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Teilchenphysik: Rekordverdächtig schwerer Atomkern aus Antimaterie entdeckt

Auf der Suche nach dem Grund für das Ungleichgewicht zwischen Materie und Antimaterie stoßen Forscher immer wieder auf exotische Teilchen. Nun haben sie Antihyperwasserstoff-4 gefunden.
Eine Visualisierung einer Teilchenkollision mit Spuren der Zerfallsprodukte
Da Antihyperwasserstoff-4 extrem kurzlebig ist und sich nicht direkt beobachten lässt, haben Wissenschaftler aus den Zerfallsprodukten auf seine Existenz zurückgeschlossen.

Eine internationale Forschungsgruppe hat den schwersten bisher beobachteten Atomkern aus Antimaterie entdeckt – so genannten Antihyperwasserstoff-4, eine exotische Variante von Antiwasserstoff. Wie das Team im Fachmagazin »Nature« berichtet, handelt es sich dabei um einen Atomkern aus einem Antiproton, zwei Antineutronen – also den jeweiligen Antiteilchen des Protons und des Neutrons – sowie einem Antilambda-Teilchen, einem Zusammenschluss aus Anti-Up-, Anti-Down- und Anti-Strange-Quark. Zur Erzeugung solcher Kerne nutzten die Fachleute den STAR-Detektor am Relativistic Heavy Ion Collider (RHIC), einem Teilchenbeschleuniger auf dem Gelände des Brookhaven National Laboratory in den USA. In den Messdaten fanden sie Hinweise auf insgesamt 16 Atomkerne aus Antihyperwasserstoff-4.

Zu jedem Elementarteilchen gibt es – so die Theorie – ein Antiteilchen. Beide haben großteils die gleichen Eigenschaften, beispielsweise exakt dieselbe Masse. Ihre Ladungen tragen allerdings entgegengesetzte Vorzeichen. Treffen sie aufeinander, vernichten sie sich gegenseitig in einer so genannten Paarzerstrahlung oder Annihilation. Dabei entstehen andere, leichtere Teilchen sowie elektromagnetische Strahlungsenergie.

Auch nach Jahrzehnten intensiver Forschung gibt die Antimaterie weiterhin zahlreiche Rätsel auf. So existiert noch immer keine überzeugende Erklärung dafür, warum beim Urknall zwar Materie und Antimaterie zu gleichen Teilen entstanden sein müssen, das heute sichtbare Universum jedoch lediglich aus Materie besteht.

Um dieses Rätsel aufzuklären, versuchen Forscherinnen und Forscher weltweit die Bedingungen zu simulieren, die kurz nach dem Urknall geherrscht haben – etwa extreme Temperaturen und Drücke. Dazu beschleunigen sie in riesigen Anlagen Protonen, Elektronen sowie Atomkerne auf annähernd Lichtgeschwindigkeit und lassen sie aufeinanderprallen. Anhand der Zerfallsprodukte lässt sich untersuchen, wie Materie und Antimaterie aufgebaut sind und interagieren.

Keine Hinweise auf Abweichungen von der Theorie

Mit dem Beschleuniger RHIC werden normalerweise das Quark-Gluon-Plasma und die Spin-Struktur des Protons erforscht. 2011 konnte dort bereits das bis dahin schwerste beobachtete Antimaterie-Element Antihelium-4 erzeugt werden. Nun nahm die Forschungsgruppe sich die Daten von sechs Milliarden Kollisionen von Gold-Atomkernen vor und machte darin den bemerkenswerten Fund: Hinweise auf den bis dahin unentdeckten, exotischen Antimaterie-Atomkern Antihyperwasserstoff-4. Damit sich ein solcher Kern bildet, müssen ein Antiproton, zwei Antineutronen und ein Antilambda-Teilchen zusammenfinden. Das geschieht extrem selten. Antilambda-Teilchen sind sehr kurzlebig und bestehen aus je einem Anti-Up-Quark, einem Anti-Down-Quark und einem Anti-Strange-Quark besteht.

Da auch Antihyperwasserstoff-4 sehr kurzlebig ist und binnen Sekundenbruchteilen zerfällt, mussten die Wissenschaftler ihn über Zerfallsprodukte nachweisen: Antihelium-4 sowie ein Pion; letzteres besteht aus einem Quark und einem Anti-Quark. Anhand dieser stabileren Teilchen konnten sie dann darauf schließen, dass für ein kurzen Moment der exotische, schwere Antiatomkern existiert haben musste.

Im nächsten Schritt verglich die Arbeitsgruppe die Lebensdauer von Antihyperwasserstoff-4 mit der von Hyperwasserstoff-4, also dem Gegenstück aus normaler Materie. Dabei stellten sie keinen Unterschied fest. Das bestätigt zwar aktuelle physikalische Modelle, liefert jedoch wieder keinen Hinweis darauf, wie es zu dem Ungleichgewicht von Materie und Antimaterie im Universum gekommen ist.

  • Quellen
Nature 10.1038/s41586–024–07823–0, 2024

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