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News: Reizverstärker

Selbst wenn wir etwas fest im Blick haben, entgehen uns Signale aus den Augenwinkeln nicht. Welche Rolle spielen diese kurzen Aufmerksamkeitsheischer für die Wahrnehmung des eigentlich anvisierten Objektes?
Ob Fahrrad- oder Autofahrer, man kennt die Situation: Während sich der Blick vor allem nach vorne auf die Straße und die nächste Ampel richtet, widmet sich ein Teil unserer Aufmerksamkeit auch dem Geschehen seitlich vor uns. Rollt vielleicht ein Ball auf die Straße? Passt ein Kind gerade nicht auf und rennt los? Öffnet der frisch eingeparkte Fahrer vor uns die Tür, ohne nach hinten zu sehen? All diese Reize nehmen wir eher nebenher wahr, doch ermöglichen sie in der entsprechenden Gefahrensituation, in der sie dann plötzlich die volle Aufmerksamkeit fordern, eine bessere und schnellere Entscheidung, was nun zu tun ist.

Solche zunächst nebensächlichen Aufmerksamkeitsheischer halten nicht lange an: Nach 120 Millisekunden erreichen sie ihren Höhepunkt, nach 250 Millisekunden ist alles wieder vorbei. Und doch fragen sich Forscher inzwischen seit hundert Jahren, ob diese Eindrücke nicht einen grundlegenden Einfluss auf unsere Wahrnehmung der Welt um uns herum haben – indem sie beispielsweise die Reizstärke anderer Signale beeinflussen. Marisa Carrasco von der New York University und ihre Kollegen machten sich nun daran, dieses alte Rätsel zu lösen.

Sie präsentierten Freiwilligen eine Serie von immer zwei um 45 Grad geneigte Streifenmuster auf einem Bildschirm und wollten von ihren Testkandidaten wissen, welche Orientierung das jeweils kontrastreichere der beiden Objekte hatte. Der Clou an der Sache bestand darin, den Teilnehmern kurz zuvor auf dem Bildschirm einen Punkt im Zentrum zu zeigen, der manchmal von einem weiteren, etwas zu einer Seite verschobenen Punkt begleitet wurde. Das sei ohne jegliche Bedeutung für den eigentlichen Test, versichterten die Forscher, doch von wegen: Auf diese Weise wollten sie herausfinden, ob dieser kurze, nebensächliche Reiz aus dem Randfeld der Aufmerksamkeit in irgendeiner Weise die Wahrnehmung der folgenden Signale – der Streifenmuster – beeinflusste.

Und siehe da – er tat es: Er verstärkte offensichtlich den Kontrasteindruck der gezeigten Muster. Denn erschienen auf dem Monitor zwei Streifenbilder, deren Kontrast identisch war, erkannten das die Teilnehmer nur, wenn sie vorher nur den Fixpunkt im Zentrum zu sehen bekommen hatten. War den Streifen aber auf einer Seite ein kurzer Punkt vorausgegangen, wurden diese auch eindeutig als kontraststärker eingestuft. Auf diese Weise konnten die Teilnehmer sogar noch Streifen erkennen, die sonst schon fast unter die Wahrnehmungsgrenze fallen.

Um ganz sicherzugehen, dass die veränderte Wahrnehmung des Objekts wirklich durch den kurzen, punktförmigen Aufmerksamkeitsheischer entstand, warteten die Forscher im zweiten Durchgang 500 Millisekunden, bis sie die Streifenmuster zeigten. Und tatsächlich: Nun ließ sich der kontraststeigernde Effekt nicht mehr beobachten.

Und wie drückt sich nun diese Kontrastverstärkung neurophysiologisch aus? Hat sich etwa die Reaktion der Neuronen verstärkt, sodass sie nun schon bei einem schwächeren Reiz vermehrt in Aktion treten? Carrasco und ihre Kollegen gehen eher von einer zweiten Variante aus, bei der eine Nervenzelle, die durch den kurzen Aufmerksamkeitsheischer quasi schon "alarmiert" ist, nun wirklich eine geringere Reizstärke benötigt, um zu feuern – also schon bei schwächerem Kontrast aktiv wird.

Für das Gehirn bietet diese unterschiedliche Gewichtung von Reizen vor allem einen Vorteil: Es kann haushalten mit den knappen Ressourcen und seine Energie immer genau dort verwenden, wo sie gerade gebraucht wird. Müssten wir auf der Straße alle Eindrücke mit gleicher Priorität verarbeiten, wären wir schnell überfordert und würden sicherlich bald die rote Ampel übersehen. So aber bleiben die Nebensächlichkeiten unterschwellig im Bewusstsein und helfen uns, sie im Zweifelsfall schnell und überdeutlich wahrzunehmen und gerade dadurch angemessen zu reagieren.

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