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News: Ratten für die Pest

Der Pest fallen weltweit in jedem Jahr rund 4 000 Menschen zum Opfer. Glaubt man den Computermodellierungen englischer Forscher, dann birgt gerade die massenhafte Bekämpfung von Ratten die Gefahr des Seuchenausbruchs. Denn die Flöhe übertragen den Krankheitserreger nur dann auf den Menschen, wenn es an Rattenblut mangelt.
In Hameln fochten Mäus und Ratzen
Bey hellem Tage mit den Katzen,
Es war viel Noth, der Rath bedacht,
Wie andre Kunst zuweg gebracht.

Da fand sich ein der Wundermann,
Mit bunten Kleidern angethan,
Pfif Ratz und Mäus zusamm ohn Zahl,
Ersäuft sie in der Weser all.

Der Rattenfänger von Hameln, Gebrüder Grimm

Dass der Rat der Stadt den Fänger für sein Werk nicht bezahlen wollte, ist eine andere Geschichte. Sein Fehler war, den Teufel in Gestalt der Pest mit dem Beelzebub austreiben zu wollen, denn die Ratten waren nicht die eigentliche Ursache für den schwarzen Tod. Den überträgt vielmehr das Bakterium Yersinia pestis, und das ist bei seiner Verbreitung wiederum auf Flöhe angewiesen, die bevorzugt vom Blut der Ratten leben. Bevorzugt! Denn ist das Verhältnis zwischen Ratten und Flöhen ausgeglichen, meiden letztere das menschliche Blut. Die Gefahr des Ausbruchs einer Seuche ist gering. Doch wenn die Rattenpopulation mit einem Mal stark dezimiert wird – und damit der Lebensraum der Flöhe – dann nehmen die Insekten auch mit dem Menschen vorlieb.

Zu diesem Ergebnis kamen Matt Keeling vom Department of Zoology und Chris Gilligan vom Department of Plant Sciences der Cambridge University indem sie die Populationsdynamik von Ratten und Flöhen im Computer modellierten. Dem zu Grunde lagen vier verschiedene Schritte der Krankheitsübertragung: Zunächst nimmt der Floh über das Blut einer Ratte den Erreger in sich auf. Nach dem Tod der Ratte macht sich der Floh auf die Suche nach einem neuen Opfer. Das findet er entweder unter den Ratten oder bei zu geringer Populationsdichte unter den Menschen. Dieses Regelwerk lässt sich in einfacher Art und Weise durch Differentialgleichungen beschreiben, mit deren Hilfe die Forscher die potenzielle Gefahr einer Epidemie abschätzen konnten. Der Vergleich ihres Modells mit historischen Daten aus London während des 17. Jahrhunderts offenbarte, dass diese Mechanismen Ursache für die langen Perioden zwischen den Epidemien sein können. Die Erreger bleiben in der Rattenpopulation erhalten und bedrohen den Menschen nur, wenn die Nagetiere drastisch reduziert wurden (Nature vom 19 Oktober 2000).

Demnach können die Erreger auch in sehr kleinen Populationen von vielleicht 60 000 Ratten überleben, und erst wenn viele von ihnen Massenvergiftungen zum Opfer fallen, breitet sich Yersinia pestis auch auf den Menschen aus. Das heißt aber auch, dass der Kampf gegen die Ratten nach dem Ausbruch der Seuche wenig Sinn hat, besser wäre es, den Tieren nun nicht mehr nachzustellen. Nur dann finden die Flöhe genügend Nahrung bei ihren bevorzugten Opfern.

Die Pest ist in weiten Teilen der Welt ausgerottet, dennoch fordert sie immer noch in jedem Jahr rund 4 000 Opfer. Seit dem Altertum war sie eine der schwersten und häufigsten Epidemien. Der schlimmste Ausbruch wütete in Europa von 1347 bis 1352, als ihr rund 25 Millionen Menschen zum Opfer fielen – ein Drittel der Bevölkerung. In unseren Tagen bilden Bakterienstämme zunehmend Resistenzen gegen antibiotische Arzneien aus. Keeling und Gilligan glauben, dass nur die langfristige Kontrolle der Rattenpopulationen gegen die Pest wirken kann, aber auch dann ist ein erneuter Ausbruch nicht auszuschließen. Das Engagement eines Rattenfängers sollte man sich dann allerdings sehr gut überlegen.

Siehe auch

  • Quellen

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