Reborn-Babys: Im Puppenfieber
Nina liegt in einem alten Klinikbettchen für Neugeborene. Ihren kleinen Kopf schützt ein gestricktes Mützchen. Am Körper trägt sie rosa Kleidung. Ihre Wangen sind leicht gerötet. Sie scheint zu schlafen. Gleich daneben lehnt George, ebenfalls ein Baby, hellwach am Kopfende eines zweiten Bettchens. Auf der Kette seines Schnullers steht sein Name. Mit dem weißen Sonnenhut und den kleinen Schuhen sieht er aus, als bräche er gleich zu einem Sonntagsausflug auf. Auch Annie ist sommerlich gekleidet. Sie ist größer als Nina und George und sitzt im Hochstuhl in der Zimmerecke, die Sabine für die drei hergerichtet hat. »Alles wirkt hier harmonisch in Rosa und Hellblau. Es gibt mir ein gutes Gefühl, meine Nursery anzuschauen«, sagt Sabine. »Nursery« ist das englische Wort für »Kinderzimmer«. So nennen Fans von Baby-Puppen die Räume für ihre Schätze.
Nina, George und Annie sehen aus wie echte Kinder, doch in Wirklichkeit sind sie Puppen. Sie werden ausgehend von Babypuppen-Rohlingen aus Silikon oder dem Kunststoff PVC, häufig auch Vinyl genannt, in aufwändiger Handarbeit individuell gefertigt und dabei quasi »wiedergeboren« – daher der englische Name »reborn«. Dafür wird die Haut gefärbt, werden einzelne Äderchen aufgemalt, die geschlossenen Nasenlöcher oft aufgebohrt, Glasaugen in die Augenhöhlen gesetzt und bei einigen Modellen die Haare einzeln auf dem Kopf befestigt. Die Puppe wird mit verschiedenen Materialien gefüllt, bis sie so schwer im Arm wiegt wie ein echtes Kind. Ein Magnet am Mund sorgt dafür, dass der Schnuller nicht verrutscht.
Die Herstellung einer Reborn-Puppe dauert mehrere Tage. Das Ergebnis lässt die Herzen von Fans wie Sabine weltweit höherschlagen. Auf Youtube teilen sie und andere Videos von ihrem Leben mit den Puppen-Kindern. »Als ich mein erstes Reborn-Baby im Arm hielt, war ich völlig fasziniert«, erzählt die Schweizerin im Gespräch. Das war vor 17 Jahren. Zufällig hatte sie damals in einem Strickmagazin eine Abbildung einer solchen Puppe entdeckt und anschließend im Internet nach Bestelladressen gesucht. »Ich habe schon als Kind gern mit Puppen gespielt, sie sahen mir damals aber zu unecht aus«, sagt Sabine. Die Reborn-Babys dagegen sind auf den ersten Blick kaum von realen Säuglingen zu unterscheiden. »Je echter die Puppe wirkt, desto hochwertiger die künstlerische Arbeit«, so Sabine.
Ihre erste Babypuppe legte Sabine in den Stubenwagen des jüngeren ihrer zwei Söhne, aus dem dieser gerade herausgewachsen war. Seitdem hat sie das Reborn-Fieber gepackt. Zwischenzeitlich besaß sie sieben Puppenkinder mit passender Sommer- und Winterkleidung. Sie zog sie öfter um oder trug sie auf dem Arm mit sich herum. Für ihre Youtube-Videos machte sie auch Rollenspiele, ging etwa mit ihnen spazieren. Heute zieht sie die Reborn-Babys nur noch sporadisch um, pflegt sie, da sie staubig werden, und wäscht anschließend ihre Kleider. Alles soll immer perfekt aussehen. »Für mich sind die Reborn-Babys ein Hobby wie Modelleisenbahnen oder schnelle Autos. Andere hängen sich ein schönes Bild an die Wand, ich habe meine hübsche Reborn-Ecke«, sagt sie.
Wissenschaftlich wurde die Liebe zu den real wirkenden Babypuppen bisher kaum untersucht. Nun promoviert die Geisteswissenschaftlerin Emilie St-Hilaire an der Concordia University in Montreal (Kanada) über dieses Thema. Auf einer Puppen-Messe im Jahr 2018 in den USA führte sie eine Umfrage unter Fans der Reborn-Babys durch und lieferte so erste Zahlen. Von den 67 Befragten waren 59 weiblich. Fast die Hälfte der Teilnehmenden sammelten die Puppen nicht nur, sondern fertigten sie auch selbst an. Ihre erste Reborn-Puppe bekamen sie zwischen 1985 und 2018, mehr als ein Drittel hielt sie erst seit 2016 im Arm. Das Hobby scheint sich folglich seit Mitte der 1980er Jahre immer mehr zu verbreiten. Drei Prozent besaßen zum Zeitpunkt der Umfrage mehr als 100 Reborn-Babys.
Freude, Stressabbau, Trost
Wie die Befragung ergab, ziehen die Fans ihre Puppen am liebsten um, kuscheln mit ihnen, kaufen ihnen Kleidung und Accessoires, fotografieren sie oder stellen sie selbst her. Nach den Gründen für ihr Tun gefragt, antworteten viele, dass es ihnen Spaß mache, aber auch zum Stressabbau beitrage. Die Puppen lösten besonders häufig Gefühle von Freude und Trost aus.
»Man muss Reborns nicht lange analysieren, um zu erkennen, wie sehr diese Puppen Menschen helfen, mit allen Arten von Stress und Angst in ihrem täglichen Leben umzugehen«, meint Emilie St-Hilaire. »Reborns wirken definitiv entspannend. Erwachsene können genauso viel Freude beim Spielen empfinden wie Kinder.«
Erwachsene, die mit Puppen spielen – das klingt für viele befremdlich. Dabei stellen Menschen schon seit Jahrtausenden Miniaturpersonen her, die keineswegs immer für Kinder gedacht waren. Ursprünglich symbolisierten die Gestalten häufig Götter oder andere religiöse und spirituelle Figuren, sie waren aus harten Materialien wie Stein, Knochen oder Terrakotta geformt. Teilweise wurden ihnen magische Kräfte zugeschrieben, manche dienten als Opfergaben. Der Übergang zur Puppe als Spielzeug war fließend. Kunstvoll angefertigte Figuren für ihre Kinder konnten sich im Mittelalter nur adlige Familien leisten. In Bauern- und Handwerkerfamilien spielten Kinder mit Tonpuppen, ab dem 16. Jahrhundert mit solchen aus Holz. Materialien wie Wachs, Pappmaschee oder Porzellan machten die Gesichter und Körper zunehmend lebensecht. Lange entsprach das Aussehen der Spielpuppen dem Alter und der Statur der Kinder, die die Puppen besaßen. Erst ab dem 19. Jahrhundert, als besonders viele Puppen hergestellt wurden, sahen die ersten aus wie Babys. Viele waren allerdings noch hart und steif. Die Puppenmacherin Käthe Kruse wurde Anfang des 20. Jahrhunderts weltbekannt durch ihre außergewöhnlich weichen Puppen, mit denen Kinder kuscheln konnten.
Wie weit verbreitet Puppen lange Zeit waren, zeigt eine Umfrage der Stiftung »Chancen für Kinder durch Spielen« mit 1000 Beteiligten, die zwischen 1938 und 1991 geboren wurden. 91 Prozent der Frauen und 20 Prozent der Männer gaben an, in ihrer Kindheit eine Puppe besessen zu haben. Drei Viertel der Befragten erachteten das Spielen mit einer Puppe als wichtig für die Entwicklung eines Kindes – ähnlich wie den Umgang mit Kuscheltieren, die sich seit Anfang des 20. Jahrhunderts zunehmend verbreiten.
Puppen haben Familien teilweise über Generationen hinweg begleitet. Umso erstaunlicher, dass sich die psychologische Forschung bisher kaum für sie interessiert hat. »Puppen werden oft als trivial und wenig ernsthaft abgetan. Ihre Gegenwart ist selbstverständlich und wird nicht hinterfragt«, vermutet Insa Fooken. Die Entwicklungspsychologin und Seniorprofessorin am Arbeitsbereich Interdisziplinäre Alternswissenschaft an der Goethe-Universität Frankfurt am Main stieß vor gut zehn Jahren zufällig auf das Thema. Seitdem lassen die Puppen sie nicht mehr los. Gemeinsam mit der Sozialanthropologin Robin Lohmann führte sie eine aufwändige Literaturrecherche durch – und fand nur eine einzige umfangreiche Untersuchung zu Puppen, die 1896/97 veröffentlicht wurde.
Täuschend echt: Puppe statt Babyleiche
Wie realistisch Reborn-Puppen wirken können, zeigt beispielhaft ein Vorfall in New York City: Im Juni 2019 fand ein Jogger in einem Park ein blau angelaufenes Baby, wie die »New York Times« berichtete. Es lag leblos auf dem Bauch, das Gesicht im Gras verborgen. Dutzende Polizisten waren schnell vor Ort, um das vermeintliche Verbrechen aufzuklären. Erst als über zwei Stunden später die Spurensicherung zu dem Baby vorgerückt war, stellte sich heraus, dass es sich um eine verblüffend lebensecht wirkende Puppe handelte.
Damals interessierte sich der spätere Gründungspräsident der American Psychological Association, Stanley Hall, zusammen mit Caswell Ellis für die Bedeutung von Spielpuppen für den Menschen. Die Psychologen befragten in zwei Erhebungswellen Lehrkräfte, Eltern und Kinder und sammelten insgesamt über 1200 Antworten. Demzufolge spielten Kinder im Alter von sieben bis zehn Jahren am intensivsten mit ihren Puppen und imitierten dabei oft ihren Alltag. Sie zogen die Puppen an, wuschen, trösteten, lobten oder tadelten sie und legten sie schlafen. Besaßen sie keine echte Puppe, wählten die Kinder andere Objekte als Ersatz – vom Kissen bis zum Stiefelknecht.
»Kinder haben ein unglaubliches Potenzial, mit vielfältigen Gegenständen so zu spielen wie mit Puppen«, sagt Fooken. Eine Abschlussarbeit an ihrem Lehrstuhl ergab, dass Mädchen und Jungen gleichermaßen puppenähnliche Dinge spontan auf den Arm nehmen und eine Fürsorgegeste machen. »Wir haben einen Reflex für etwas, was klein und niedlich ist. Die Augen und ihre Verbindung zum Mund vermitteln den Eindruck, dass es sich bei einer Puppe um etwas wie einen Menschen handelt«, erklärt die Psychologin.
Mehr als nur Spielgefährten der Kindheit
Schon im ersten Lebensjahr wählen einige Säuglinge Stoffpuppen als so genannte Übergangsobjekte aus, die sie bei der beginnenden Ablösung von den Eltern unterstützen. Die Nähe zu einem solchen Übergangsobjekt, das auch ein Kuscheltier oder eine Schmusedecke sein kann, beruhigt und gibt Sicherheit, um die Welt selbstständig zu erkunden. Doch erst ab dem dritten Geburtstag werden Puppen für vier von zehn Mädchen zu besonders bedeutsamen Spielgefährten, ergab eine Untersuchung des Internationalen Zentralinstituts für das Jugend- und Bildungsfernsehen (IZI) des Bayerischen Rundfunks und der Stiftung »Chancen für Kinder durch Spielen« aus dem Jahr 2011. Jungen wenden sich demnach nur in Ausnahmefällen einer Puppe zu. Für die Studie befragten Wissenschaftlerinnen mehr als 700 Mütter mit ein- bis sechsjährigen Kindern und führten Interviews mit über 50 Kindergartenkindern durch. In diesem Alter beginnt das Als-ob-Spiel, bei dem Kinder Handlungen und Szenen aus ihrem Leben aufgreifen. Mit viel Fantasie »beseelen« sie Gegenstände und geben ihnen eine (neue) Funktion. Dabei probieren sie soziale Rollen aus, nehmen unterschiedliche Perspektiven ein und stärken so die eigene Identität. Die Puppe kann ein Gegenüber für Selbstgespräche sein, aber auch Liebe und Aggressionen auffangen. Sie fordere die Kinder zum Spiel auf, meint Insa Fooken. Besonders wichtig ist die Puppe der Umfrage zufolge, wenn die Familie ein Geschwisterkind erwartet.
Auch in anderen Phasen des Umbruchs können eine Puppe oder ein Kuscheltier Trost und Sicherheit spenden. So stellt der Übergang vom Kindergarten in die Grundschule für viele Kinder eine große Herausforderung dar. Die Erziehungswissenschaftlerin Katharina Pfeifer hat in ihrer 2019 veröffentlichten Promotion an der Goethe-Universität Frankfurt untersucht, inwiefern Teddys als Übergangsobjekte Schulanfänger unterstützen und ihnen helfen können, besser mit der neuen Situation umzugehen und sich schneller einzuleben. Die Erstklässler erhielten zur Einschulung einen Schulteddy, der sich durch einen Knopf am Ohr von den anderen unterschied. Er sollte sie als Vertrauter und Gefährte im Schulalltag begleiten. Wer das Kuscheltier besaß, fühlte sich nach eigenen Angaben von Anfang an wohler an der Schule als Schulanfänger ohne Teddy.
Spätestens in der Pubertät tritt die Liebe zu Kuscheltieren und Puppen in der Regel in den Hintergrund. Manche der einstigen Spielgefährten verschwinden auf den Dachboden oder unter dem Bett. Ganz trennen können sich viele offenbar aber doch nicht von ihnen, ergab eine Befragung aus den Jahren 2009 und 2010 von Insa Fooken unter 333 Studierenden pädagogischer Fächer, die im Schnitt Anfang 20 waren. Fast zwei Drittel der überwiegend weiblichen Befragten gaben an, ihre Puppe noch zu besitzen.
Manche holen ihre Kinderpuppe im höheren Alter wieder hervor. »Zu ihr hat man die längste Beziehung, ähnlich wie zu den Geschwistern. Ihr Anblick hilft zu validieren, wie man im Leben angefangen hat«, erklärt Fooken. »Die Puppe kann Gefühle aus der Kindheit wecken.« Eine Puppe im Arm zu halten, scheint auch einigen Menschen mit schwerer Demenz zu helfen: Die Interaktion mit Puppen könnte demnach aggressives Verhalten mindern und innerlich ruhiger sowie kommunikativer machen. Die Puppentherapie ist jedoch umstritten.
Puppen als Therapie?
Anfang des 21. Jahrhunderts erschienen die ersten Berichte über den Einsatz von Puppen in Pflegeheimen. Ihnen zufolge könnten schwer demente Personen in mehrfacher Hinsicht profitieren, wenn sie regelmäßig mit Puppen interagieren. Die Demenzpatienten verhielten sich den Berichten zufolge weniger herausfordernd und aggressiv, waren kommunikativer und ruhiger. Eine Übersichtsarbeit kam 2017 zu dem Schluss, dass die Puppentherapie Kognition, Verhalten und Emotionen positiv beeinflussen und das allgemeine Wohlbefinden verbessern kann. Außerdem vermag sie schwer demente Personen dabei zu unterstützen, mit der Umgebung zu interagieren. Befürworter der Puppentherapie führen die Effekte darauf zurück, dass die Puppen den Demenzpatienten Sicherheit geben, so wie Schmusedecken und andere »Übergangsobjekte« Säuglingen. Zudem sei es den Patienten über die Puppen möglich, unerfüllte Bedürfnisse zu stillen, etwa nach Zuwendung.
Die Puppentherapie wird bislang vor allem in Großbritannien, Japan und Australien angewandt. Bis heute gibt es jedoch nur geringe empirische Evidenz für ihre Wirksamkeit. Mehrere Studien weisen methodische Probleme auf. Kritiker bemängeln, dass es keine Leitlinien zum Einsatz der Puppen gibt. Bisher werden offenbar ganz unterschiedlich geformte Puppen verwendet. Gegner der Methode meinen zudem, dass die Patienten durch die Puppen wie Kinder behandelt und noch dazu getäuscht werden, da manchmal unklar ist, ob sie die Puppen für echte Babys halten.
Brit. J. Nurs. 0.12968/bjon.2013.22.6.329, 2013; Nurs. Ethics 10.1177/0969733013518447, 2014; Front. Psychol. 10.3389/fpsyg.2014.00342, 2014; Complement. Ther. Clin. Pract. 10.1016/j.ctcp.2016.11.007, 2017
Viele Menschen finden es befremdlich, wenn Erwachsene eine emotionale Beziehung zu Puppen aufbauen und mit ihnen spielen. Entsprechend löst eine Leidenschaft für Reborn-Babys oftmals negative Reaktionen aus. Fans wie Sabine, die offen zu ihrem Hobby stehen, schlagen nicht nur Unverständnis, sondern auch Beleidigungen, Anfeindungen und Hass entgegen. Manche Kritiker fragen sich, was die Reborn-Mütter seelisch aufzuarbeiten hätten, etwa eine Fehlgeburt oder den Tod des eigenen Kindes. Andere mutmaßen, die Puppensammlerinnen seien psychisch krank, würden verkennen, dass es sich dabei nicht um lebende Menschen handelt, oder würden sich nur um die Puppen kümmern, weil sie selbst keine Kinder bekommen könnten. »Man braucht ein dickes Fell«, bestätigt Sabine. Sie hat gehört, dass einige Kinder von Reborn-Fans in der Schule gemobbt wurden.
Der Befragung von Emilie St-Hilaire zufolge zeigen sich fast drei Viertel der Teilnehmer ungern mit ihren Reborn-Babys in der Öffentlichkeit. Auf die Frage nach den Gründen antworteten manche, sie verspürten einfach kein Bedürfnis danach. Andere hatten allerdings Angst vor Diskriminierung und verletzenden Kommentaren, fühlten sich nervös und unsicher.
Dienen die Puppen als Babyersatz?
Sabine kennt viele andere Reborn-Mütter, trifft sich mehrmals im Jahr mit einigen davon und wird häufig über das Internet von Interessierten um Rat gefragt. Es sei eine »Riesen-Community«, sagt sie, die auch deshalb zusammenhalte, weil sie gegen die Attacken stark nach außen auftreten müsse. Für die meisten Reborn-Fans seien die Puppen wie für sie selbst einfach bloß eine Freizeitbeschäftigung. »Nur schätzungsweise jede zehnte Reborn-Mami besitzt die Puppen tatsächlich, um das Gefühl zu bekommen, ein Baby im Arm zu halten, weil sie kinderlos geblieben ist oder ein Kind verloren hat«, meint sie. »Aber alle wissen, dass es nur Puppen sind. Und wieso soll eine Frau ihren Schmerz nicht mit einem Reborn-Baby aufarbeiten, statt zum Beispiel Medikamente zu schlucken?«
Auch Entwicklungspsychologin Fooken hält es nicht generell für problematisch, wenn Reborn-Puppen wie Ersatzbabys behandelt werden: »Diese Puppen fangen einen Moment der Verzauberung und Faszination für den Beginn des Lebens ein und können Trost spenden. Doch das eigene Baby entwickelt sich und man selbst mit ihm. Die Gefahr besteht, durch die Puppe in dieser Entwicklung stecken zu bleiben. Oder nicht mehr zwischen Realität und Fantasie zu unterscheiden.« Wenn das Bewusstsein bleibe, dass es sich um Puppen handle, und man sich weiter verändere, könnten sie aber ein Stück weit therapeutisch genutzt werden.
Emilie St-Hilaire interessiert sich besonders für die Frage, warum die Leidenschaft für Reborn-Babys so oft scharf verurteilt wird. Sie meint: »Die wahrgenommene Rolle der Frau besteht darin, sich um echte Babys zu kümmern. Reborn-Puppen scheinen wie eine widernatürliche Abweichung von dieser Rolle.« Dabei hatte die Hälfte der Befragten in der Erhebung angegeben, eigene Kinder zu haben. Außerdem erzeuge die Lebensechtheit der Babys vielfach Unbehagen, sagt Emilie St-Hilaire. Sabine sieht das auch so: »Das Problem ist, dass die Puppen so echt aussehen. Wenn jemand 50 Teddybären im Regal hat, kümmert es niemanden.« Sie hätte sich zu Beginn ihrer Leidenschaft für Reborn-Babys noch gefragt, was andere über sie denken, aber dann beschlossen, dass es einfach ein Hobby sei.
»Seitdem kommen auch keine Fragen mehr. Und zu meinem 50. Geburtstag haben Freunde und Familie mir ganz selbstverständlich Babysachen geschenkt«, erzählt sie. Ihre heute erwachsenen Söhne hätten nie ein Problem mit ihrer Begeisterung für die realistisch aussehenden Puppen gehabt. Ihr Rat lautet, in die Offensive zu gehen: »Nur wenn man etwas versteckt, macht man es wahnsinnig spannend.« Deshalb habe sie sich auch als eine der Ersten im deutschsprachigen Raum dazu entschlossen, sich auf Youtube zu zeigen. »Die Leute sollen nicht denken, wir hätten alle einen an der Klatsche. Ich wünsche mir, dass mein Hobby irgendwann zur Normalität wird.«
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