Direkt zum Inhalt

Rasse im Grundgesetz: »Genetisch gesehen sind Europäer Ostafrikaner«

Von Rassen zu reden, ist Unsinn, sagt der Genetiker Johannes Krause im Interview: Wer große genetische Unterschiede finden will, muss sich nur in seinem eigenen Dorf umschauen.
Junge Männer sitzen auf demselben Ast

Der Begriff Rasse soll aus dem Grundgesetz gestrichen werden. Johannes Krause, Direktor des Max-Planck-Instituts für Menschheitsgeschichte in Jena, hat dafür gekämpft. Hier erklärt der Fachmann für die Erforschung unserer genetischen Urgeschichte, warum der Terminus beim Menschen im Gegensatz zum Tier nicht verwendet werden sollte, wieso die Menschen sich ähnlicher sind, als es optisch wirken mag,und warum Europäer eigentlich Ostafrikaner sind.

Das Bundeskabinett hat entschieden, das Wort »Rasse« aus dem Grundgesetz streichen zu wollen – sind Sie zufrieden?

Johannes Krause: Mich freut das. Mit der Jenaer Erklärung haben wir uns 2019 stark positioniert und klargestellt, dass es menschliche Rassen im biologischen Sinn nicht gibt. Rassismus hat den Begriff Rasse beim Menschen erst geschaffen. Zoologie und Anthropologie haben sich unrühmlich beteiligt. In den letzten Jahren hat aber die Genetik wie keine andere Wissenschaft dazu beigetragen, das Konzept Rasse zu widerlegen. Weil wir ja ganz deutlich gezeigt haben, dass die klare Einteilung in fünf, sieben oder in zehn unterschiedliche Populationen nicht möglich ist und dass alle Menschen nahe verwandt sind.

In den USA bezeichnet sich Kamala Harris, die erste Vizepräsidentin des Landes, als Schwarze – sie und viele Amerikaner benutzen ganz selbstverständlich das Wort »race«.

Kamala Harris kann sich selbstverständlich als zugehörig zu einer »race« bezeichnen. Der Begriff wird in den USA als sozialanthropologisches Konstrukt gebraucht. Wir haben uns gegen den biologischen Begriff beim Menschen gestellt, denn so benutzen wir ihn im Deutschen.

Johannes Krause | Johannes Krause erforscht am Max-Planck-Institut für Menschheitsgeschichte in Jena die genetische Geschichte des Menschen. Immer wieder ist der 1980 geborene »Shootingstar der Archäogenetik« maßgeblich an bahnbrechenden Entdeckungen seines Fachs beteiligt, etwa an der Erkenntnis, dass sich moderner Mensch und Neandertaler einst miteinander vermischten oder dass zeitgleich mit diesen beiden Gruppen noch eine dritte – die Denisovaner – existierte.
Krause ist 2020 zum Direktor des Leipziger Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie berufen worden, wohin seine Abteilung für Archaeogenetik im Lauf des Jahres 2021 umziehen wird.

Warum können wir im Deutschen bei Tieren, nicht aber bei Menschen von Rassen sprechen?

Rassen haben wir bei Haustieren. Menschen haben über mehrere hundert Jahre immer eng verwandte Tiere, bis hin zu Geschwistern, miteinander verpaart und so jeweils Populationen gezüchtet, die untereinander nahe verwandt sind. Zwischen zwei Schäferhunden finde ich deshalb kaum genetische Unterschiede, aber zwischen Schäferhund und Dackel viele. So etwas gibt es beim Menschen nicht.

Deutliche genetische Unterschiede existieren doch anscheinend auch zwischen Menschen. Jemand, der aus dem Kongo stammt, sieht eindeutig anders aus als einer, der deutsche Vorfahren hat.

Man muss nur zum Make-up-Regal in der Drogerie gehen, um zu sehen: Es gibt tausende unterschiedliche Hautfarben bei Menschen. Was Sie jetzt genannt haben, sind die zwei Extreme der Pigmentierung, Nordeuropa, wo wir helle, und Zentralafrika, wo Menschen sehr dunkle Haut haben. Dazwischen gibt es so ziemlich alle Schattierungen – und es gibt keine klare Grenze. Die Unterteilung in Schwarz und Weiß ist unsinnig, denn jemand, der aus Sizilien stammt, hat vielleicht dunklere Haut als jemand aus der Bevölkerungsgruppe der Khoisan in Südafrika. Es ist also schon mal verrückt, dass man versucht, Menschen anhand von Hautfarben einzuteilen.

Aber es könnte andere Unterschiede im Erbgut geben?

Was die Genetik angeht, gibt es keine Grundlage für Rassen. Die Menschen Ostafrikas sind näher mit Europäern verwandt als mit den Westafrikanern – genetisch gesehen sind Europäer Ostafrikaner. Wenn man die Welt aufteilt in Afrikaner, Europäer und Asiaten, macht das überhaupt keinen Sinn. In Wirklichkeit ist die genetische Diversität innerhalb Afrikas viel größer als im Rest der Welt.

Trotzdem gibt es doch gemeinsame Merkmale auf den Erdteilen – nehmen wir die mitteleuropäischen Langnasen und die mandelförmigen Augen von Asiaten.

Ich habe zum Beispiel auch leicht mandelförmige Augen, aber meine Vorfahren, das weiß ich ziemlich gut durch genetische Tests, haben in den letzten paar tausend Jahren in Mitteleuropa gelebt. Umgekehrt gibt es in China zum Beispiel die Uiguren, die häufig keine mandelförmigen Augen haben, da sie sowohl westeurasische wie auch osteurasische Gene in sich tragen. Das äußere Erscheinungsbild, der Phänotyp, verläuft in Gradienten. Nur wenn man sich zwei extreme Enden des Gradienten anschaut, gibt es Unterschiede. Doch selbst diese sind meist nicht fixiert, es sind nur Häufigkeitsunterschiede. In Afrika südlich der Sahara haben 99,9 Prozent der Menschen nicht die Gene, die zu heller Haut führen, die wiederum die Mehrzahl der Nordeuropäer in sich tragen.

Es wäre ja auch ungünstig, mit weißer Haut dort zu leben, wo die UV-Einstrahlung am größten ist.

Wenn im Kongo ein Mensch geboren wird mit dem gleichen Gen für weiße Haut, das die meisten Europäer in sich tragen, dann stirbt er wahrscheinlich früh an Hautkrebs und hätte damit zwangsläufig weniger Nachkommen. Die UV-Strahlung ist einfach zu stark in Äquatornähe. Es gibt ja durchaus Menschen mit Albinismus in Zentralafrika, oft werden sie verstoßen, furchtbare Schicksale. So werden sie kulturell behindert, Nachkommen zu haben. Aber auch biologisch sind sie schlecht angepasst und konnten sich definitiv schlechter fortpflanzen als Menschen mit stärkerer Pigmentierung und damit besserem UV-Schutz. Dieser Selektionsdruck führt dazu, dass Genvarianten für Hautfarben stark unterschiedlich verteilt sind. Aber es gibt natürlich nur wenige Gene, die überhaupt unter so starker Selektion stehen. Andere tauchen dann beispielsweise bei 40 Prozent der Europäer auf und in Afrika zu 60 Prozent.

Kann man quantifizieren, wie stark sich das Genom von Menschen aus aller Welt heute unterscheidet?

Wenn ich Ihre und meine DNA vergleiche, dann finde ich ungefähr 4,1 oder 4,2 Millionen Unterschiede. Vergleiche ich Ihre Erbsubstanz mit einem Menschen, der aus Peking stammt, dann machen wir etwa 4,3 Millionen voneinander verschiedene Stellen aus. Das heißt, 90 Prozent der Unterschiede finden sich schon in der Population selbst – in jedem Dorf, wenn zwei Leute nicht miteinander verwandt sind. Dabei ist es nicht etwa so, dass jeder Chinese oder Afrikaner einen fixierten Unterschied hat, der ihn von allen Europäern unterscheidet. Unter den drei Milliarden Positionen des menschlichen Genoms gibt es tatsächlich keine Stelle, an der etwa alle Europäer ein A haben und alle Asiaten oder Afrikaner ein C. Es gibt nicht nur kein Gen, das jeweils Asiaten, Afrikaner und Europäer unterscheidet, es gibt nicht mal eine einzige unterschiedliche Stelle im Genom. Es gibt die gleichen Varianten überall, nur in manchen Regionen eben seltener als in anderen. Als Menschheit eint uns also viel mehr, als uns trennt.

»Vor 8000 Jahren war die Haut der damaligen Europäer wahrscheinlich so dunkel wie heute bei Menschen südlich der Sahara – sie waren Schwarze«

Aber diese Gemeinsamkeiten sind weniger gut sichtbar als die Unterschiede in der Hautfarbe.

Die Pigmentierung ist natürlich das, was uns Menschen als Erstes ins Auge fällt. Wenn es keine Unterschiede in den Hautfarben geben würde, wäre vielleicht niemand auf die Idee gekommen, die Menschen in Rassen einzuteilen.

Vielleicht hätten die Europäer andere Unterscheidungsmerkmale gefunden, um zu rechtfertigen, Menschen in den Kolonien unterdrücken zu können?

Gut möglich. Insbesondere die dunkle Hautfarbe wurde als Rechtfertigung benutzt, Afrikaner zu versklaven. Dabei war vor 8000 Jahren die Haut der damaligen Europäer wahrscheinlich so dunkel wie heute bei Menschen südlich der Sahara – sie waren Schwarze.

Warum ist die Hautfarbe der Europäer mit der Zeit heller geworden?

Der Ureuropäer lebte Jahrtausende als Jäger und Sammler. Als vor 7000 Jahren frühe Ackerbauern aus Anatolien einwanderten, hatten diese schon hellere Haut als die Ureinwohner Europas. Ihr Teint war wahrscheinlich anfangs so, wie wir es heute noch von Bewohnern ums Mittelmeer kennen. Die Menschen aßen nun längst nicht mehr so viel Fleisch und Fisch, sondern nahmen viele pflanzliche Produkte aus der Landwirtschaft zu sich, in denen kaum Vitamin D enthalten ist. Mit hellerer Haut kann man leichter mittels Sonnenlicht Vitamin D produzieren, deshalb bot sie einen Selektionsvorteil. Tatsächlich sind die hellsten Menschen auf der Welt heute die Skandinavier. Weil sie sich am mit Abstand nördlichsten Punkt der Welt niedergelassen haben, an dem Ackerbau betrieben wird.

Auch die Zeit der anatolischen Ackerbauern hielt nicht ewig. Ein beträchtlicher Teil des Erbguts heutiger Europäer geht auf eine weitere Einwanderungsbewegung zurück. Wer waren diese Menschen?

Sie stammten aus der osteuropäischen Steppe, und ihre Vorfahren gehörten zur Jamnaja-Kultur, sie hielten Vieh auf Weideland, erfanden Rad und Wagen und lebten als Nomaden. Vor 4900 Jahren begannen sie sich mit ihren Rinderherden nach Westen auszubreiten. Interessanterweise dauert es nur 100 bis 200 Jahre, bis auch sie als Ackerbauern leben. Genetisch sind sie allerdings ganz anders als die Menschen vorher. Es immigrierten sechs- bis siebenmal mehr Männer als Frauen aus dem Osten. Dadurch bekommen wir eine ziemlich große Verschiebung – ungefähr 70 bis 80 Prozent der Gene der Mitteleuropäer gehen zu jener Zeit auf die Einwanderer zurück. Früher nannte man sie »Streitaxtkultur« oder zur Nazizeit »Arier« – man dachte lange, sie seien aus dem Norden gekommen, aber sie kamen aus Südrussland.

Solche Episoden der Frühgeschichte nähren bei manchen Ängste vor der Migration. Rechte Parteien beschwören die Gefahr einer »Überfremdung« und von »Bevölkerungsaustausch« herauf.

Die Angst vor einem vermeintlichen Bevölkerungsaustausch ist schon rechnerisch Unsinn. Um eine genetische Veränderung herbeizuführen, wie vor 5000 Jahren durch die Einwanderung aus der Steppe, müsste eine Milliarde Menschen etwa aus Indien oder dem Nahen Osten nach Deutschland einwandern. Sicherlich hat Migration in der Frühgeschichte zu großen Veränderungen geführt. Sie lief auch selten komplett friedlich ab, aber ohne Migration wäre der Kontinent nicht so weit gekommen, wie er heute ist. Quasi alle Innovationen kamen durch die Einwanderer – der Austausch von Information, Waren und auch von Menschen, die diese Innovation dann etablieren, ist ein Erfolgsmodell. Ein urzeitliches Europa ohne Migration wäre ein menschenleeres Europa gewesen, mit einer beeindruckenden Flora und Fauna immerhin.

Schreiben Sie uns!

Wenn Sie inhaltliche Anmerkungen zu diesem Artikel haben, können Sie die Redaktion per E-Mail informieren. Wir lesen Ihre Zuschrift, bitten jedoch um Verständnis, dass wir nicht jede beantworten können.

Partnerinhalte

Bitte erlauben Sie Javascript, um die volle Funktionalität von Spektrum.de zu erhalten.