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Astrophysik: Kosmische Elektronen mit rekordverdächtiger Energie entdeckt

Die geladenen Teilchen prallten mit mehreren Teraelektronvolt auf die Erdatmosphäre. Höchstwahrscheinlich stammen sie aus einem Pulsar ganz in unserer Nähe.
Blick in die Teleskope der H-E.S.S.-Kollaboration zur Erforschung kosmischer Gammastrahlen
Das H.E.S.S.-Observatorium in Namibia nutzt vier große, leistungsfähige Teleskope, um kosmische Strahlung aufzuzeichnen. Hier blickt man direkt in die Kamera der Geräte.

Unzählige Teilchen prasseln jede Sekunde aus dem All auf die Erde herab: Protonen, Elektronen, Heliumkerne, schwere Ionen, Photonen und all ihre Zerfallskomponenten. Sie kommen von der Sonne, aus der Milchstraße und von noch ferneren Galaxien. Objekte wie Supernova-Überreste, Pulsare und aktive galaktische Kerne senden geladene Teilchen und Gammastrahlen mit unglaublich hoher Energie aus. Da geladene Teilchen jedoch mit Licht und Magnetfeldern wechselwirken, verlieren sie Energie auf ihrem Weg zur Erde und werden abgelenkt. Das macht es enorm schwierig, ihre Quelle im Weltall zu orten. In der umfangreichsten jemals durchgeführten Analyse haben Fachleute der internationalen H.E.S.S.-Kollaboration nun neue Informationen über den Ursprung dieser Teilchen erhalten. Dabei fanden sie auch kosmische Elektronen und Positronen, deren Energie bis zu 40 Teraelektronvolt beträgt. Das ist mehr als das Sechsfache der Energie, auf die Teilchen im Large Hadron Collider im CERN bei Genf beschleunigt werden.

Die Ergebnisse, über die die Kollaboration im Fachmagazin »Physical Review Letters« berichtet, sind also aus zwei Gründen interessant. Es handelt sich zum einen um die energiereichsten kosmischen Elektronen und Positronen, die je entdeckt wurden. Zum anderen deuten die hohen Energien darauf hin, dass diese Teilchen nicht allzu weit von der Erde entfernt entstanden sind. Was auch immer sie derart stark beschleunigt, befindet sich, galaktisch gesehen, in unserer unmittelbaren Nähe.

Der Nachweis von Elektronen und Positronen mit Energien von mehreren Teraelektronvolt ist eine besondere Herausforderung. Weltraumgestützte Instrumente mit einer Fläche von etwa einem Quadratmeter können solche Teilchen, die mit zunehmender Energie immer seltener werden, nicht in ausreichender Zahl erfassen. Bodengestützte Instrumente hingegen, die die Ankunft der kosmischen Strahlung indirekt über die von ihr erzeugten Teilchenschauer in der Erdatmosphäre nachweisen (die so genannte Tscherenkow-Strahlung), stehen vor dem Problem, dass sich die vielen Sekundärteilchen kaum voneinander unterscheiden lassen. Das H.E.S.S.-Observatorium in Namibia nutzt fünf große, leistungsfähige Teleskope, um die schwache Tscherenkow-Strahlung einzufangen und aufzuzeichnen.

Scharfer Bruch in der Energieverteilung

Das Forschungsteam wertete Daten aus, die über einen Zeitraum von zwölf Jahren gesammelt wurden, und nutzte neue, leistungsfähigere Selektionsalgorithmen, mit der es die Elektronen mit bisher unerreichter Effizienz aus dem Hintergrundrauschen extrahieren konnte. Die Forscher erkannten, dass die Energieverteilung der kosmischen Elektronen bei etwa einem Teraelektronvolt stark abfällt.

»Das ist eine wichtige Beobachtung, denn wir können daraus schließen, dass die gemessene kosmische Strahlung wahrscheinlich nur von wenigen Quellen in der Nähe unseres Sonnensystems stammt«, wird Kathrin Egberts von der Universität Potsdam in einer Pressemitteilung zitiert. Denn solche hochenergetischen Teilchen verlieren beim Flug durch die Galaxie schnell ihre Energie, weshalb sie aus einer nahe gelegenen Quelle stammen müssen. »Wir gehen von einer maximalen Entfernung von einigen tausend Lichtjahren aus – das ist sehr gering im Vergleich zur Größe unserer Galaxie.« Quellen in unterschiedlichen Entfernungen würden diesen Knick viel stärker verwischen.

Um herauszufinden, welcher astrophysikalische Vorgang die Elektronen auf so hohe Energien beschleunigt hat und woher der Knick kommt, verglichen die Forschenden diese Daten mit Modellvorhersagen. Heiße Kandidaten sind Pulsare, das sind Sternüberreste mit einem starken Magnetfeld. Einige Pulsare blasen einen Wind geladener Teilchen in ihre Umgebung; die magnetische Schockfront dieses Windes könnte der Ort sein, an dem die Teilchen den Schub erfahren. Welcher Pulsar konkret in Frage kommt, ist aber noch unklar.

Zukünftige Forschungsarbeiten werden sich wahrscheinlich darauf konzentrieren, die Unterscheidung der Teilchen noch weiter zu verbessern, möglicherweise durch Techniken des maschinellen Lernens, sowie den Energiebereich der direkten Messungen zu erweitern, um Elektronen mit noch höherer Energie zu erfassen. Die H.E.S.S.-Kollaboration hat einen neuen Standard in der kosmischen Strahlenphysik gesetzt, doch es bleibt noch vieles rätselhaft im hochenergetischen Universum.

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