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Landtagswahlen: Bedroht der Rechtsruck die Internationalität ostdeutscher Hochschulen?

Nach dem Rechtsruck bei den Landtagswahlen in Sachsen und Thüringen wächst die Sorge vor negativen Folgen für die Wissenschaft. Viele ostdeutsche Hochschulen sind bei ausländischen Studierenden und Spitzenforschern sehr beliebt. Wie wirkt sich das politische Klima darauf aus?
Leerer Hörsaal an der TU Chemnitz
An der TU Chemnitz in Sachsen lag der Anteil ausländischer Studierender im Jahr 2023 bei knapp 32 Prozent. Blieben sie der Hochschule künftig aus Angst vor Fremdenfeindlichkeit fern, sähe es in den Hörsälen so aus: gähnend leer.

»500 Menschen, 50 Nationen, eine Forschungsmission«: In großen Buchstaben prangt der Slogan an der Fassade des Max-Planck-Instituts für molekulare Zellbiologie und Genetik in Dresden. Im Inneren des blau-grünen Baus ergründen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus aller Welt, wie Zellen funktionieren und im Verbund zusammenarbeiten. Da verwundert es kaum, dass eine Französin, ein Brite, eine Spanierin, ein Italiener, eine US-Amerikanerin und ein Deutscher gemeinsam an der Spitze des Instituts stehen.

Ein paar Straßen weiter an der Technischen Universität Dresden ist Internationalität ebenso normal wie gewünscht. Knapp 20 Prozent der 29 000 Studentinnen und Studenten kommen aus dem Ausland. Ähnlich ist der Anteil beim wissenschaftlichen Personal. Rektorin Ursula Staudinger ist stolz, dass sie regelmäßig Spitzenforscher von Weltrang für die Universität gewinnen kann.

Der politische Rechtsruck in Sachsen und anderen ostdeutschen Bundesländern löst deshalb große Sorgen an den dort ansässigen Hochschulen und Wissenschaftsinstitutionen aus. Bei den Landtagswahlen in Sachsen und Thüringen Anfang September hat die rechtspopulistische »Alternative für Deutschland« (AfD) jeweils rund 32 Prozent der Stimmen bekommen, in Thüringen ist sie damit sogar stärkste Kraft geworden. Die Partei benennt als Schuldige für Probleme in Deutschland am liebsten »die Ausländer«. Mit dem Aufstieg der AfD geht ein offeneres Auftreten rechtsextremer Gruppen im öffentlichen Raum einher – so gab es zuletzt zahlreiche Aufmärsche identitärer Jugendgruppen in Uniformen oder Angriffe auf Aktionen zum Christopher-Street-Day. Hinzu kommt jener Alltagsrassismus, den vor allem Menschen erleben, die für Rechtsextreme »fremd« aussehen.

Pegida-Schock sitzt noch tief

Direkte rassistische Angriffe auf Forscher oder Studierende sind den Leitungen der beiden Dresdner Wissenschaftsinstitutionen aus jüngster Zeit nicht bekannt. Doch der Schock aus der Zeit, in der die rechtspopulistische Protestbewegung »Pegida« durch Dresden marschierte, sitzt noch tief. Damals habe es »einzelne Fälle von Beleidigungen, teilweise auch Gewalt gegenüber unseren Forschenden im öffentlichen Raum« gegeben, berichtet eine Sprecherin des Max-Planck-Instituts. Wenn dann, wie jüngst, ein Max-Planck-Forscher eine Gruppe aus einem vorbeifahrenden Auto »Ausländer raus« singen höre, würden neue Ängste wach.

TU-Rektorin Staudinger betont, dass Hochschulen parteipolitisch neutral seien. Doch die Psychologin lässt keinen Zweifel daran, für wie gefährlich sie den Rechtsruck hält: »Weltoffenheit, eine Willkommenskultur, Perspektivenvielfalt und Diversität sind für die Attraktivität jedes Wissenschafts- und Innovationsstandorts unerlässlich.« So unterhält die TU Dresden 621 Forschungs- und Ausbildungspartnerschaften mit 94 Ländern weltweit. Sie hat etwa ein eigenes Verbindungsbüro im taiwanesischen Taipeh, um die Halbleiterforschung voranzubringen, die für den Wirtschaftsstandort Dresden enorm wichtig ist. Entsprechend oft sind Partner aus Taiwan zu Gast an der TU Dresden.

Staudinger hält die Forschungsstärke ihrer Hochschule für einen wesentlichen Grund, warum sich der taiwanesische Chiphersteller TSMC nach anderen großen Unternehmen in der sächsischen Hauptstadt ansiedelt und ab 2025 mehrere tausend neue Arbeitsplätze schafft. Wissenschaftliche Exzellenz und die daraus resultierenden positiven wirtschaftlichen Effekte seien nur durch internationale Kooperationen und weltweiten Austausch erreichbar, so die TU-Rektorin.

Noch deutlicher wurde Staudinger am 25. Mai 2024 bei einer Kundgebung in Dresden, zu der die TU mit zahlreichen weiteren Institutionen aus Wissenschaft, Forschung und Kultur als Teil der Initiative »Gemeinsam für Demokratie« aufgerufen hatte. »Ich bin aufgewachsen mit Eltern, die in Nazideutschland gelebt haben, und aus ihren Erfahrungen hat sich mir tief eingeprägt, dass man den schleichenden Anfängen wehren muss, wenn versucht wird, die Demokratie mit ihren eigenen Instrumenten abzuschaffen«, sagte sie in ihrer Rede.

Die Wahlprogramme der AfD in Sachsen und Thüringen enthalten manche Forderungen, die für Hochschulen oberflächlich betrachtet positiv klingen. So fordert die AfD Sachsen eine »höhere Grundfinanzierung der Hochschulen, um deren Abhängigkeit von Drittmitteln zu verringern«. Und die thüringische AfD verspricht: »Im Sinne des Humboldt’schen Bildungsideals wollen wir die Autonomie der Thüringer Hochschulen und die Eigenverantwortung der Studenten stärken.«

Doch im gleichen Atemzug kündigen die Landesverbände das Gegenteil davon an. Sie wollen Bachelor- und Masterstudiengänge abschaffen und »die bewährten Diplom- und Magisterstudiengänge wiedereinführen«. Sie wollen die Gender-Forschung unterbinden und damit direkt in die Wissenschaftsfreiheit eingreifen. Sie wollen Studierendenvertretungen auflösen und Studierende aus Nicht-EU-Ländern stärker zur Kasse bitten. Zudem leugnet die AfD aktiv Erkenntnisse der Klima- und der Coronaforschung – Vertreter der Partei greifen Wissenschaftler dieser Gebiete häufig verbal aggressiv an.

Die wahrscheinlich größte Gefahr aber geht davon aus, dass die AfD ein gesellschaftliches Klima schafft, in dem Ausländerfeindlichkeit normalisiert und entsprechende Äußerungen oder sogar Gewalt verharmlost oder stillschweigend hingenommen werden. Das kann auch Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler sowie Studierende jederzeit treffen.

Manch einer fühlt sich in Deutschland nicht mehr sicher

Eine solche Erfahrung machte Lam, ein aus Ostasien stammender, 32 Jahre alter Doktorand der Berliner Humboldt-Universität, Mitte August auf dem Heimweg vom Supermarkt. Am frühen Abend wurde der Nachwuchswissenschaftler, der seinen richtigen Namen aus Gründen des Selbstschutzes nicht öffentlich machen möchte, im Ostberliner Stadtteil Pankow von hinten von einer Frau mit dem Fahrrad angefahren – ganz offensichtlich kein Versehen. Als er eine Entschuldigung einforderte, beschimpfte die Frau ihn seinen Angaben zufolge mit »du Ausländer«. Einer ihrer Begleiter habe ihn sogar von hinten gewürgt. Er erlitt Verletzungen am Hals, die von der Gewaltschutzambulanz der Charité und der Polizei dokumentiert wurden.

Wie »ein Albtraum« sei das Ganze, sagt Lam, zumal er in derselben Woche zwei weitere Anfeindungen erlebt habe. In einer Schwimmhalle habe ihn ein mittelalter Mann in aggressivem Ton gefragt, woher er stamme, und in der S-Bahn hätten Passagiere von hinten auf seinen Sitz eingetrommelt. »In den zurückliegenden Jahren sind Anfeindungen gegen Ausländer in Deutschland extremer geworden und die Täter gehen ungenierter vor«, meint er und diagnostiziert eine »Atmosphäre des Hasses«. Lam, der seit fünf Jahren in Deutschland forscht, mag seine Arbeit und die Kollegen an der Humboldt-Universität. Doch seine Zukunft sieht er eher in Kanada. »Zwei sehr gute Wissenschaftler in meinem Bereich haben Deutschland wegen ähnlicher rassistischer Vorfälle verlassen«, berichtet er.

»Wir sehen jetzt schon, dass manche Wissenschaftler bei Berufungsverhandlungen Fragen zu den politischen Rahmenbedingungen stellen«Katharina Riedel, Rektorin der Universität Greifswald

In der Universitätsstadt Greifswald in Mecklenburg-Vorpommern schlug die Universität Ende 2023 öffentlich Alarm, nachdem ein Politikstudent geschildert hatte, dass er häufig mit dem Hitlergruß konfrontiert oder auch mit ausgestrecktem Mittelfinger beleidigt würde. Rassistische Angriffe auf ausländische Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, Mitarbeitende und Studierende häuften sich, schildert Katharina Riedel, Rektorin der Universität Greifswald, gegenüber dem Fernsehsender ZDF und mahnt: »Wir sehen es jetzt schon, dass manche Wissenschaftler bei Berufungsverhandlungen durchaus Fragen zu den politischen Rahmenbedingungen hier stellen und dass das mit ein Entscheidungsgrund sein kann, nach Greifswald zu kommen oder nicht.«

Dass zur gleichen Zeit dann auch noch eine junge deutsch-syrische Familie in ihrer eigenen Wohnung in der Innenstadt mit fremdenfeindlichem Motiv von zwei Tätern angegriffen worden ist, ließ das Fass überlaufen. Riedel initiierte eine Kampagne namens »Gesicht zeigen – gegen Rassismus« und rief im Januar 2024 mit zahlreichen Wissenschaftseinrichtungen der Region zu einer Kundgebung auf dem Greifswalder Marktplatz auf. Nach Angaben der Veranstalter kamen rund 1300 Menschen.

Grund zum Handeln sieht auch die Brandenburgische Technische Universität (BTU) in Cottbus, zu deren Schwerpunkten Energieforschung und Künstliche Intelligenz zählen. Die 100 000-Einwohner-Stadt in der Lausitz ist bei ausländischen Studierenden überaus beliebt – einen abschreckenden Effekt auf Bewerber aus aller Welt hatten Medienberichte über Rechtsextremismus und Ausländerfeindlichkeit in Ostdeutschland bisher noch nicht. Das Land Brandenburg hat knapp hinter Berlin mit 19 Prozent den höchsten Anteil ausländischer Studierender. Cottbus ist dabei eine Hochburg: Fast die Hälfte der 6800 eingeschriebenen Studentinnen und Studenten sowie ein erheblicher Teil der Wissenschaftler kommt aus einem von 120 verschiedenen Ländern. Besonders beliebt ist die BTU bei Studierenden aus Indien, Pakistan und dem Iran, vor allem wegen des KI-Masterstudiengangs in englischer Sprache.

Auswirkungen auf die Wirtschaftskraft

Um international wettbewerbsfähig zu sein, braucht die ostdeutsche Wirtschaft dringend Fachkräfte in diesen Bereichen – doch bleiben Menschen dauerhaft hier, wenn sie mit einer Atmosphäre von Gewalt und Menschenfeindlichkeit konfrontiert sind?

Heike Radvan, Professorin an der BTU für Methoden und Theorien Sozialer Arbeit, beschäftigt sich intensiv damit, wie es den ausländischen Studierenden in Cottbus geht; Präventionsmaßnahmen gegen Rechtsextremismus gehören zu ihren Forschungsschwerpunkten. »Viele studieren gerne in Cottbus und sagen das ganz offen, die BTU hat einen guten Ruf, auch international«, sagt Radvan. Es gebe aber eben auch die, »die von Rassismus betroffen sind und denen etwas passiert ist«. Oft traue sich diese Personengruppe erst auf Nachfrage, von ihren Erlebnissen zu erzählen. »Schweigen und Scham sind bei Betroffenen leider typisch, es braucht deshalb ein Umfeld, in dem solche Ereignisse und Berichte ernst genommen werden«, betont die Sozialwissenschaftlerin.

Im Auftrag des Präsidiums der Universität hat Radvan ein »Handlungskonzept gegen (extrem) rechte Einflussnahme« an der BTU verfasst. Die Hochschule verpflichtet sich darin unter anderem zu einem proaktiven Handeln und dazu, sich an die Seite der Opfer von rechter Gewalt und Rassismus zu stellen. Anfang Oktober soll eine neue Webseite in Betrieb gehen, über die Betroffene Vorfälle melden können, um Hilfe zu erhalten. Am wichtigsten an der Strategie findet Radvan, dass sich die Hochschule als Ganze klar positioniert und dass Bedingungen dafür geschaffen werden, offen über Rassismus und rechte Gewalt sprechen zu können.

Es ist jedoch kein ausschließlich ostdeutsches Phänomen, dass ausländische Hochschulangehörige rassistisch beleidigt oder gar angegriffen werden. Einer repräsentativen Umfrage des in Hannover ansässigen Deutschen Zentrums für Hochschul- und Wissenschaftsforschung (DZHW) zufolge hat in ganz Deutschland etwa jeder zehnte Wissenschaftler bereits Anfeindungen wegen Hautfarbe, Aussehen oder Geschlecht erlebt. Jürgen Renn, Wissenschaftshistoriker und Direktor am Max-Planck-Institut für Geoanthropologie in Jena, befürchtet vor diesem Hintergrund, dass »ein politischer Rechtsruck zu einem Klima beitragen könnte, in dem internationale Forscherinnen und Forscher sich nicht länger willkommen fühlen«. Das wiederum würde die Existenzgrundlage der Wissenschaft und der von ihr getragenen technischen und wirtschaftlichen Entwicklung gefährden.

Der Schaden, der angesichts der jüngsten Landtagswahl-Ergebnisse gerade Ostdeutschland droht, wenn Hochschulen und Institute durch Rechtsruck und Rassismus weniger attraktiv werden, kann Johannes Glückler, Professor für Wirtschafts- und Sozialgeographie an der Universität Heidelberg, sogar beziffern. Mit zwei Kollegen hat Glückler im Auftrag der Thüringer Landespräsidentenkonferenz untersucht, welche wirtschaftliche Bedeutung die zehn staatlichen Hochschulen für das Bundesland haben.

Das Ergebnis: Pro investiertem Euro Hochschulförderung kamen die Forscher in ihrer Studie, die im Februar erschienen ist, auf eine Wertschöpfung von 3,64 Euro. Die Summe setzt sich aus den Ausgaben von Hochschulen und Studierenden, dem Mehrwert akademischer Qualifikationen auf dem Arbeitsmarkt und dem Wert ausgegründeter Start-ups zusammen. In Thüringen kommt derzeit jeder siebte Studierende aus dem Ausland.

»Wissenschaftliche Exzellenz und die daraus resultierenden positiven wirtschaftlichen Effekte sind nur durch internationale Kooperationen und weltweiten Austausch möglich«Ursula Staudinger, Rektorin der TU Dresden

Glückler warnt: »Eine Zunahme von Fremdenfeindlichkeit könnte dazu führen, dass das Studieninteresse zurückgeht und entsprechend weniger ausländische, aber auch überregionale Studierende aus dem Rest Deutschlands nach Thüringen ziehen.« Sinke die Nachfrage nach Studienplätzen beispielsweise um zehn Prozent, würde sich das mit einem Minus von mindestens 114 Millionen Euro pro Jahr in der Wirtschaft des Bundeslandes niederschlagen, schätzt der Forscher.

»Wissenschaftliche Exzellenz und die daraus resultierenden positiven wirtschaftlichen Effekte sind nur durch internationale Kooperationen und weltweiten Austausch möglich«, urteilt TU-Rektorin Ursula Staudinger. »Wer durch Ausgrenzung, Abschottung oder Rassismus dagegen arbeitet, der gefährdet den Wohlstand aller.« Auch für Wissenschaft und Forschung gilt also, wovor Wirtschaftsvertreter bereits eindringlich warnen: Ausländerfeindlichkeit droht jene wirtschaftlichen Probleme zu verschärfen, mit denen Rassisten und Rechtspopulisten zugleich auf Stimmenfang gehen. In einer Erklärung mahnten Mitte September die Hochschulrektoren von Sachsen und Thüringen gemeinsam mit der bundesweiten Hochschulrektorenkonferenz (HRK): »Nur eine Hochschule, die international denkt und handelt, ist zukunfts- und wettbewerbsfähig.« Alle Parteien, Bürgerinnen und Bürger sollten sich dafür einsetzen, »dass Wissenschaftsfeindlichkeit, Einschränkung der Wissenschaftsfreiheit, Rassismus, Intoleranz und auf Ausgrenzung fußende Ideen und Feindbilder nicht normalisiert werden«.

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