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Realitätsflucht: Laufen, um zu vergessen

Joggen kann helfen, den Alltag hinter sich zu lassen. Dahinter stecken zwei verschiedene Formen von Eskapismus. Die eine tut dem Wohlbefinden offenbar nicht so gut.
Junge Frau joggt auf einem breiten Weg durch den Wald
Viele Menschen können beim Joggen gut abschalten. Genau das wird in bestimmten Fällen allerdings zum Problem. (Symbolbild)

Joggen macht den Kopf frei – so berichten es viele, die gerne und regelmäßig laufen gehen. Doch in manchen Fällen hat das Laufen eine Schattenseite: wenn es dazu dient, vor den eigenen Problemen wegzurennen. Zu diesem Schluss kommt eine norwegische Forschungsgruppe in der Fachzeitschrift »Frontiers in Psychology«.

Wenn jemand einem Sport oder einer anderen Aktivität regelmäßig nachgeht, um sich vom Alltag abzulenken, spricht man von »Alltagsflucht« oder »Eskapismus«. Erforscht wurde das Phänomen bislang vor allem im Zusammenhang mit Computerspielsucht und anderen Mediensüchten. Das Team um den norwegischen Psychologen Frode Stenseng wollte nun wissen, welche Rolle es beim Laufen und bei der Laufsucht spielt.

Dazu befragten er und sein Team über soziale Medien Erwachsene, die nach eigenen Angaben regelmäßig – im Schnitt fünf Stunden pro Woche – joggen gingen. Die 115 Frauen und 112 Männer, im Mittel 43 Jahre alt, machten Angaben zu zwei Arten von Alltagsflucht: ob ihnen das Laufen positive Erfahrungen verschafft (»Wenn ich jogge, bin ich mit positiver Energie erfüllt«) und ob es negative Gefühle vertreiben soll (»Wenn ich laufe, versuche ich meine Probleme zu vergessen«). Außerdem gaben sie Auskunft zu ihrer Lebenszufriedenheit und zu Merkmalen von Sportsucht (»Ich laufe lieber, als Zeit mit meiner Familie und Freunden zu verbringen«).

Ergebnis: Beide Formen von Eskapismus waren mit Laufsucht verbunden, doch deutlich stärker die negative Form, bei der das Laufen dazu dient, den Alltag zu vergessen und negative Gefühle zu vermeiden. Sich mit dem Laufen positive Gefühle zu verschaffen, spielt bei Laufsucht offenbar eine kleinere Rolle. Die Form der Alltagsflucht hatte weder mit dem Geschlecht noch mit dem Alter der Befragten zu tun. Mit der Lebenszufriedenheit jedoch schon: Diese fiel umso höher aus, je mehr die Versuchspersonen beim Laufen positive Gefühle erlebten, und umso geringer, je mehr sie damit negative Gefühle vertreiben wollten.

Die geringere Zufriedenheit könnte zwar ebenso Ursache wie Folge des Laufens sein: Eine einfache Befragung lässt darauf keine Rückschlüsse zu. Die Forschungsgruppe folgert jedoch aus statistischen Analysen (so genannten Pfadanalysen) auf die Wirkrichtung: Demnach mindern sowohl Laufsucht als auch negativ motiviertes Laufen das Wohlbefinden. Laufen könnte so das Gegenteil dessen bewirken, wozu es eigentlich dienen soll.

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