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Reiternomaden: Sattel aus dem Wüstengrab, der vielleicht älteste weltweit

Im Nordwesten Chinas fanden Archäologen einen rund 2700 Jahre alten Ledersattel. In einem Grab lag er so platziert, als ob die Tote noch im Jenseits reiten sollte.
Grab in Yanghai
In dem Grab auf dem Friedhof von Yanghai lag – am Gesäß der Toten – ein Ledersattel. Womöglich ist es das älteste bislang bekannte Exemplar weltweit.

Jahrtausendelang profitierten Menschen von Pferden und gebrauchten sie als Nutztier. Dafür entwickelten zahlreiche Zivilisationen allerlei Ausrüstungsteile, um auf den Tieren beispielsweise noch effektiver oder bequemer reiten zu können. Eines der wohl wichtigsten Utensilien war der Sattel. Doch wann ist die Auflage für den Pferderücken erfunden worden? Und wer tüftelte sie aus? Fachleute sind einer Antwort auf diese Frage nun etwas näher gekommen. Ein Forscherteam um den Archäologen Patrick Wertmann von der Universität Zürich untersuchte einen rund 2700 Jahre alten Ledersattel, der im wohl ebenso alten Grab einer Frau in Yanghai entdeckt wurde. Bei dem Fund aus Nordwestchina könnte es sich nach Aussage von Wertmann um den ältesten bislang bekannten Sattel handeln.

Wie der Archäologe und seine Kollegen im Fachmagazin »Archaeological Research in Asia« schreiben, ergab eine 14C-Datierung, dass der Sattel wohl zwischen 727 und 396 v. Chr. gefertigt worden war. Der rund 45 Zentimeter lange Fund ähnelt in der Form einem Flügelpaar. Er wurde aus Stücken von Rindsleder genäht und mit Tierhaaren sowie Stroh gefüllt. Riemen, mit denen sich das Sattelkissen am Pferd festzurren ließe, sind nicht erhalten. »Löcher am Rand deuten aber darauf hin, dass es ursprünglich Riemen am Sattel gab«, sagt Patrick Wertmann. Denkbar sei sogar, dass der Sattel gar nicht mit einem Gurt um den Bauch des Reittiers befestigt war. Selbst dann hätte sich ein geübter Reiter aber auf dem Pferd halten können, wie der Archäologe im Austausch mit der Expertin Sue Dyson vom Centre for Equine Studies im englischen Suffolk herausfand.

Bei ihrer Untersuchung fielen den Forschenden, zu denen auch der Sattler Chris Taylor aus England gehörte, weitere Besonderheiten an dem Fundstück auf: Über zwei mit Riemen verschlossene Schlitze auf der Oberseite ließen sich, so vermutet das Studienteam, Stroh und Tierhaar nachfüllen. Mehr von dem Polstermaterial stopften die Sattelmacher von Yanghai in die vier Endungen. Riemen, die im Sattelstich durch das Leder geführt wurden, sorgten dann dafür, dass die Füllung beim Reiten nicht in die Mitte des Sattels zurückrutschte.

»Die Polsterungen hatten in etwa die Funktion heutiger Knie- und Oberschenkelrollen«, erklärt Wertmann. Da es zu jener Zeit in China noch keine Steigbügel gab, die man dort erst ab dem 4. Jahrhundert nutzte, dienten die Polster zudem als Stütze: »Mit Hilfe der Polsterungen konnten sich die Reiter aus dem Sattel hochstemmen, um zum Beispiel einen Pfeil abzuschießen«, erklärt der Züricher Archäologe.

Oberseite des Sattels | Der gepolsterte Sattel konnte über zwei Öffnungen mit Tierhaar gefüllt werden. Diese wurden mit einem Riemen im Zickzack verschlossen. Die vier mit Lederbändern abgetrennten Endungen waren zusätzlich gefüttert.

Sicher ist: Der Sattel von Yanghai war ausgiebig in Gebrauch. In der Mitte, dort, wo die Reiterin einst saß, ist das Leder stärker abgerieben als an den Seiten. Dass es eine Reiterin war, schließt die Wissenschaftlergruppe aus der Tatsache, dass sich der Sattel im Grab einer Frau fand, die das Reitutensil wohl zu Lebzeiten nutzte. Das legt auch die Fundsituation nahe: Die Verstorbene lag auf der Seite, die Beine angewinkelt, der Sattel lehnte an ihrem Gesäß. »Die Körperhaltung der Frau ist in Yanghai nicht ungewöhnlich«, sagt Wertmann. »Interessant ist jedoch die Platzierung des Sattels auf ihrem Gesäß, so als ob sie reiten würde.« Möglicherweise sollte die Frau, die mit Wollhose, Stiefeln und Umhang bekleidet war, »als Reiterin bestattet werden«.

Unterseite des Sattels | Das Reitutensil ist wie ein Flügelpaar geformt.

Seit 2003 arbeiten Archäologen in Yanghai. Sie legten dort bislang 531 Gräber frei, die aus einer Zeit zwischen 1300 und 200 v. Chr. stammen. Dabei fanden sich in den älteren wie jüngeren Gräbern Teile von Pferdeausrüstung wie Zaumzeug, Trensen und auch ein zweiter Sattel, der jedoch sehr viel schlechter erhalten ist. Das Fazit der Forschenden: »Die archäologischen Befunde aus Yanghai lassen darauf schließen lassen, dass es [dort] bereits in der ersten Generation Reiter gab.«

Wer hat's erfunden?

Haben demzufolge die Menschen aus dieser Region den Sattel erfunden? Die zuvor ältesten Überreste von Sätteln legten Archäologen im südsibirischen Altai-Gebirge frei, in Gräbern der Pasyryk-Kultur: In der Kälte des Permafrosts haben sich sonst leicht vergängliche Objekte jener skythischen Reiternomaden über die Jahrhunderte erhalten. Und Ledersättel tauchten dort spätestens ab dem 5. Jahrhundert v. Chr. auf. Mögliche Überreste fanden sich aber auch in früheren Grablegen aus dem 9. bis 7. Jahrhundert v. Chr. »Der Ursprung des Sattels sollte bei den berittenen Nomadenvölkern zu finden sein«, sagt Archäologe Wertmann. »Der älteste datierte Sattel stammt nun aus Turfan, doch der Ursprung liegt vermutlich eher im Altai oder in den Steppen Eurasiens.«

Zu reiten fingen Menschen vermutlich aber schon viel früher an, wie eine Studie vom März 2023 in »Science Advances« nahelegt: An den Skeletten von Menschen der Jamnaja-Kultur entdeckten Forschende Hinweise darauf, dass diese wohl regelmäßig auf Pferden saßen – in Osteuropa in der Zeit um 3000 v. Chr.

Dass Sättel aus der frühen Eisenzeit erhalten sind, dafür sorgten besondere klimatische Bedingungen. In der Turfan-Senke im Nordwesten Chinas ist es trocken, sehr trocken sogar. Daher haben in der Gegend zahlreiche Objekte aus Leder, Textil oder Holz die Jahrhunderte überdauert. Ausgräber dokumentierten in Yanghai bereits die Reste einer 3000 Jahre alten Wollhose – der ältesten bekannten ihrer Art –, eine assyrische Lederrüstung und Lederbälle, vermutlich fürs Polospiel.

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