grausamen Urteilsvollstreckungen ein Ende bereiten. Ein »Nullpunkt der Marter« also, wie Michel Foucault meinte? Man sah es damals zumindest so.

Am Ende diskutierten der Arzt Joseph-Ignace Guillotin (1738-1814) und der königliche Leibarzt Antoine Louis (1723-1792) die Frage mit Charles-Henri Sanson, dem Scharfrichter von Paris. Schließlich schlug Guillotin am 1. Dezember 1789 der Nationalversammlung folgenden Gesetzesartikel vor: »In allen Fällen, in denen das Gesetz die Todesstrafe für eine angeklagte Person vorsieht, soll die Strafart die gleiche sein, welches Verbrechen sie sich auch immer schuldig gemacht hat; der Verurteilte soll enthauptet werden; dies geschieht mit Hilfe einer einfachen Mechanik.« Die dahinterstehende Intention: Der Gleichheitsgrundsatz der Revolution sollte auch bei Hinrichtungen von Straftätern angewendet werden.

Die »Maschine« | Vorläufer der Guillotine gab es schon lange vor dem ausgehenden 18. Jahrhundert. Doch erst in der Französischen Revolution wurde das perfektionierte Hinrichtungsgerät zum öffentlich eingesetzten Werkzeug der Schreckensherrschaft.

Guillotin setzte sich als Abgeordneter der verfassungsgebenden Nationalversammlung (assemblée constituante) für eine Strafrechtsreform ein, die an die Stelle der herkömmlichen Exekutionsarten (Hängen für Diebe, Verbrennen für Ketzer, Vierteilen für Hochverräter, Enthauptung durch das Schwert für Adlige) eine »humanere« Vollstreckung des Todesurteils setzen sollte. Sein Argument schien einleuchtend: Exekutionen wären künftig nicht mehr grausam, sondern »confortable«, da der Todeskandidat nur »un souffle frais« (»einen frischen Lufthauch«) verspüren würde. Immer wieder zitiert wird sein Satz, gesprochen vor der Nationalversammlung: »Die Maschine wirkt wie der Blitz, der Kopf rollt, das Blut sprudelt, der Mensch ist nicht mehr.« Scharfrichter Charles Henri Sanson (1739-1806) war von der Idee einer mechanisierten Enthauptung sehr angetan, weil es – wie er aus Erfahrung wusste – bei der herkömmlichen Vollstreckungsart mit Beil oder Schwert immer wieder zu Komplikationen kam, etwa wenn der Delinquent im Angesicht des Todes »nicht die nötige Ruhe bewahrte« und der Henker dann »mehrere Streiche« benötigte. Zudem, meinte Sanson, sei die bisherige Methode wenig wirtschaftlich, da »nach jeder Exekution das Schwert unbrauchbar« werde.

Leine Los, Kopf ab

Und so gab die Nationalversammlung ein Gutachten beim königlichen Leibarzt und ständigen Sekretär der Akademie für Chirurgie, Antoine Louis, in Auftrag, das allerdings bis zum 17. März 1792 auf sich warten ließ. Schließlich legte der königliche Leibarzt einen Entwurf vor, der das Fallbeil von Halifax zum Vorbild hatte, einen Prototyp des mechanischen Tötens aus dem späten 13. Jahrhundert. Inzwischen hatte der deutsche Klavierbauer Tobias Schmidt im Auftrag der chirurgischen Akademie ein Modell angefertigt. Erste Tests an Schafen waren viel versprechend, auch wenn sie vereinzelt noch Schwächen zeigten.

So kam es hier und da vor, dass die Hälse der tierischen Versuchsobjekte nicht vollständig durchtrennt wurden. Erst als man das Gewicht des Rammbocks (lunette), an dem die Klinge (couperet) befestigt war, auf 40 Kilogramm erhöhte, ließ sich die gewünschte Wirkung bei der zukünftigen Exekutionsapparatur erzielen. Weitere Durchschlagskraft erreichte man dadurch, dass man die halbrunde Klinge durch eine schräge Schneide ersetzte und deren Gewicht auf sieben Kilogramm erhöhte. Versuche an Leichen erbrachten den erwünschten Effekt, die Maschine war einsatzbereit.

Technisch ist die Guillotine geradezu banal: ein Gestell mit einem drei Meter hohen Rahmen, von dessen oberem Querbalken das dreieckige, rund 50 Kilogramm schwere Fallbeil hängt. Darunter wird der Delinquent bäuchlings auf eine brusthohe Platte (bascule) geschnallt, die nach vorne gekippt wird, während sich um seinen Nacken zwei halbkreisförmig ausgeschnittene Holzbretter zur Justierung des Kopfes schließen. Das Beil wird an einem Seil über Rollen und durch Führungsschienen nach oben gezogen und rastet am Querbalken in einen Haltemechanismus ein. Zieht der Scharfrichter einen Hebel, löst sich die Sperre, die Klinge stürzt senkrecht herab und durchtrennt den Hals des Delinquenten. Der Kopf fällt vorne hinaus in einen bereitgestellten Korb.

Am 20. März 1792 führt die Nationalversammlung die Apparatur ein. Zuerst soll sie nach ihrem Konstrukteur »Louison« oder »Louisette« heißen, aber Guillotine klingt besser – und tatsächlich hatte der Doktor das Gerät vorgeschlagen. Ob der unfreiwillige Namensgeber darüber glücklich war? Der französische Schriftsteller Victor Hugo (1802-1885) sinniert später: »Es gibt unglückliche Menschen. Christoph Kolumbus kann seiner Entdeckung nicht seinen Namen geben, Guillotin bringt den seinen nicht mehr von ihr los.«

Premiere hat die neue revolutionäre Errungenschaft am 25. April auf der Place de Grève. Der Verurteilte: Nicolas-Jacques Pelletier, ein Dieb, der 800 Livres in Assignaten geraubt hat. Die »Chronique de Paris« schrieb darüber am folgenden Tag: »Gestern, um halb vier Uhr nachmittags, wurde zum ersten Mal die Maschine zum Einsatz gebracht, die dazu bestimmt ist, den zum Tode verurteilten Kriminellen den Kopf abzuschneiden […]. Diese Maschine ist den anderen Bestrafungsarten zu Recht vorgezogen worden: Sie befleckt nicht die Hand des Menschen mit einem Mord an seinesgleichen, und die Geschwindigkeit, mit der sie den Schuldigen trifft, entspricht eher dem Geist des Gesetzes, das oft streng sein kann, aber niemals grausam sein darf.« Vier Monate später findet dann die erste politische Hinrichtung statt.

Rasiermesser der Nation

Es ist gleichzeitig die Ouvertüre zur Radikalisierung der Revolution. Die Guillotine, ursprünglich konzipiert, um die Todesstrafe humaner und gerechter zu machen, verkommt zum reinen Terrorinstrument. Die Mechanik funktioniert gut: Nach einiger Übung braucht Henker Charles-Henri Sanson (1739-1806) kaum mehr als 60 Sekunden pro Kopf. 1793 wird er binnen 26 Minuten einmal 21 Girondisten in den Tod schicken – sein Rekord. Unentwegt rollen die Todeskarren zur Place de la Revolution, der heutigen Place de la Concorde, beladen mit den Feinden der jungen Republik.

Und wer ist nicht alles Feind in diesen Tagen der Jakobinerdiktatur. Ein zeitgenössischer Chronist notiert, unter dem »Rasiermesser der Nation« fielen die Köpfe »mit der Einförmigkeit der Ähren von der Sense des Schnitters«. Wie Chirurgen schneiden die Revolutionäre am Volkskörper herum: leidenschaftslos, gründlich, kalt. Schließlich gilt es, die verfaulten Stellen herauszuoperieren, um den Rest der Gesellschaft zu retten. So rechtfertigt Camille Desmoulins (1760-1794), der die Bürger im Juli 1789 zum Sturm auf die Bastille aufgerufen hat, vier Jahre später die blutigen Eingriffe des Staats – medizinisch nämlich. Erst ein »Aderlass«, so der Aktivist der ersten Stunde, reinige »den politischen Körper von Gift«, befinde sich doch das Laster im Blut. Und ehe nicht alle Feinde der Revolution vernichtet seien, so die Logik der Fanatiker, werde diese nicht erfolgreich sein. »Unreines Blut tränke unsere Ackerfurchen«, heißt es in der Marseillaise, jenem von Claude Joseph Rouget de Lisle 1792 komponierten martialischen Kampflied, das den Takt der Revolution vorgibt.

Das revolutionäre Paris veränderte sein Gesicht mit dem Sturm auf die Tuilerien, das frühere Stadtschloss der französischen Herrscher, am 10. August 1792. Im September tritt das neu gewählte Parlament, der Nationalkonvent, zusammen, in dem nur noch Anhänger der Republik vertreten sind. Es verkündet die Abschaffung des Königtums und ruft die Republik aus. Damit beginnt eine neue Epoche, in der neue Akteure die politische Bühne betreten. Nicht mehr die besitzenden Bürger, sondern die einfachen Leute diktieren fortan das Geschehen. In den Sektionen der Pariser Kommune organisieren sich die Radikalen der Hauptstadt und verlangen soziale Gerechtigkeit.

Um das neue Frankreich vor dem alten zu schützen, richten die neuen Volksvertreter ein Revolutionstribunal ein – ein Sondergericht zur Verurteilung von Gegnern der Revolution. Es ist eine unmittelbare Reaktion auf die real existierende Gefahr einer aristokratischen Konterrevolution, die ins Ausland geflohene Adlige, wie der Comte d'Artois, der jüngere Bruder des Königs, anzetteln. Doch der Feind sitzt nach Ansicht der neuen Herren von Paris auch im Inneren. Ihn zu enttarnen, ist die Aufgabe von Überwachungskomitees, die Verdächtige anzeigen und vor Gericht bringen sollen – Kollaborateure, korrupte Beamte oder Spekulanten, die Gewinn aus dem Elend des Volkes ziehen.

Ideologische Scharfmacher beherrschen fortan das Geschehen. Männer wie der wortgewaltige Publizist Jean-Paul Marat, der »Herold des Schreckens«, der sich als der »gerechte Zorn des Volkes« bezeichnet. Oder Jacques Roux, ein radikaler Priester und Anführer der Parteiung der so genannten Enragés (»die Zornigen«). Sein Appell: »Es ist an der Zeit, die Völker der Erde zu lehren, dass die Nationen nicht länger Eigentum der Könige sind, dass allein die Tugend den Menschen unverletzlich macht, dass aber das Verbrechen die Tyrannen auf das Blutgerüst bringt.« Wenig später, am 21. Januar 1793, stirbt Ludwig XVI., Symbolfigur des verhassten Ancien régime, unter der Guillotine.

Mit seiner Hinrichtung vollzieht sich Robespierres Aufstieg zum mächtigsten Mann der Republik. Unter seiner Herrschaft radikalisiert sich die Revolution, wächst sich der Terror zum organisierten Bürgerkrieg aus. Der fanatische Moralist, der ganz bescheiden zwei Zimmerchen bei der Tischlerfamilie Duplay in der Rue Saint-Honoré bewohnt und Champagner als »Gift für die Freiheit« erachtet, ist ein Überzeugungstäter. »Er will die Gerechtigkeit zum Regulativ des Terrors machen und im Ideellen ersetzen, was sich im Politischen erschöpft hatte«, beschrieb der deutsche Journalist Henning Ritter (1943-2013) das Ansinnen des »Unbestechlichen«, wie man Robespierre seiner eisernen Integrität wegen nennt.

»Man muss mit dem Beil diejenigen regieren, die nicht durch die Justiz zu beherrschen sind«, gibt er den Takt vor. Damit nimmt die revolutionäre Justiz für sich in Anspruch, allein über Wohl und Wehe seiner Bürger zu entscheiden. Begründet wird diese staatliche Willkür mit der Notlage, in die die Revolution durch Krieg, Aufstände und den Zusammenbruch der Versorgung geraten ist, schreibt Berthold Seewald, Leitender Redakteur Geschichte bei der »Welt«. Das Paradoxe daran: Ausgerechnet Robespierre, ein glühender Verfechter der republikanischen Tugend und Anhänger Rousseaus, treibt die Erosion des Rechtsstaats voran.

Instrument des kollektiven Schreckens

Blut ist fortan der »Dünger der Schreckensherrschaft«. Tausende müssen in der Folgezeit »in den Korb niesen«, wie Jacques René Hébert (1757-1794), ein ultrarevolutionärer Publizist, das Sterben unter dem Fallbeil nennt. Männer und Frauen, Jung und Alt, Arme und Reiche fallen der »Terreur« zum Opfer, für die sich Robespierre maßgeblich verantwortlich zeichnet. Alles zum »Wohle der Revolution«, zu dessen Zweck am 6. April 1793 der Wohlfahrtsausschuss (Comité de salut public) gegründet wurde, das Exekutivorgan des Nationalkonvents, das die Überwachung politischer Gegner und Zwangsmaßnahmen zur »Rettung der Revolution« gegen so genannte »Republikfeinde« anordnen konnte. Einen Monat zuvor, am 10. März, war bereits das Revolutionstribunal eingerichtet worden, gegen dessen Urteile keine Berufung möglich waren.

Damit war der staatlichen Willkür Tür und Tor geöffnet, die »Hydra der Anarchie entfesselt«, wie ein gemäßigter Abgeordneter der Nationalversammlung die mit der Einrichtung des Wohlfahrtsausschusses einhergehende Radikalisierung der Revolution beschrieb. Der zweite Schlag gegen die »Feinde der Republik« folgte am 17. September mit dem Gesetz gegen Verdächtige (loi sur les suspects), das die Befugnisse des Revolutionstribunals erweitert. Fortan ist es diesem erlaubt, alle Gegner der Regierung zu verhaften und ohne einen ordentlichen Prozess in Schnellverfahren zu verurteilen. Den Schlussstrich unter die Willkürjustiz zieht das »Junigesetz« von 1794, das die Todesstrafe gegen »Feinde des Volkes« verbindlich festschreibt.

Robespierre, der »Blutrichter der Revolution« | Der Name Maximilien Robespierre ist heute untrennbar mit der Schreckensherrschaft verbunden – und mit der Guillotine. Dabei war Robespierre in den ersten Jahren der Französischen Revolution eher als politischer Moralist aufgefallen. In der Krise der Revolution 1793 wurde der Jakobiner als Mitglied des Wohlfahrtsausschusses dann zunehmend radikal und forcierte das unerbittliche Vorgehen gegen alle »Feinde der Revolution«. Im Juli 1794 landete er schließlich selbst unter dem Fallbeil.

Wen es treffen kann, präzisiert eine Richtlinie der Pariser Stadtverwaltung: Bürger, die den Treffen ihrer Stadtversammlungen fernbleiben; Personen, die »voller Mitleid für das Los der Verurteilten sind«; oder solche, »die zwar nichts gegen die Freiheit unternommen haben, aber auch nichts für sie«. Nachsichtige (indulgents), die den Schrecken beenden wollen, und solche, die nicht offen ihre patriotische Gesinnung zeigen, gelten fortan als verdächtig. Selbst Passivität gilt als Verbrechen. »Ihr habt nicht nur die Verräter, sondern auch die Gleichgültigen zu bestrafen […], also jeden, der in der Republik dahinlebt und nichts für sie leistet«, fordert der jakobinische Scharfmacher Saint-Just.

Die demonstrative Diktatur sollte alle Gegner abschrecken und sämtliche Zweifler und Zögernden einschüchtern. Die Guillotine wird somit zum Werkzeug der Fanatiker, zum »Instrument des kollektiven Schreckens« (François Furet). Die »Terreur« der radikalen Mitglieder des Wohlfahrtsausschusses geriet, wie der französische Historiker Michel Vovelle treffend formuliert hat, zum Versuch, »der Angst vor konterrevolutionären Verschwörungen durch eine kontrollierte Angst zu begegnen«; die Angst, die man allen Feinden der Revolution zur Abschreckung einflößen wollte. Ganz nach dem Motto Robespierres: »Wenn die Aufgabe der Volksregierung im Frieden die Tugend ist, so besteht die Aufgabe der Volksregierung während der Revolution zugleich in der Tugend und dem Terror.« Oder, wie Saint-Just befand: »Was die Republik ausmacht, ist die vollständige Vernichtung dessen, was gegen sie ist.« Der Zweck heiligte also jedes Mittel, um den Motor der Revolution am Laufen zu halten.

Auch die Presse beteiligt sich an der Hexenjagd auf vermeintliche Verräter der Revolution. Zeitungen mit viel sagenden Namen wie »Der Überwacher«, der »Denunziant«, »Der hellsichtige Blinde« oder der von Jean-Paul Marat herausgegebene »Volksfreund« (L'Ami du Peuple) wetteifern um die Aufdeckung des »heimtückischen Verrats«, indem sie unbescholtene Bürger mit fragwürdigen Anschuldigungen überziehen. Oft genügte nur der Verdacht, verdächtig zu sein, um den Beschuldigten ans Messer zu liefern. Hier zeigt sich der investigative Journalismus von seiner dunkelsten Seite.

Endstation Guillotine

Dass dabei auch viele Unschuldige zu Tode kamen, wurde im Namen des Gemeinwohls billigend in Kauf genommen. Es sei besser, zuckt das aufgewühlte Frankreich in diesen Tagen mit den Schultern, zehn Unschuldige zu köpfen, als einen Schuldigen laufen zu lassen. Im Eifer des Gefechts kann es schon einmal vorkommen, dass ein 17-jähriger Junge hingerichtet wird, weil man ihn mit seinem 55-jährigen Vater verwechselt hat; oder dass man eine Madame de Maillé nur deswegen einen Kopf kürzer macht, weil die eigentliche Angeklagte mit einem ähnlich klingenden Namen »gerade nicht zur Stelle ist«. Auch der 80-jährige Abbé de Fenelon, der in Paris eine Hilfsorganisation für Waisenkinder unterhielt und mit Politik nicht viel am Hut hatte, fand vor dem Tribunal keine Gnade.

Selbst Blinde, Taube und Gelähmte werden zu Verrätern und gefährlichen Staatsfeinden gestempelt, um den Blutdurst zu stillen: etwa Auguste Couthon, ein von der Hüfte abwärts gelähmtes Mitglied des Wohlfahrtsausschusses, dessen verkrüppelten Körper man mühsam aufs Schafott hievt. »Es war eine qualvolle Prozedur, um ihn in Seitenlage zu exekutieren«, berichtet ein Augenzeuge. Selbst die Leiche eines Verurteilten, der sich selbst umgebracht hatte, um dem Fallbeil zu entgehen, wird zur Guillotine gekarrt und dort enthauptet.

Dem Wahn der neuen Zeit, die abgeschlossen hat mit der Vergangenheit, fallen vor allem die Repräsentanten und Symbole der Monarchie zum Opfer. Unter dem Gejohle der Menge steigt seine Majestät König Ludwig XVI. als einfacher »Bürger Capet« die Stufen der Richtstätte empor, genauso wie der vormalige Pariser Bürgermeister Jean Sylvain Bailly. Ausländer erwischt es manchmal wahllos, zum Beispiel den preußischen Abenteurer Friedrich Freiherr von der Trenck, den einst Friedrich der Große wegen einer angeblichen Liaison mit seiner Lieblingsschwester Amalie neun Jahre in Ketten hielt. 67 ist der Freiherr, als man ihn wegen verräterischer Beziehungen zum Ausland anklagt und exekutiert.

Die neue Zeit weiß alles besser, sie braucht keine Wissenschaft mehr, zumindest keine, die sich mit der alten Zeit verbündet hatte. Und so stirbt auf der Guillotine Antoine Laurent Lavoisier (1743-1794), einer der bedeutendsten Chemiker des 18. Jahrhunderts – als ehemaliger Generalsteuerpächter einer der meistgehassten Männer des Ancien régime. Der Forscher hat Größe, er bittet um vier Tage Aufschub, damit er noch ein Experiment beenden kann. Gewährt wird ihm dies nicht. Gerichtspräsident Jean-Baptiste Coffinhal erwidert brüsk: »Die Republik braucht weder Gelehrte noch Chemiker.«

Zunehmend fallen der Guillotine auch Frauen zum Opfer, allen voran die vom Volk geschmähte Marie Antoinette, »Geißel und Blutsaugerin der Franzosen«. Kaum liegt ihr Haupt im Korb unter dem Fallbeil, geifert Hébert im »Le Pere de Duchesne«, der von ihm herausgegebenen revolutionären Zeitung, ihr hinterher: »Ihr verfluchter Kopf wurde endlich von ihrem Hurennacken getrennt.« Auch Marie Gouze, genannt Olympe de Gouges (1748-1793), Autorin einer »Erklärung der Rechte der Frau und Bürgerin«, endet unter dem Fallbeil. Und so widerfährt ihr, was sie stets angeprangert hat: Frauen dürften zwar nicht auf der Tribüne sprechen, hätten aber »das Recht, das Schafott zu besteigen«. Das gleiche Schicksal erleidet auch Manon Roland (1754-1793), die Frau des Innenministers Jean-Marie Roland, die sich für den Gedanken der Gleichheit der Geschlechter stark gemacht hatte und deswegen von radikalen Revolutionspamphleten als »abscheuliche Hexe« geschmäht wurde.

Die Revolution fraß zunehmend ihre eigenen Kinder. Am Ende jedoch streicht der »eiserne Windhauch« auch über die Nacken derer, die monatelang die Maschine gefüttert haben, die Dantons, Saint-Justs, Desmoulins und Robespierres. Manche der fanatischsten Eiferer zeigen einen Anflug von Menschlichkeit und Liebe wenigstens in ihren letzten Stunden, etwa Desmoulins: »Mein Kopf lässt noch, wenn er vom Rumpf getrennt ist, seine sterbenden Augen auf Dir ruhen«, schreibt er im letzten Brief an seine Frau Lucile. Das spiegelt zugleich eine seltsame Diskussion wider, die sich rund um das Schreckensinstrument entwickelt hatte: Man spekulierte ernsthaft darüber, dass der vom Rumpf getrennte Kopf bis zu 15 Minuten bei Bewusstsein bleibe, seiner eigenen Hinrichtung also beiwohnen könne.

Exportschlager der Revolution

Mit Robespierres Tod am 10. Thermidor des Jahres II findet die Revolution zurück in ihre bürgerlichen Bahnen. Die »Grande Terreur« war vorüber, das Instrument aber, mit dem die Ideologen des Schreckens regierten, blieb – und »wurde zu einem tödlichen Exportschlager der Französischen Revolution«, so der Journalist Florian Stark. Während der Napoleonischen Kriege wird die Guillotine als »Fallbeil« in die besetzten deutschen Gebiete exportiert. Am 21. November 1803 stirbt unter ihm im französischen Mainz der berüchtigte Räuberhauptmann Johannes Bückler, genannt Schinderhannes. Bald hält die »Fallschwertmaschine« überall Einzug in Europa. Selbst im Vatikan findet man Gefallen an der Erfindung aus Frankreich. Giovanni Battista Bugatti (1779-1869), Scharfrichter des Kirchenstaats, der die Verurteilten als seine Patienten bezeichnet, führte seit 1816 mit dem Segen des Heiligen Vaters insgesamt 516 Hinrichtungen mit der Guillotine durch.

Hinrichtung mit dem Schwert | Vor der Guillotine erfolgten öffentliche Hinrichtungen weniger maschinell mit dem Schwert. Gezeigt ist hier die »Exekution des Lord de Pommiers und seines Sekretärs« in Bordeaux, für die der Künstler wahrscheinlich die Hinrichtung eines Vizegrafen von Fronsac im Jahr 1338 nachempfunden hat. Vom Henker wurde für die Enthauptung große Expertise gefragt. Die Prozedur war auch kostspielig, weil das Richtschwert oft schon nach einmaligem Einsatz nicht mehr zu gebrauchen war.

In Deutschland blieb die Guillotine bis im 20. Jahrhundert im Einsatz, in der Bundesrepublik bis zur Einführung des Grundgesetzes 1949, in der DDR bis 1968 – meist als ein juristisches, manchmal auch als ein politisches Bestrafungsinstrument. Unter anderem wurden am 22. Februar 1943 Sophie und Hans Scholl im Strafgefängnis München Stadelheim enthauptet.

Auch Frankreich lässt nicht mehr von der Guillotine – nur die öffentlichen Exekutionen, zur Revolutionszeit wie Zirkusnummern inszeniert, fährt man zunehmend herunter. Hatte man bis 1870 Todesurteile auf dem so genannten Schafott, einer erhöhten Plattform, vollstreckt, ist die Guillotine fortan auf Bodenniveau gebaut. 1939 beschließt das Kabinett unter Ministerpräsident Edouard Daladier (1884-1970), alle Hinrichtungen hinter die Mauern der Gefängnisse zu verlegen. Der letzte Delinquent, der unter der Guillotine starb, war der gebürtige Tunesier Hamida Djandoubi, der seine Geliebte nach stundenlanger Folter erdrosselt hatte. Nach einem kräftigen Schluck Rum wurde er im Morgengrauen des 10. September 1977 im Gefängnis Les Baumettes in Marseille enthauptet. Dabei blieb es bis zur Abschaffung der Todesstrafe im Jahr 1981.

Update 23.7.2019: In einer früheren Version dieses Artikels war von »täglich dutzenden« Karren mit Hinzurichtenden in Paris die Rede. Diese Zahl war zu hochgegriffen und bezog sich eher auf die Gesamtzahl der Hingerichteten in Frankreich, nicht nur in der Hauptstadt. Wir haben die Passage geändert. Die Redaktion

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