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News: Reagenzglasleben

Frühkindliche Erlebnisse können Charaktereigenschaften prägen, das ist unbestritten. Aber gilt dies auch für die Art der Befruchtung und das Umgebungsmilieu der Eizelle?
Louise Brown würde nicht leben, gäbe es nicht die künstliche Befruchtung: Sie ist er älteste aller je "im Reagenzglas" gezeugten Menschen. Schon vor ihrer Geburt stand sie damit unfreiwillig im Mittelpunkt des Interesses der Öffentlichkeit: Ist sie gesund, entwickelt sie sich wie andere Kinder?

Louise Brown ist tatsächlich gesund – ebenso wie ungezählte nach ihr geborene Kinder, die mittlerweile außerhalb des Mutterleibs gezeugt wurden. Und so ist die Technik der künstlichen Befruchtung mittlerweile fast schon zur Routine geworden. Untersuchungen zur Abschätzung eventueller Risiken der in-vitro-Fertilisation bleiben unter Medizinern allerdings heftig umstritten. Möglicherweise – so beispielsweise die Interpretation jüngster retrospektiver Studien, bei denen in-vitro-gezeugte Kinder untersucht wurden – besteht für diese ein leicht erhöhtes Risiko, an sehr seltenen genetischen Defekten zu leiden, etwa dem Angelman- und dem Beckwith-Wiedemann-Syndrom.

Noch umstrittener sind Rückschlüsse aus Tierexperimenten – sie könnten nur mit äußerster Vorsicht auf den Menschen übertragen werden, geben nicht nur Reproduktionsmediziner zu bedenken. Es ist daher anzunehmen, dass die Ergebnisse der Untersuchung eines Wissenschaftlerteams um Richard Schultz von der Universität Pennsylvania heftige Diskussionen auslösen dürfte: Die Forscher untersuchten an Mäusen, welche bislang unerkannten, langfristigen Folgen künstliche Befruchtung haben könnte – nicht für den körperlichen Zustand der künstlich gezeugten Tiere, sondern auch für deren Verhaltensstrukturen.

Interessiert hat die Wissenschaftler dabei vor allem die Dauer, die zwischen der Befruchtung der Mäuse-Eizellen im Labor und jenem Zeitpunkt verstreicht, an dem die so entstandenen Embryonen dann in die Gebärmutter eingesetzt werden. Während dieser Zeitspanne entwickeln sich die befruchteten Eizellen vorübergehend in Zellkulturen. Auch für Humanmediziner ist jenes Zeitfenster zwischen Befruchtung und Überführung in den Uterus extrem bedeutend, denn es bietet ihnen die Möglichkeit, zwischen lebensfähigen und von vornherein chancenlosen menschlichen Embryonen zu unterscheiden – die Schwächeren der befruchteten Eizellen sterben unter den Zellkultur-Bedingungen, noch bevor sie in die Gebärmutter der Mutter überführt werden.

Diese Form von Selektion wird derzeit von einigen Reproduktionsmedizinern sogar forciert – immerhin erlaube sie doch eine effiziente Auswahl der vielversprechendsten befruchteten Eizellen und vermindere auch, da letztlich weniger Eizellen im Uterus platziert werden, die Wahrscheinlichkeit der bei künstlicher Befruchtung gehäuft vorkommenden, meist unerwünschten Mehrlingsschwangerschaften. Nicht selten verlängern Mediziner daher die Dauer der Zellkulturphase sogar bewusst, um die vermeintlichen Vorteile besser zum Tragen zu bringen.

Allerdings, so fragten sich Schultz und seine Kollegen: Könnten auch die lebensfähigen befruchteten Zellen unter den unnatürlichen Zellkultur-Bedingungen vor ihrer Einnistung in der Gebärmutter womöglich so stark leiden, dass eventuelle Spätfolgen auftreten – umso mehr, je länger der Zellhaufen schon um sein Überleben kämpfen musste?

Um Antworten zu erhalten, schufen die Forscher zwei genetisch eindeutig markierte Gruppen von Maus-Eizellen – eine implantierten sie dann nach nur zwei, die andere nach erst fünf Zellkulturtagen in die Gebärmutter einer einzelnen Mäusemutter. Mit dem jeweils gleichaltrig geborenen geschwisterlichen Nachwuchs führten sie dann, insgesamt zwei Jahre lang, verschiedene Experimente durch.

Körperliche oder gesundheitliche Unterschiede zwischen den sich allein durch die gewählte Fertilisationsvariante unterscheidenden Nagernachkommen wurden nicht festgestellt – durchaus aber subtile Unterschiede im Verhalten der beiden Mausgruppen. So zeigten männliche Mäuse, die in ihrer frühesten Vergangenheit länger in Zellkulturen herangewachsen waren, tatsächlich ein nachweisbar verändertes Angstverhalten: Statt offene, leicht einsehbare Flächen zu meiden, zeigten sich die Tiere hier wenig eingeschüchtert – ein vom üblichen Mausdurchschnitt auffällig abweichendes Verhalten. Die Mäuse waren zudem nicht nur weniger behutsam als ihre Artgenossen, sie schnitten zudem bei bestimmten Gedächtnistests in Labyrinthen schlechter ab.

Aus den Ergebnissen müssten, so Schultz, Konsequenzen gezogen werden: Die bei der menschlichen künstlichen Befruchtung zunehmend verlängerte Zellkulturphase könnte nach den gewonnen Erkenntnissen vielleicht auch bei Menschen Spätfolgen nach sich ziehen.

Für diese Einschätzung sei es zu früh, entgegnen Kritiker des Mausexperiments. Sie kritisieren etwa, dass die Zellkulturbedingungen, in denen Schultz seine Eizellen kultiviert hatte, nicht derart optimal auf die Bedingungen der Zellen eingestellt waren, wie dies bei menschlichen in-vitro-Fertilisationsexperimenten der Fall sei. Immerhin, so meint aber beispielsweise der Mediziner Michael Summers vom Reproductive Science Center in Boston, könne es sich durchaus lohnen, die Dauer der Zellkulturphase künstlich befruchteter Eizellen nicht zu lange werden zu lassen – bis derartige Unsicherheiten ausgeräumt sind.

Dass kann allerdings noch dauern. Welche wirklich langfristigen Folgen in-vitro-Fertilisation vielleicht haben mag, klärt sich wohl erst im Laufe der hoffentlich langen und beschwerdefreien Lebenszeit der ersten in-vitro-Fertilisationsgeneration. Louise Brown wird am 25. Juli dieses Jahres übrigens 26 Jahre alt.

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