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Raumfahrt: Wie spät ist es auf dem Mond?

Zukünftige Mondsiedlungen und Missionen werden sich nach einer gemeinsamen Mondzeit richten müssen. Ihre Beziehung zur Weltzeit könnte kompliziert werden.
Die Erde, die über dem Mondhorizont aufsteigt, aufgenommen von Apollo 11.
Der Aufgang der Erde vom Mond aus gesehen. Die Raumfahrtnationen planen so viele Aktivitäten auf dem Erdtrabanten, dass die Einführung einer eigenen Mondzeit notwendig wird.

Die Erforschung des Mondes wird im kommenden Jahrzehnt neuen Aufschwung erleben – mit Dutzenden von Missionen und Plänen zur Errichtung permanenter Stützpunkte. Diese Vorhaben bringen unzählige Herausforderungen mit sich. Eine davon ist eine subtile, aber grundlegende Frage: Wie spät ist es auf dem Mond? Weltweit arbeiten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, die sich mit Maßen und deren Messung beschäftigen, Metrologen genannt, daran, eine Antwort zu finden.

»Wir haben gerade erst damit begonnen, uns mit dieser Frage zu beschäftigen«, sagt Cheryl Gramling, eine Raumfahrtingenieurin am Goddard Space Flight Center der US-amerikanischen Raumfahrtbehörde NASA in Greenbelt, Maryland.

Der Mond verfügt derzeit über keine unabhängige Zeit. Jede Mondmission verwendet ihre eigene Zeitskala, die durch das jeweilige Team auf der Erde mit der koordinierten Weltzeit (englisch: universal time coordinated, UTC) verknüpft wird – dem Standard, nach dem die Uhren auf der Erde gestellt werden. Diese Methode ist jedoch relativ ungenau, und die Raumfahrzeuge, die den Mond erforschen, synchronisieren die Zeit nicht untereinander. Dieses Vorgehen funktioniert, solange nur einige wenige unabhängige Missionen auf dem Mond unterwegs sind, aber es wird zum Problem, wenn mehrere Raumfahrzeuge zusammenarbeiten. Zudem wollen die Raumfahrtagenturen die Missionen künftig auch mit Hilfe von Satellitennavigation verfolgen, die auf präzise Zeitsignale angewiesen ist.

Es ist unklar, wie eine Universalzeit auf dem Mond aussehen könnte. Die Uhren auf der Erde und auf dem Mond ticken auf Grund der unterschiedlichen Gravitationsfelder der beiden Körper unterschiedlich schnell. Die offizielle Mondzeit könnte auf einem Uhrensystem basieren, das mit der UTC-Zeit synchronisiert ist, oder sie könnte unabhängig von der Erdzeit sein.

Diskussion um die Definition

Vertreter von Raumfahrtagenturen und akademischen Organisationen aus der ganzen Welt haben sich im November 2022 im Weltraumforschungs- und Technologiezentrum der Europäischen Weltraumorganisation (ESA) im niederländischen Noordwijk getroffen, um mit der Ausarbeitung von Empfehlungen für die Definition der Mondzeit zu beginnen.

»Entscheidungen müssen bald getroffen werden«, sagt Patrizia Tavella, Leiterin der Abteilung »Zeit« des Bureau Internationale des Poids et Mesures in Sèvres in Frankreich. Wird keine offizielle Mondzeit eingeführt, müssten Raumfahrtagenturen und Privatunternehmen ihre eigenen Lösungen finden, sagt sie. »Deshalb wollen wir jetzt ein Zeichen setzen und sagen: Lasst uns zusammenarbeiten, um eine gemeinsame Entscheidung zu treffen.«

Satelliten zur Standortverfolgung

Die Dringlichkeit, eine Mondzeit einzuführen, ergibt sich aus den Plänen, ein eigenes globales Satellitennavigationssystem (GNSS) für den Mond zu schaffen. Das ist vergleichbar mit GPS und anderen Satellitennavigationsnetzen, die eine präzise Standortbestimmung auf der Erde ermöglichen. Die Raumfahrtagenturen planen, dieses lunare GNSS etwa ab dem Jahr 2030 aufzubauen. Die ESA hat auf ihrer Ministerratstagung am 22. und 23. November 2022 in Paris ein Projekt zur Satellitennavigation auf dem Mond namens »Moonlight« genehmigt. Ein ähnliches Vorhaben mit der Bezeichnung »Lunar Communications Relay and Navigation Systems« wurde von der NASA im vergangenen Januar bekannt gegeben.

Bislang haben die Mondmissionen ihre Standorte mit Hilfe von Funksignalen bestimmt, die zu festgelegten Zeiten an große Antennen auf der Erde gesendet wurden. Aber bei dutzenden geplanten Missionen »reichen die Ressourcen einfach nicht aus, um alle abzudecken«, sagt Joel Parker, ein Ingenieur, der im Goddard Center an der Mondnavigation arbeitet.

In einem ersten Schritt wollen ESA und NASA ab dem Jahr 2024 versuchen, Positionen auf dem Mond mit Hilfe der schwachen Navigationssignale zu bestimmen, die die Satelliten in der Erdumlaufbahn aussenden. Als Nächstes planen die Koordinatoren der Mond-GNSS-Projekte, spezielle Satelliten um den Mond herum zu positionieren, von denen jeder seine eigene Atomuhr enthält. Ein Empfänger, zum Beispiel auf der Mondoberfläche, wird dann seine Position anhand der Zeit bestimmen, die die Satellitensignale benötigen, um ihn zu erreichen. Die ESA plant eine anfängliche Konstellation von vier Raumfahrzeugen, die die Navigation am Südpol des Mondes ermöglichen sollen. Dort befindet sich laut Jörg Hahn, einem Ingenieur des Moonlight-Projekts, ein Großteil des Wassers auf dem Mond und er ist ein wichtiges Ziel für die Forschung. Mondmissionen bräuchten eine offizielle Mondzeit, um kooperieren und kommunizieren zu können, sagt Hahn. »All das muss sich auf eine Zeitreferenz beziehen, sonst herrscht Chaos und die Dinge funktionieren nicht.«

Eine weitere offene Frage sei, ob Astronauten die universelle Mondzeit tatsächlich überall auf dem Mond verwenden würden. Obwohl die Mondzeit die offizielle Zeitskala bliebe, könnten ihre Nutzer sie, wie auf der Erde, in Zeitzonen einteilen wollen, die sich an der Position der Sonne am Himmel orientieren. Dies sei weniger eine Frage der Metrologie als vielmehr eine der Konvention. »Wenn jemand wirklich dort auf dem Mond lebt, wäre das sinnvoll«, sagt Hahn.

»Das ist ein Paradies für Experten der Relativitätstheorie, da man so viele Faktoren berücksichtigen muss«Patrizia Tavella, Leiterin der Abteilung »Zeit« des Bureau Internationale des Poids et Mesures

Die Definition der Mondzeit ist nicht einfach. Obwohl die Sekunde überall gleich definiert ist, besagt die allgemeine Relativitätstheorie, dass die Uhren in stärkeren Gravitationsfeldern langsamer ticken. Die Anziehungskraft des Mondes ist schwächer als die der Erde. Für einen Beobachter auf der Erde geht daher eine Uhr auf dem Mond schneller. Gramling schätzt, dass eine Monduhr in 24 Stunden etwa 56 Mikrosekunden schneller ticken würde. Im Vergleich zu einer Uhr auf der Erde würde sich die Geschwindigkeit auf Grund der Mondrotation auch je nach Position auf der Mondoberfläche geringfügig ändern, sagt Tavella. »Das ist ein Paradies für Experten der Relativitätstheorie, da man so viele Faktoren berücksichtigen muss.«

Für die Festlegung eines Mondstandards, mit dem alle Uhren verglichen werden, müssen mindestens drei Hauptuhren installiert werden. Diese müssen im natürlichen Rhythmus des Mondes ticken, und ihre Ergebnisse werden von einem Algorithmus kombiniert, um eine genauere virtuelle Uhr zu erzeugen.

Was dann geschieht, hängt von den Entscheidungen der Metrologieexperten ab. Sie könnten beschließen, die Mondzeit auf die koordinierte Weltzeit UTC zu gründen. In diesem Fall würde die virtuelle Mondzeit regelmäßig mit der irdischen UTC-Zeit synchronisiert werden. Zwischen den Synchronisationen würden die Hauptuhren auf dem Mond die Zeit bis zur nächsten Synchronisation anzeigen. Dies hat den Vorteil, dass es für die Nutzer auf der Erde einfach ist.

Die Alternative ist, die virtuelle Mondzeit als unabhängige, kontinuierliche Zeit des Mondes zu verwenden und ihre Beziehung zur koordinierten Weltzeit im Blick zu behalten. Auf diese Weise würden die Uhren auf dem Mond auch dann noch miteinander übereinstimmen, wenn die Verbindung zur Erde unterbrochen wird, sagt Gramling – und weiterhin eine sichere Navigation und Kommunikation ermöglichen. Die Einführung einer unabhängigen Zeit ist zudem ein Modell, das auch auf weiter entfernten Planeten wie dem Mars funktioniert. Die Übertragung der UTC wäre dort komplizierter als auf dem Mond, fügt sie hinzu.

Monduhren ticken anders

In diesem Szenario könnten die Tage auf dem Mond sogar anders definiert werden als die auf der Erde, da die Zeit von Sonnenmittag bis Sonnenmittag im Durchschnitt 29,5 Erdtage beträgt. Erdtage werden für Astronauten immer von Bedeutung sein, da der Mensch Schlaf im 24-Stunden-Rhythmus braucht. Auf die Definition müssen sich die Metrologieexperten jedoch noch einigen. Sie werden auch entscheiden müssen, wo auf dem Mond die Hauptuhren platziert werden sollen. Wie auf der Erde wird die Höhe der Geräte die Tickgeschwindigkeit beeinflussen. Die Uhren könnten sich in der Mondumlaufbahn oder auf der Oberfläche befinden, sagt Hahn. »Darüber diskutieren wir gerade mit unseren NASA-Kollegen.«

Die Mitglieder der Interagency Operations Advisory Group, ein Gremium nationaler Raumfahrtagenturen sowie des Internationalen Komitees für GNSS der Vereinten Nationen, denken auch über andere notwendige Standards nach – etwa darüber, welche Karten des Mondgeländes und welche Koordinatensysteme für die Navigation verwendet werden sollen. Damit die Systeme der verschiedenen Länder kompatibel sind, müssen die Referenzsysteme international vereinheitlicht werden, sagt Gramling.

Mit Hilfe der ESA entwickelt die NASA derzeit ein System namens LunaNet, für das sie auf internationale Unterstützung hofft. LunaNet besteht aus einem Regelwerk, das es allen Satellitennavigations-, Kommunikations- und Rechensystemen auf dem Mond ermöglichen würde, ein einziges Netzwerk ähnlich dem Internet zu bilden, unabhängig davon, welche Nation sie installiert. Die Mondzeit ist also Teil eines viel größeren Ganzen. »Die Idee ist, ein Sonnensystem-Internet zu schaffen«, sagt Gramling. »Und der erste Schritt dorthin soll auf dem Mond stattfinden.«

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