Astronomie und Raumfahrt 2010: Reichlich Planeten und kleines Happy End
Seit November sind nun mehr als 500 ferne Planeten bekannt – von denen freilich keiner der Erde auch nur annähernd ähnlich ist. Aber auch im eigenen Sonnensystem war eine Menge los. Und am Rande des Universums entdeckten Astronomen die bislang entfernteste Galaxie.
Ende September kannten die Spekulationen keine Grenzen mehr: Gliese 581g, ein neu entdeckter Planet, sollte aus Gestein bestehen, die drei- bis vierfache Masse der Erde besitzen und damit in der Lage sein, eine Atmosphäre festhalten zu können. Und zu guter Letzt sollte er auch in genau der habitablen Zone seines Sterns kreisen, flüssiges Wasser auf seiner Oberfläche wäre demnach wahrscheinlich. War ein möglicherweise bewohnbarer Planet gefunden? Dummerweise konnte ein zweites Forscherteam die Existenz von Gliese 581g nicht bestätigen – schon zwei Wochen nach der spektakulären Entdeckung war aus dem vermeintlichen Planeten ein mögliches Störsignal geworden.
Ähnliche Verwirrung stiftete auch ein Vortrag des Chefwissenschaftlers des Weltraumobservatoriums Kepler: Der verkündete nämlich die Entdeckung von rund 700 Exoplanetenkandidaten – fast 300 davon mit erdähnlicher Größe –, brachte diese (zu diesem Zeitpunkt bereits Wochen alte) Nachricht aber etwas ungeschickt an die Medien. So war in nicht wenigen in den folgenden Tagen etwas vorschnell von der Entdeckung von über 300 tatsächlichen erdgroßen Planeten zu lesen.
Von diesen Irritationen abgesehen, machten die Exoplanetenjäger reiche Beute. Ein europäisches Forscherteam spürte zum Beispiel allein bei dem Stern HD 10180 mindestens fünf, vielleicht sogar sieben Planeten auf. Der kleinste besitzt eine Masse von vielleicht nur 1,4 Erdmassen – sollte er wirklich existieren, wäre er der Exoplanet mit der kleinsten Masse bei einem sonnenähnlichen Stern.
Viel los vor der Haustür
Aber auch im eigenen Planetensystem tat sich 2010 eine Menge. Zum Beispiel beim Ringplaneten Saturn: Schon 2004 erreichte die Raumsonde Cassini das Saturnsystem. Ursprünglich sollte sie nur vier Jahre, später bis zum Juli 2010 aktiv bleiben. Dann jedoch entschied die NASA, die äußerst erfolgreiche Mission bis ins Jahr 2017 zu verlängern – und verurteilte Cassini gleichzeitig zu einem ungemütlichen Ende: Durch einen kontrollierten Absturz in den Saturn soll verhindert werden, dass die Sonde womöglich irgendwann einen der Saturnmonde mit irdischen Mikroben kontaminiert.
Doch bis dahin hat Cassini noch Zeit, viele spektakuläre Bilder der Saturnmonde zu liefern. Das tat sie auch 2010: Insbesondere den kleinen Mond Enceladus hatte man noch nie zuvor so detailliert studieren können. Die Cassini-Aufnahmen zeigen gewaltige Geysire, die Wasserdampf und Eis ins All schleudern und damit den feinen, äußeren E-Ring des Saturns bilden. Ein Computerproblem zwang Cassini zwar Anfang November zu einer vorübergehenden Sendepause und ließ einen Vorbeiflug am größten Saturnmond Titan ungenutzt verstreichen. Nach 20 Tagen konnten der Sicherheitsmodus der Sonde aber aufgehoben und alle Instrumente wiederbelebt werden.
Etwas näher an der Erde gelegen, konnten Amateurastronomen gleich zweimal den Absturz eines kleinen Asteroiden oder Kometenbruchstücks auf Jupiter beobachten. Sowohl am 3. Juni als auch am 20. August registrierten sie einen kurzen Lichtblitz in der oberen Atmosphäre des Riesenplaneten – abgesehen von dem Einschlag des Kometen Shoemaker-Levy 9 vor 15 Jahren ist so etwas noch nie gelungen.
Die Asteroiden waren vermutlich nur wenige Meter groß, denn auch mit den besten Teleskopen der Welt ließen sich später keine Impaktspuren in den Jupiterwolken feststellen. Glaubt man der Studie eines internationalen Forscherteams, dann könnte es auf Jupiter pro Jahr zu ungefähr 100 derartiger Explosionen kommen, bei denen jeweils ein Vielfaches der Energie der Tunguska-Explosion über Sibirien im Jahr 1908 freigesetzt wird.
Besuch bei den kleinen Geschwistern
Doch nicht nur die großen Planeten standen dieses Jahr im Blickpunkt. Eine ganze Flotte von Raumfahrzeugen hatte 2010 die kleinen Objekte des Sonnensystems im Visier: Am 10. Juli passierte die ESA-Raumsonde Rosetta den 126 Kilometer großen Asteroiden Lutetia und nahm während des Vorbeiflugs hoch aufgelöste Aufnahmen des von Kratern übersäten Felsbrockens auf. Trotz der hohen Geschwindigkeit der Sonde von 54 000 Kilometern pro Stunde bei dem Vorbeiflug, der Rosetta bis auf 3100 Kilometer an Lutetia heranführte, erreichen die Bilder eine Auflösung von etwa 60 Metern pro Pixel. Rosetta ist auf dem Weg zum Kometen Tschurjumow-Gerasimenko, wo sie 2014 die Landeeinheit Philae absetzen soll.
Schon ihre zweite Kometenvisite absolvierte die amerikanische Sonde Deep Impact (nun auf ihrer Mission namens EPOXI), als sie am 4. November den Kometen Hartley 2 besuchte und ihn in einem Abstand von nur 700 Kilometern fotografierte. Die Aufnahmen zeigen einen hantelförmigen Kometenkern, der in Fontänen Kohlendioxid, Eis und Wasserdampf ausspeit. Einige der Eisbrocken sind dabei so groß wie Fußbälle. Die Aufnahmen werden nun mit den Bildern des Kometen Tempel 1 verglichen, denn Deep Impact vor fünf Jahren untersucht hatte – unter anderem mit einem künstlichen Impaktor, was der Sonde ihren Namen gab.
Und schließlich hatte 2010 eine Mission ihr Happy-End, die schon mehrfach fast gescheitert war. Hayabusa, der "Wanderfalke", kehrte zur Erde zurück und brachte offenbar winzige Bruchstücke des Asteroiden Itokawa mit. Lange Zeit war unklar, ob sich in dem Probenbehälter der japanischen Sonde überhaupt verwertbares Material befand – schließlich war auf dem jahrelangen Flug so ziemlich alles schief gelaufen, was schief laufen konnte. So war nicht einmal sicher, ob die per Notfallprogramm und Hilfstriebwerken zur Erde zurück gesteuerte Sonde überhaupt wie geplant auf Itokawa aufgesetzt hatte. Inzwischen planen die Japaner die Nachfolgemission Hayabusa-2, sie soll 2018 einen weiteren Asteroiden besuchen.
Die Sonne im Blick
Pech hatten die Japaner mit ihrer Venusmission: So erreichte im Dezember die Sonde Akatsuki zwar ihr Ziel – beim Umrunden des Planeten riss der Kontakt zu jedoch kurzfristig ab. Die Bremstriebwerke zündeten offenbar zu kurz und konnten die Sonde nicht in einen Orbit um den Schwesterplaneten der Erde einschwenken lassen. In sechs Jahren ergibt sich möglicherweise eine zweite Chance dafür, bis dahin kreist Akatsuki um die Sonne statt um die Venus.
Das Zentralgestirn des Sonnensystems hat das am 11. Februar gestartete Solar Dynamics Observatory (SDO) im Blick: Es ist das modernste Weltraumobservatorium zur Beobachtung der dynamischen Vorgänge auf unserer Sonne. Mitte April begannen die systematischen Beobachtungen unseres Heimatgestirns – seitdem halten die drei Hauptinstrumente des Satelliten die Sonne rund um die Uhr im Blick und produzieren pro Tag eine Datenmenge von 1,5 Terabyte. Die Bilder des SDO erreichen eine bis zu zehnfach höhere Auflösung als die seiner Vorgängermissionen und liefern faszinierende Einblicke in die Entstehung von Sonneneruptionen.
Auch von weiteren Weltraummissionen gab es Nachrichten: So funkte das Infrarotteleskop WISE seit Januar Millionen von Bildern in verschiedenen Wellenlängenbereichen zur Erde und entdeckte dabei unter anderem zahllose kleine Asteroiden im Sonnensystem. Der schon im Vorjahr gestartete Planck-Satellit vervollständigte Ende Juni seine erste vollständige Durchmusterung des Himmels im Bereich der Millimeterwellen. Erst Halbzeit war 2010 für die Anfang 2006 gestartete NASA-Sonde New Horizons: Sie soll im Juli 2015 den Zwergplaneten Pluto passieren und erstmals detaillierte Aufnahmen des einstmals neunten Planeten des Sonnensystems zu Erde funken. Noch ist New Horizons mehr als zwei Milliarden Kilometer von Pluto entfernt.
Ferner Neuling
Doch selbst Pluto liegt gerade um die Ecke, verglichen mit den Entfernungen der fernen Galaxien, in denen Astronomen Supernovae beobachten. Eine neue Klasse dieser Sternexplosionen entdeckten 2010 womöglich japanische Forscher. Die beiden geläufigen Szenarien einer Supernova sind der Kollaps eines massereichen Einzelsterns und die Explosion eines Weißen Zwergs, der Materie von einem Begleiter aufsammelt.
Beide Modelle erklärten aber nicht die Eigenschaften der Supernova SN2005cz, weswegen die Astronomen ein drittes Szenario vorschlugen. Diesem zufolge verliert ein mittelgroßer Stern Materie an einen Begleitstern und kollabiert später zu einem Neutronenstern, was die eigentliche Supernova auslöst. Bislang sind erst acht Supernovae bekannt, die nach diesem Schema ablaufen könnten.
Doch auch über einen "Klassiker", den Supernova-Typ-Ia, ist sich die Wissenschaft noch längst nicht einig. So erschienen im Jahresverlauf zwei sich gegenseitig widersprechende Arbeiten über den Entstehungsmechanismus dieses Supernovatyps: Zwar sind sich die Forscher weit gehend sicher, dass es Weiße Zwerge sind, die in den gewaltigen Explosionen ihr Ende finden – doch wie sie die dafür nötige Masse erreichen, ob durch Massenakkretion von einem Begleitstern oder durch die Verschmelzung mit einem zweiten Zwergstern, ist eine auch 2010 noch ungeklärte Forschungsfrage. Typ-Ia-Supernovae eigenen sich besonders als kosmische Entfernungsmarken: Mit ihnen lassen sich die Abstände zu weit entfernten Galaxien bestimmen. Ende der 1990er Jahre führten solche Messungen zur Entdeckung der beschleunigten Expansion des Kosmos, die der mysteriösen Dunklen Energie zugeschrieben wird.
Astronomische Maße
Astronomie ist auch die Wissenschaft der sprichwörtlich "astronomisch" großen Zahlen. Und auch 2010 wurden neue Rekorde aufgestellt: Astronomen fanden den massereichsten Stern und die entfernteste Galaxie. Das Sternungetüm R 136a1 befindet sich inmitten des Tarantelnebels in der Großen Magellanschen Wolke, einer rund 165 000 Lichtjahre entfernten Nachbargalaxie der Milchstraße.
Mit Hilfe der adaptiven Optik des Very Large Telescope (VLT) in Chile gelang es, seine Masse zu bestimmen: R 136a1 ist demzufolge 265-mal so schwer wie die Sonne. Noch können die Forscher nicht ausschließen, dass es sich vielleicht um ein enges Doppelsternsystem handelt, doch falls R 136a1 ein einzelner Stern ist, könnte er durch gewaltige Sternwinde bereits 50 Sonnenmassen an den umgebenen Weltraum verloren haben – sein "Geburtsgewicht" betrug dann womöglich mehr als 300 Sonnenmassen.
Viel weiter weg ist dagegen UDFy-38135539 – die bislang entfernteste Galaxie, die Astronomen auf den Aufnahmen des Weltraumteleskops Hubble ausgemacht haben. Wiederum mit dem VLT konnte man die Rotverschiebung dieses Objekts messen: Die Galaxie ist demnach mehr als 13 Milliarden Lichtjahre entfernt. Ihr Licht, das uns heute von dieser Galaxie erreicht, machte sich also auf den Weg, als das Universum gerade erst 600 Millionen Jahre alt war. Zu dieser Zeit befand sich das Universum noch im sogenannten Zeitalter der Reionisation. In dieser Epoche ionisierte das Licht der ersten aufflammenden Sterne den das Weltall ausfüllenden Wasserstoff und machte das Universum damit wieder transparent. Durch die Entdeckung von UDFy-38135539 können die Astronomen nun diese Epoche der Reionisation besser studieren.
Und auf der Erde? Dort ging 2010 in Oberhausen die Ausstellung "Sternstunden – Wunder des Sonnensystems" zu Ende. Ursprünglich für das Astronomiejahr 2009 entwickelt und dann verlängert bis zum 30. Dezember 2010, lockte die Ausstellung über 900 000 Besucher in das Oberhausener Gasometer – mehr als jede andere zuvor.
Jan Hattenbach
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